VG Bayreuth

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Zitieren als:
VG Bayreuth, Urteil vom 14.03.2005 - B 6 K 05.30039 - asyl.net: M6413
https://www.asyl.net/rsdb/M6413
Leitsatz:
Schlagwörter: Syrien, Staatenlose, Kurden, Einreiseverweigerung, Verfolgungsbegriff, Gewöhnlicher Aufenthalt
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Die Klage ist begründet, soweit der Kläger die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (übereinstimmend mit § 51 Abs. 1 AuslG a. F.) begehrt.

b) Der Kläger ist zur Überzeugungsgewissheit des Gerichts staatenloser Kurde aus Syrien; er gehört zur Gruppe der nicht Registrierten/Ungeklärten (maktumin).

Nach insoweit übereinstimmenden Erkenntnissen sämtlicher Sachverständiger ist staatenlosen Kurden, deren Land des gewöhnlichen Aufenthalts Syrien war, eine Wiedereinreise nach Syrien nach illegaler Ausreise derzeit und in absehbarer Zeit nicht möglich. Wie auch in dem Urteil des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs vom 17. September 2003 - Nr. 19 B 00.30900 - (unter Hinweis auf die Rechtsprechung weiterer Oberverwaltungsgerichte) ausgeführt, ist nach der aktuellen Erkenntnislage davon auszugehen, dass Kurden, die auf Grund der 1962 durch den syrischen Staat vollzogenen Ausbürgerungen staatenlos geworden sind, ebenso wie ihre Nachfahren, die seit ihrer Geburt staatenlos sind, keine rechtliche und tatsächliche Möglichkeit haben, nach Syrien zurückzukehren, wenn sie das Land ohne Erlaubnis verlassen haben. Dem Kläger wäre somit die Rückkehr nach Syrien verwehrt, da er das Land seines gewöhnlichen Aufenthalts ohne Erlaubnis verlassen hat.

Die Verweigerung der Wiedereinreise in das Land seines gewöhnlichen Aufenthalts stellt für den Kläger eine Verfolgungsmaßnahme im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (Art. 1 A Nr. 2 GK) dar, da sie an dessen kurdische Volkszugehörigkeit anknüpft und nicht nur ordnungspolitische Zwecke verfolgt. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass nach dem Bericht des Auswärtigen Amtes vom 13. Dezember 2004 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Syrien in der Republik Syrien über eine Million Kurden leben; "die überwiegende Anzahl sind syrische Staatsbürger mit allen bürgerlichen Rechten und Pflichten, die allein auf Grund ihrer kurdischen Abstammung keinen besonderen Repressionen ausgesetzt sind, auch wenn die politische Überwachung und Bespitzelung in Nordsyrien, das von Kurden überdurchschnittlich stark bewohnt wird, intensiver ist als in den südlichen Landesteilen". Weiterhin soll nach diesem Bericht des Auswärtigen Amtes die syrische Gesetzgebung nicht diskriminierend sein; sie soll darauf ausgerichtet sein, den diversen ethnischen und religiösen Gruppen und Minderheiten neutral gegenüber zu stehen, ihnen gleiche Rechte vor dem Gesetz einzuräumen. Dies beruht aber, wie der Sachverständige Uwe Brocks vom Deutschen Orientinstitut in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Magdeburg am 4. Februar 2004 (vgl. die Entscheidungsgründe des Urteils vom 4. Februar 2004 - Az: 9 A 32/02 Md) ausgeführt hat, darauf, dass der syrische Staat das Bestehen eines "Kurdenproblems" schlichtweg leugnet.

Hieraus ergibt sich für das Gericht eindeutig, dass auch die Verweigerung der Wiedereinreise für staatenlose Kurden im Zusammenhang mit der Ausbürgerungskampagne von 1962 steht und daher an das asylerhebliche Merkmal der kurdischen Volkszugehörigkeit anknüpft. Dass das Kurdenproblem in Syrien nach wie vor existiert und heute sogar wieder sehr virulent ist, darauf hat der Sachverständige Brocks in einem (neuesten) Gutachten vom 31. Januar 2005 (für das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht) hingewiesen, wenn er darin ausführt, dass "die kurdische Frage in Syrien wieder ein Thema geworden ist; die syrischen Kurden fühlen sich insbesondere von den Entwicklungen im Irak beflügelt .... Diese Entwicklungen hat man in Syrien unter der dortigen kurdischen Bevölkerung sehr genau verfolgt, allerdings sind auch die arabischen Nationalisten nicht untätig geblieben ... . Man kann ohne Übertreibung sagen, dass es innerhalb der kurdischen Bevölkerung Syriens wieder "brodelt", dass die Frage der kurdischen Minderheit, ihrer politischen Rechte, ihrer sozialen und wirtschaftlichen Situation, auch das alte und leidige Thema der staatenlosen Kurden in Syrien, wieder auf die Agenda gesetzt wurden."

Dass das Verbot der Wiedereinreise für kurdische Staatenlose daneben auch den ordnungspolitischen Zweck verfolgt, Gefahren für die Sicherheit durch potenzielle Unruhestifter vorzubeugen, mag sein, bedeutet aber nicht, dass die Verfolgungsmaßnahmen nicht in erster Linie auf die Volkszugehörigkeit gerichtet sind.