VG Göttingen

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Zitieren als:
VG Göttingen, Beschluss vom 17.03.2005 - 3 B 272/05 - asyl.net: M6464
https://www.asyl.net/rsdb/M6464
Leitsatz:

§ 14 a AsylVfG ist nicht auf Kinder anwendbar, die vor dem 1.1.2005 in das Bundesgebiet eingereist oder hier geboren worden sind.

 

Schlagwörter: Serbien und Montenegro, Albaner, Kosovo, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Asylantrag, Antragsfiktion, Anzeigepflicht, Entscheidungszeitpunkt, Kinder, in Deutschland geborene Kinder, Zuwanderungsgesetz, Übergangsregelung, Altfälle
Normen: AsylVfG § 36 Abs. 4 S. 1; AsylVfG § 14a Abs. 2; VwGO § 138 Nr. 3; GG Art. 103Abs. 1; AsylVfG § 78 Abs. 3
Auszüge:

§ 14 a AsylVfG ist nicht auf Kinder anwendbar, die vor dem 1.1.2005 in das Bundesgebiet eingereist oder hier geboren worden sind.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die aufschiebende Wirkung der Klage ist antragsgemäß anzuordnen, weil an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides vom 25.2.2005 ernstliche Zweifel im Sinne von § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG bestehen. Der angefochtene Bescheid dürfte allein deshalb keinen Bestand haben, können, weil bei summarischer Prüfung die Vorschrift des § 14a AsylVfG auf die Antragsteller nicht anzuwenden ist. Eine Anwendung des § 14a Abs. 1 AsylVfG scheidet aus, weil zum Zeitpunkt der ausländerbehördlichen Meldungen ein Asylverfahren der Eltern der Antragsteller nicht (mehr) anhängig war.

Doch auch § 14a Abs. 2 AsylVfG dürfte entgegen der Annahme der Antragsgegnerin nicht eingreifen.

Schon der Wortlaut der vorgenannten Norm dürfte eine Anwendung auf die Antragsteller nicht zulassen, da diese erkennbar weder am 1.1.2005 oder danach in das Bundesgebiet eingereist oder hier geboren worden sind. Hätte der Bundesgesetzgeber gewollt, dass von dem ab 1.1.2005 geltenden § 14a Abs. 2 AsylVfG auch Kinder erfasst werden, die vor dem 1.1.2005 in das Bundesgebiet eingereist sind oder hier geboren worden sind, hätte er nach dem Sprachgebrauch des Zuwanderungsgesetzes bzw. des AsylVfG a.F. eine andere Formulierung gewählt, indem er den 1. Halbsatz des § 14a Abs. 2 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG sinngemäß etwa wie folgt gefasst hätte:

"Ist ein lediges, unter 16 Jahre altes Kind des Ausländers nach dessen Asylantragstellung ins Bundesgebiet eingereist" (vgl. insoweit § 15a Abs. 1 Satz 1 znd Abs. 6 AufenthG sowie § 87a Abs. 1 Satz 2 AsylVfG ) "oder ist es hier geboren worden" (vgl. insoweit § 104 Abs. 3 AufenthG). Selbst wenn man den Wortlaut des § 14a Abs. 2 AsylVfG entgegen der Ansicht der Antragsteller nicht für "eindeutig" halten wollte, deutet er jedenfalls nicht darauf hin, dass die Neuregelung auch alle bei ihrem In-Kraft-Treten am 1.1.2005 vorhandenen "Altfälle" hat erfassen wollen.

