VG Saarland

Merkliste
Zitieren als:
VG Saarland, Urteil vom 09.03.2005 - 10 K 328/03.A - asyl.net: M6466
https://www.asyl.net/rsdb/M6466
Leitsatz:

Keine nichtstaatliche Verfolgung von ethnischen Minderheiten im Kosovo.

 

Schlagwörter: Serbien und Montenegro, Kosovo, Ashkali, Gruppenverfolgung, Verfolgung durch Dritte, Mittelbare Verfolgung, UNMIK, KFOR, Schutzbereitschaft, Sicherheitslage, Übergriffe, Schutzfähigkeit
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 5; AufenthG § 60 Abs. 7; EMRK Art. 3
Auszüge:

Keine nichtstaatliche Verfolgung von ethnischen Minderheiten im Kosovo.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Soweit die Kläger hauptsächlich begehren, die Beklagte zu verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen und zu ihren Gunsten jeweils ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG festzustellen, ist ihre Verpflichtungsklage zwar zulässig, aber unbegründet.

Nach der - den Beteiligten bekannten - ständigen und obergerichtlich bestätigten Rechtsprechung der Kammer ist eine sowohl von Art. 16 a Abs. 1 GG als auch von § 51 Abs. 1 AuslG vorausgesetzte staatliche bzw. staatlich zurechenbare Verfolgung sowohl von albanischen Volkszugehörigen als auch von Angehörigen ethnischer Minderheiten im Kosovo zu verneinen (vgl. grundlegend die Urteile der Kammer vom 21.06.1999 - 10 K 109/97.A u.a.- und 16.02.2000 -10 K 578/99.A- bzgl. al­banischer Volkszugehöriger sowie vom 25.09.2002 -10 K 127/02.A und 10 K 211/02.A- bzgl. Minderheitenangehöriger; vgl. auch OVG des Saarlandes, Urteile vom 20.09.1999 -3 R 29/99-, m.w.N. sowie vom 26.01.2004 -1 R 26/03).

Entgegen der von ihnen geäußerten Rechtsansicht ergibt sich aus der Ablösung des § 51 Abs. 1 AuslG durch § 60 Abs. 1 AufenthG und der damit verbundenen Rechtsänderung im Ergebnis nichts anderes. Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Auch kann, was nunmehr mit Satz 4 c der Vorschrift anerkannt wird, eine Verfolgung von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern erwiesenermaßen weder der Staat noch Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen, noch internationale Organisationen in der Lage oder willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten; dabei gilt dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine inländische Fluchtalternative. Die somit nach § 60 Abs. 1 Satz 4 c AufenthG aufgestellten Voraussetzungen zur Feststellung einer Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure sind vorliegend - bezogen auf die Gruppe der ethnischen Minderheiten im Kosovo - bei Zugrundelegung der aktuellen Verhältnisse im Kosovo (jedenfalls) deshalb nicht erfüllt, weil die die staatliche Gewalt ausübenden UN-Kräfte (UNMIK und KFOR) sowohl willens als auch hinreichend in der Lage sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten. Die bisherige Rechtsprechung der Kammer beansprucht daher auch nach der neuen Rechtsprechung weiterhin Geltung.

Der gegenteiligen Rechtsansicht der Kläger, die sich im Wesentlichen auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts Stuttgart in dessen Eil-Beschluss vom 31.1.2005 stützt, kann nicht gefolgt werden, da dort mit Blick auf die Ereignisse vom März 2004 unzutreffend prognostiziert bzw. geschlussfolgert wird, die UNMIK und ihre Hilfskräfte seien i.S.d. § 60 Abs. 1 Satz 4 c AufenthG erwiesenermaßen nicht in der Lage, den betroffenen Minderheiten Schutz vor Verfolgung zu bieten. Zwar ist zuzugeben, dass sowohl KFOR als auch UNMIK und die sie unterstützenden einheimischen Polizeieinheiten überrascht wurden angesichts dessen, wie plötzlich, in welcher Schwere und in welchem Ausmaß die ethnisch motivierten Auseinandersetzungen im März 2004 auftraten. Es mag daher auch sein, dass seitens der Sicherheitskräfte in diesem Moment zu langsam, zu unentschlossen und zum Teil auch ineffektiv reagiert wurde. Es muss aber auch gesehen werden, dass zuvor wegen des Anscheins einer stetigen Verbesserung der Sicherheitslage die Präsenz und auch zahlenmäßige Stärke der militärischen Einheiten verringert worden war und allein dies es schon erheblich erschwerte, dem plötzlichen Ausbruch von Gewalt seitens albanischer Täter effektiv Einhalt zu gebieten. Es erscheint indes verfehlt, anzunehmen, durch die Ereignisse während der wenige Tage andauernden März-Unruhen sei erwiesen, dass UNMIK und KFOR aktuell bzw. zukünftig nicht in der Lage seien, den betroffenen Minderheiten Schutz vor ähnlichen Übergriffen seitens nichtstaatlicher Akteure zu bieten (so aber das VG Stuttgart in seinem Beschluss vom 31.1.2005 (A 10 K 13481/04)).

