OVG Saarland

Merkliste
Zitieren als:
OVG Saarland, Urteil vom 03.12.2004 - 2 R 2/04 - asyl.net: M6389
https://www.asyl.net/rsdb/M6389
Leitsatz:

Keine Rückkehrgefährdung für kurdische Volkszugehörige aus der Notstandsprovinz Tunceli. (Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Türkei, Kurden, Tunceli, Familienangehörige, PKK, Verdacht der Unterstützung, Festnahme, Dorfschützer, Glaubwürdigkeit, Situation bei Rückkehr, Herkunftsgebiet, Grenzkontrollen, Gruppenverfolgung, Wehrdienstentziehung, Politmalus, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Exilpolitische Betätigung
Normen: AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 53
Auszüge:

Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG noch stehen seiner Abschiebung in die Türkei Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG entgegen.

Der Kläger hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihm in der Türkei Maßnahmen politischer Verfolgung drohen. Weder seine Darlegungen zu seinem angeblichen persönlichen Verfolgungsschicksal noch seine Befürchtung, wegen seiner kurdischen Volkszugehörigkeit und/oder seiner Herkunft aus der ehemaligen Notstandsprovinz Tunceli im Falle der Rückkehr Repressalien bzw. besonderen asylrelevanten Einreisekontrollen ausgesetzt zu sein beziehungsweise bei der Einreise wegen Wehrdienstentziehung festgenommen zu werden, bieten eine Grundlage für die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG. Gleiches gilt hinsichtlich seiner angeblichen exilpolitischen Betätigungen.

Das Vorbringen des Klägers zu den Gründen der behaupteten Verfolgungsfurcht ist in maßgeblichen Punkten nicht glaubhaft. Es zeichnet sich durch Widersprüchlichkeiten und Steigerungen im Sachvortrag aus, wobei der Kläger keine vernünftige Erklärung für das widersprüchliche bzw. späte Einführen einzelner Punkte seines Sachvortrages in das Verfahren gegeben hat. Die durch die geschilderten Widersprüchlichkeiten und Steigerungen begründeten Zweifel und der Glaubhaftigkeit des Vorbringens lassen sich - entgegen der seitens seiner Pozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung - auch nicht dadurch ausräumen, dass dem Kläger zugute gehalten werden müsste, er habe die fluchtauslösenden Umstände von Anfang an geschildert, während alle späteren ergänzenden oder anderslautenden Angaben nur Gesichtspunkte beträfen, die nicht fluchtauslösend gewesen seien und sein Asylvorbringen daher nicht im Kern beträfen.

Auch die Befürchtung des Klägers, ihm drohten im Falle seiner Rückkehr wegen seiner kurdischen Volkszugehörigkeit und/oder seiner Herkunft aus der Provinz Tunceli asylrelevante Maßnahmen, insbesondere anlässlich der Einreise die Festnahme und eine anschließende asylrelevante Behandlung, vermittelt keinen Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG. Diese Befürchtung entbehrt nach der Auskunftslage einer sachlichen Grundlage. Dass allein die kurdische Volkszugehörigkeit jedenfalls nicht die Gefahr landesweiter politischer Verfolgung auslöst, ist - worauf im erstinstanzlichen Urteil zu Recht hingewiesen wurde - in der obergerichtlichen Rechtsprechung seit langem geklärt und wird auch durch die neuere Auskunftslage nicht in Frage gestellt. Der Kläger meint allerdings, infolge seiner Herkunft aus der Provinz Tunceli habe er bei der Einreise mit sofortiger Festnahme zu rechnen. Dem kann nicht gefolgt werden.

Soweit Kaya in zwei Gutachten vom 18.4.1997 bzw. vom 18.8.1998 die These aufgestellt hat, dass mit verschärften Einreisekontrollen zu rechnen sei, wenn der Geburts- und Wohnort der Person in einem Gebiet liege, das Schauplatz von Vorfällen geworden sei oder sonstwie als verdächtig gelte (18.4.1997) bzw. wenn die Bedeutung des Heimatortes für den Kampf Verdacht errege (18.8.1998), hat die zur Hinterfragung dieser These durchgeführte Beweiserhebung des Verwaltungsgerichts Sigmaringen zu keiner Bestätigung geführt. So teilte Taylan mit, diese Kategorie einer besonderen Gefährdung sei ihm vollkommen neu; er kenne kein einziges Verfahren, in dem für den Kampf verdächtige Orte eine tragende Rolle gespielt hätten.