Würde der ab 1.1.2005 geltende § 14a Abs. 2 AsylVfG u.a.- wie im Falle der Antragsteller - auch für alle vor dem 1.1.2005 im Bundesgebiet geborenen minderjährigen ledigen Kinder von ehemaligen Asylbewerbern gelten, wäre dies eine Rückbewirkung von belastenden Rechtsfolgen für Sachverhalte eines Zeitraums, in dem die Gesetzesvorschrift mangels Verkündung noch nicht rechtlich existent war. Mit der "fiktiven" Asylantragstellung können gravierende aufenthaltsrechtliche Konsequenzen verbunden sein. Nach § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylVfG ist ein unbegründeter Asylantrags als offensichtlich unbegründet anzulehnen, wenn er für einen nach diesem Gesetz handlungsunfähigen Ausländer (d.h. beispielsweise für ein Kind vor Vollendung des 16. Lebensjahres, § 12 Abs.1 AsylVfG) gestellt worden ist, nachdem zuvor Asylanträge der Eltern oder des allein sorgeberechtigten Elternteils unanfechtbar abgelehnt worden sind. Geht man davon aus, dass als "gestellter Asylantrag" im Sinne des § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylVfG auch ein solcher anzusehen ist, der nach § 14a Abs. 1 oder 2 AsylVfG als gestellt gilt, ist nach § 10 Abs. 3 Satz 2 und 3 AufenthG beispielsweise die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 oder 5 AufenthG vor der Ausreise ausgeschlossen. Selbst wenn der Vertreter eines ledigen minderjährigen Kindes unter 16 Jahren nach § 14a Abs. 3 AsylVfG auf die Durchführung eines Asylverfahrens für das Kind verzichten würde, dürfte dem Kind, wenn man diesen Verzicht mit einer Rücknahme des Asylantrages gleichsetzen würde, nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG vor der Ausreise nur eine Aufenthaltserlaubnis nach Maßgabe des Abschnitts 5 (§§ 22 bis 26) des AufenthG erteilt werden, es sei denn, es greift die Ausnahmevorschrift des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG (Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis) ein. Eine Rückbewirkung von belastenden Rechtsfolgen wäre bei verfahrensrechtlichen Regelungen zwar nicht ohne Weiteres unzulässig, erforderte aber jedenfalls eine rechtsstaatlich gebotene eindeutige Übergangsregelung (vgl. BverfG, Beschluss vom 7.7.1992 - 2 B BvR 1631, 728/90 -, NVwZ 1992, 1182/1183). Zwar hat der Gesetzgeber des Zuwanderungsgesetzes bezogen auf die Änderungen des AsylVfG eine Übergangsregelung erlassen (vgl. § 87b AsylVfG), diese bezieht sich aber zweifelsfrei nicht auf die hier in Rede stehende Problematik des § 14a AsylVfG.

Dem Gesetzgeber des Zuwanderungsgesetzes musste nach Ansicht des Gerichts im Übrigen bekannt sein, dass die Anwendung des neuen § 14a AsylVfG auf "Altfälle" wie den der Antragsteller einer ausdrücklicher Übergangsregelung bedurft hätte. Die Norm mit ihrer Fiktion der Asylantragstellung für ledige Kinder bis zum vollendeten 16. Lebensjahr, durch die verhindert werden soll, dass durch sukzessive Asylantragstellung überlange Aufenthaltszeiten in Deutschland ohne aufenthaltsrechtliche Perspektive für die Betroffenen entstehen (vgl. BTDrucks. 15/420, S. 108), geht maßgeblich auf einem Gesetzesantrag des Landes Niedersachsen ("Entwurf eines Gesetzes zur des Änderung des Asylverfahrensgesetzes") zurück. Vor Einbringung des Gesetzesantrages im Bundesrat hat das Nds. Justizministerium u.a. die Präsidenten aller niedersächsischen Verwaltungsgerichte um Stellungnahme gebeten. Der damalige Präsident VG Göttingen hat in seinem Bericht an den Präsidenten des Nds. OVG zu diesem Gesetzesantrag vom 14.4.2004 - Geschäfts- Nr.: 373/6 - zu Artikel 3 Inkrafttreten) ausdrücklich festgestellt, ihm erschienen "Übergangsregelungen unverzichtbar" (Bericht S. 9). Beispielsweise sei "dringend regelungsbedürftig" (Bericht, a.a.O.), ob etwa die formellen Vorschriften dieses Gesetzes "ausnahmsweise, nur teilweise oder überhaupt nicht auch für Ausländer gelten sollen, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eingereist bzw. im Bundesgebiet geboren worden sind, für die aber bisher kein eigener Asylantrags gestellt worden ist (vgl. § 14a E-AsylVfG)". Wenn der Bundesgesetzgeber trotz solcher Hinweise Übergangsvorschriften zu § 14a AsylVfG nicht getroffen hat, spricht dies dafür, dass er sie nicht etwa "vergessen" hat, sondern dass er sie bewusst nicht hat treffen wollen.

Mangels einer im AsylVfG enthaltenen oder einer anderweitig im Zuwanderungsgesetz bestimmen und hier anwendbaren Übergangsvorschrift ist davon auszugehen, dass § 14a AsylVfG nur Sachverhalte erfassen soll, bei denen minderjährige ledige Kinder von Asylbewerber oder ehemaligen Asylbewerbern ab 1.1.2005 ins Bundesgebiet einreisen oder ab 1.1.2005 hier geboren werden. Zu diesem Personenkreis gehören die Antragsteller aber zweifelsfrei nicht.

Ist aber hiernach § 14a Abs. 2 AsylVfG aller Voraussicht nach unanwendbar, ist der angefochtene der Antragsgegnerin vom 25.2.2005, der trotz Fehlens eines rechtswirksam gestellten oder als gestellt geltenden Asylantrages (vgl. § 13 AsylVfG) erlassen worden ist, rechtswidrig (vgl. VGH Kassel, Urteil vom 27.2.1985 – I OE 50/81 -, NVwZ 1985, 498).