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Zitieren als:
BVerfG, Beschluss vom 26.01.2005 - 2 BvR 1899/04 - asyl.net: M6417
https://www.asyl.net/rsdb/M6417
Leitsatz:
Schlagwörter: Libanon, Flüchtlingsfrauen, Homosexuelle, Asylverfahren, Beweisbeschluss, Beweiserhebung, Informationelle Selbstbestimmung, Verhältnismäßigkeit
Normen: GG Art. 2 Abs. 1; GG Art. 1 Abs. 1
Auszüge:

Der angegriffene Beweisbeschluss verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG.

Das durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst die Befugnis jedes Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Genzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden (Recht auf informationelle SeIbstbestimmung - vgl. BVerfGE 65, 1 41 ff.>). In das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird nicht nur dann eingegriffen, wenn der Staat vom Einzelnen die Bekanntgabe persönlicher Daten verlangt oder diese automatisch verarbeitet. Dieses Recht schützt vielmehr generell vor staatlicher Erhebung, Verwendung und Weitergabe personenbezogener Daten (vgl. BVerfGE 65,1 41 ff.>; 78, 77 84>).

Zu den danach geschützten Informationen gehören auch Angaben über die sexuelle Orientierung und über Erklärungen, die jemand staatlichen Stellen gegenüber hierzu abgegeben hat. Die Beweiserhebung, die der angegriffene Beweisbeschluss vorsieht, schließt die Offenbarung diesbezüglicher Informationen gegenüber einem nicht näher umgrenzten Kreis von Personen in dem Staat, in dem die Beschwerdeführerin wegen ihrer Homosexualität verfolgt zu werden angibt, ein. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist nicht schrankenlos gewährleistet. Der Einzelne muss vielmehr Einschränkungen dieses Rechts im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen. Auch Eingriffe auf prozessrechtlicher Grundlage müssen dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit genügen (vgl. BVerfGE 65, 1 43 f.>; 78, 77 85>). Unabhängig von der Frage, wie eine Beweiserhebung durch Einholen amtlicher Auskünfte und eine Beweiserhebung durch Zeugenvernehmung mit ihren jeweiligen gesetzlichen Grundlagen voneinander abzugrenzen sind, ist hier jedenfalls der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt. Eine Sachverhaltsermittlung im Heimatumfeld der Beschwerdeführerin, die zu einer unumkehrbaren Preisgabe sensibler personenbezogener Informationen an Dritte führt, kann, soweit sie nicht wegen unvertretbarer verfolgungsauslösender oder verfolgungsverschärfender Wirkungen ausscheidet, lediglich das letzte Mittel der Sachverhaltsaufklärung sein.

Der pauschal gehaltene Beweisbeschluss ethält keine grundrechtssichernden Vorkehrungen. Das Verwaltungsgericht hätte sich vorrangig in mündlicher Verhandlung einen persönlichen Eindruck von der Beschwerdeführerin und ihrer Glaubwürdigkeit zu verschaffen und gegebenenfalls weitere weniger eingreifende Möglichkeiten der Sachverhaltsaufklärung erkunden müssen.