Das Auswärtige Amt führte zur gleichen Fragestellung aus, dass es die Ansicht des Gutachters Kaya zur Möglichkeit ausgedehnter Nachforschungen im Fall von Personen, die aus Orten stammen, die für den "Kampf" Verdacht erregten bzw. dieser Ort "in einem Gebiet liege, das Schauplatz von Vorfällen geworden sei oder sonst wie als verdächtig gelte" nicht teile. Es lägen keine Erkenntnisse darüber vor, dass es bestimmte Orte oder Gebiete gebe, die verdächtig seien.

Dieser Einschätzung des Auswärtigen Amtes stehen auch die Ausführungen von Rumpf zur Provinz Tunceli nicht entgegen. Dort ist ausgeführt, dass diese Provinz unter ihrem früheren Namen Dersim bis heute von der kurdischen Bewegung als Fanal für die kurdische Befreiung angesehen werde. Es liege daher auf der Hand, dass die Herkunft aus Tunceli Reminiszenzen bei in der Kurdenfrage ohnehin sensibilisierten Sicherheitsbeamten auslösen könne.

Diese Möglichkeit des Auslösens von Reminiszenzen bei in der Kurdenfrage ohnehin sensibilisierten Sicherheitsbeamten ist nicht geeignet, die Gefahr politisch relevanter Verfolgungsmaßnahmen für die Gruppe der kurdischen Rückkehrer aus der Provinz Tunceli auch nur wahrscheinlich zu machen, geschweige denn mit hinreichender Sicherheit darzulegen.

Ein Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzung des § 51 Abs. 1 AuslG lässt sich auch nicht daraus herleiten, dass der Kläger meint, ihm drohe bei der Einreise bereits wegen der Nichtableistung des Wehrdienstes die Festnahme mit der Folge, - so seine Prozessbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung - dass er "keine Möglichkeit habe, eine inländische Fluchtalternative zu erreichen."

Nach der Auskunftslage hat der Kläger durchaus damit zu rechnen, dass anlässlich seiner Wiedereinreise festgestellt wird, dass er noch keinen Wehrdienst geleistet hat und er deshalb festgenommen, gemustert und gegebenenfalls einberufen wird; auch die Einleitung eines Strafverfahrens wegen Wehrdienstentziehung erscheint möglich. Allerdings knüpften derartige Maßnahmen nicht an asylerhebliche Merkmale an und beinhalten daher keine politische Verfolgung, sondern treffen - grundsätzlich weltweit - jeden Wehrpflichtigen, der sich der Wehrpflicht in seinem Heimatstaat entzieht. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger wegen besonderer Umstände eine härtere Bestrafung als nach dem türkischen Militärstrafgesetz im Regelfall vorgesehen ist, befürchten müsste, sind weder ersichtlich noch vorgetragen.

Dem Kläger droht im Falle seiner Rückkehr in die Türkei wegen seiner angeblichen Mitgliedschaft in dem kurdischen Kulturverein in A-Stadt bzw. wegen des angeblich beim Polizeipräsidium (...) gegen ihn eingeleiteten Ermittlungsverfahrens keine politische Verfolgung in der Türkei. Ihm ist bereits aus den Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils bekannt, dass nach der Rechtsprechung der saarländischen Verwaltungsgerichte bzw. der Obergerichte anderer Bundesländer exilpolitische Aktivitäten niederen Profils bei nicht Vorverfolgten nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Gefahr politischer Verfolgung im Falle der Rückkehr in die Türkei auslösen. In Anknüpfung hieran hat das Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt, dass die klägerseits vorgetragenen Aktivitäten keine Anhaltspunkte dafür bieten, dass er sich exilpolitisch exponiert habe.