VG Gießen

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Zitieren als:
VG Gießen, Urteil vom 17.02.2005 - 2 E 1131/04.A - asyl.net: M6387
https://www.asyl.net/rsdb/M6387
Leitsatz:

Hält sich der Vormund eines unbegleiteten minderjährigen Asylantragstellers rechtmäßig in Deutschland auf, ist Deutschland gem. Art. 6 der Dublin II-Verordnung für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.

 

Schlagwörter: D (A), Österreich (A), Verordnung Dublin II, Zuständigkeit, Unbegleitete Minderjährige, Alter, Vormundschaft, Familienangehörige
Normen: AsylVfG § 29 Abs. 3; EG VO Nr. 343/2003 Art. 29; EG VO Nr. 343/2003 Art. 13; EG VO Nr. 343/2003 Art. 16; EG VO Nr. 343/2003 Art. 6
Auszüge:

Hält sich der Vormund eines unbegleiteten minderjährigen Asylantragstellers rechtmäßig in Deutschland auf, ist Deutschland gem. Art. 6 der Dublin II-Verordnung für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Kläger haben einen Anspruch auf Durchführung ihres Asylverfahrens in Deutschland, so dass sich der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 28.11.2003 als rechtswidrig erweist und die Kläger in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung ist der Asylantrag, welchen die Kläger in Deutschland gestellt hatten, nicht gemäß § 29 Abs. 3 AsylVfG in Verbindung mit der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 (im Folgenden: VO Nr. 343) unbeachtlich. Österreich ist danach nämlich nicht zuständig für die Durchführung eines Asylverfahrens der Kläger.

Die Beklagte hat ihre Feststellung, dass die Bundesrepublik Deutschland für das Asylverfahren nicht zuständig sei, zu Unrecht auf Art. 13 i. V. m. Art. 16 Abs. 1 c VO Nr. 343 gestützt. Nach Art. 13 bestimmt sich die Zuständigkeit nach dem Kriterium, wo der erste Asylantrag gestellt wurde, nur dann, wenn sich anhand der Kriterien der VO Nr. 343 nicht bestimmten lässt, in welchem Mitgliedsstaat die Prüfung des Asylantrages durchzuführen ist.

Gemäß Art. 5 Abs.1 VO Nr. 343 sind die Artikel 6 bis 14 in ihrer Rangfolge zu prüfen. In dem Fall der Kläger ergibt sich bereits aus Art. 6 VO Nr. 343, dass die Bundesrepublik Deutschland zuständig für die Prüfung des Asylverfahrens der Kläger ist. Bei den Klägern handelt es sich nämlich um unbegleitete Minderjährige, denn sie sind 16 und 14 Jahre alt. Die hinsichtlich der Minderjährigkeit der Kläger von der Beklagten geäußerten Zweifel wurden von dieser nicht weiter ausgeführt und sie hat auch die Gelegenheit in der mündlichen Verhandlung nicht genutzt, ihre Gründe für diese insoweit geäußerten Zweifel näher darzulegen. Sonstige Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger hinsichtlich ihres Alters die Unwahrheit gesagt haben könnten, gibt es nach Auffassung des Gerichts nicht. Insbesondere vermag das Gericht nicht bereits aus dem in der Behördenakte vorhandenen Foto des Klägers zu 1.) den Schluss zu ziehen, dieser könne unmöglich erst 16 Jahre alt sein. Zwar sieht der Kläger zu 1.) auf diesem Foto recht reif aus, hierfür kann es aber genetische und andere Gründe geben. Hätte die Beklagte ihre Entscheidung darauf stützen wollen, zumindest einer der beiden Kläger sei gar nicht minderjährig, so hätte sie hierzu weitere Aufklärung selbst betreiben oder bei Gericht beantragen müssen.

Auch die weiteren Voraussetzungen des Art. 6 VO Nr. 343 sind erfüllt. In Deutschland hält sich nämlich ein Angehöriger der Familie der Kläger rechtmäßig auf. Hierbei handelt es sich um den älteren Bruder der Kläger, A. A., welcher hier als Asylberechtigter anerkannt ist und sich hier deshalb folgerichtig rechtmäßig aufhält. Bei ihm handelte es sich auch um einen Familienangehörigen im Sinne dieser Bestimmung, was sich aus den Definitionen in Artikel 2 VO Nr. 343 ergibt. Gemäß Art. 2i Nr. 3 VO Nr. 343 gehört der Vormund bei unverheirateten minderjährigen Antragstellern zu den Familienangehörigen. A. A. wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Büdingen vom 15.08.2003 - Az: 50 F 718/03 SO - zum Vormund für die Kläger bestellt. Auch hat die Familie bereits im Herkunftsland bestanden.

Diese Entscheidung entspricht auch dem beabsichtigten Zweck der VO Nr. 343, denn diese soll unter allen Umständen eine räumliche Nähe zwischen einem unbegleiteten Minderjährigen und einem sich bereits in einem Mitgliedsstaat aufhaltenden erwachsenen Familienangehörigen sicherstellen. Generell soll der Einheit der Familiengemeinschaft besser Rechnung getragen werden als nach dem bislang geltenden Vertragsrecht wie etwa dem Dubliner Übereinkommen, das durch die VO Nr. 343 weitestgehend überlagert wird (vgl. Marx, AsylVfG, 5. Auflage, § 29 Rdnr. 59).