Dem ist vielmehr entgegen zu halten, dass nach dem Ausbruch der Unruhen umgehend mit einer wirkungsvollen Verstärkung der UN-Truppen reagiert wurde und der UNHCR in seinem Bericht (UNHCR-Position vom 30.3.2004 zur Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo im Lichte der jüngsten ethnisch motivierten Auseinandersetzungen) dazu feststellt, dass "die Lage zum jetzigen Zeitpunkt dank der raschen Entsendung von zusätzlichen NATO-Streitkräften unter Kontrolle gebracht werden konnte". An dieser Situation hat sich bis heute nichts Wesentliches geändert (vgl. dazu die abgestimmte Niederschrift über Gespräche zwischen Vertretern von UNMIK und einer deutschen Delegationen in Berlin am 31.8. und 1.9.2004 über Fragen der Rückführung von Minderheiten in das Kosovo, abgedruckt in Asyl-info 11/2 1004, S. 41: Danach hat sich laut UNMIK die Sicherheitslage im Kosovo seit den Ereignissen im März 2004 zwar zu einem gewissen Maße stabilisiert, das jetzige Umfeld sei jedoch einer zwangsweisen Rückführung von Ashkali und Ägypter nicht förderlich; vgl. ferner den Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Serbien und Montenegro (Kosovo) vom 4.11.2004).

Dies bedeutet auf der einen Seite, dass sich für die ethnischen Minderheiten im Kosovo, insbesondere für Roma und Serben, die Sicherheitslage tendenziell verschlechtert hat und auch die schon zuvor eingeschränkte Bewegungsfreiheit noch weniger gewährleistet werden kann. Auf der anderen Seite ist es UNMIK und KFOR aber gelungen, während der Unruhen die (vollständige) Kontrolle über die Sicherheitslage zurückzugewinnen und bis heute im Wesentlichen für Ruhe und Ordnung im Kosovo zu sorgen. Vor diesem Hintergrund ist gerade nicht erwiesen, dass UNMIK und KFOR unfähig wären, ethnische Minderheiten vor Verfolgung durch albanische Volkszugehörige wirkungsvoll zu schützen. Es kommt daher nicht maßgeblich darauf an, ob "die kosovarische Gesellschaft gefährlich instabil ist und auch in der Zukunft das Potenzial für ähnliche Eskalationen hat" (so die Schweizerische Flüchtlingshilfe in ihrem Bericht vom 24.5.2004: Kosovo - Update zur Situation der ethnischen Minderheiten nach den Ereignissen vom März 2004).

Entscheidend ist mit Blick auf § 60 Abs. 1 Satz 4 c AufenthG vielmehr, dass angesichts des zuvor Gesagten die zurzeit die staatliche Gewalt im Kosovo ausübenden UN-Kräfte (UNMIK und KFOR) bereits wirkungsvoll auf die ethnischen Spannungen vom März 2004 reagiert haben, seither die Sicherheit der ethnischen Minderheiten gewährleistet worden ist (wobei lückenloser Schutz nicht verlangt werden kann) und die Sicherheitskräfte die Lage nunmehr realistischer bzw. vorsichtiger einschätzen.

Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis 4 und 5 AufenthG lassen sich nicht feststellen.

Dies gilt zunächst offenkundig mit Blick auf die Vorschriften in § 60 Abs. 2 bis 4 AufenthG. Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, dass Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 AuslG vorliegen. Danach darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 02.09.1997 9 C 40.96 -, BVerwGE 105, 187; vgl. zur a.A.: Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte -EGMR-, vgl. etwa Entscheidung vom 07.03.2000 - Nr. 43844/98-, InfAuslR 2000, 321, m.w.N. (T.J..1. Vereinigtes Königreich)) kommt ein Abschiebungshindernis nach dem wortgleichen früheren § 53 Abs. 4 AuslG i. V. m. Art. 3 EMRK nur dann in Betracht, wenn die dem Ausländer im Ziel staat drohende Misshandlung vom Staat oder einer staatsähnlichen Organisation ausgeht oder zu verantworten ist. Hieran fehlt es vorliegend. Zur Begründung wird zunächst auf die den Beteiligten bekannte ständige Rechtsprechung der Kammer zur asylrechtlichen Beurteilung der Lage im Kosovo verwiesen. Nach den ergänzenden Ausführungen zu Ziffer 1. kann ferner dahinstehen, ob - wie die Kläger meinen - die erwähnte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 53 Abs. 4 AuslG wegen der durch § 60 Abs. 1 (Satz 4 c) AufenthG geschaffenen Rechtslage überholt ist und nunmehr auch im Rahmen der Prüfung des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art 3 EMRK berücksichtigt werden muss, ob menschenrechtswidrige Maßnahmen durch nichtstaatliche Akteure drohen. Es wäre nämlich insoweit kein anderer bzw. strengerer Maßstab als bei der Untersuchung des § 60 Abs. 1 AufenthG anzulegen, so dass die diesbezüglichen obigen Ausführungen hier entsprechend gelten.

Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 AufenthG sind ebenfalls nicht gegeben. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll ("darf” i.d.F. des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG) von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer (landesweit) eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.

Soweit die Kläger geltend machen, der Volksgruppe der Ashkali anzugehören und deshalb im Falle einer Rückkehr von allgemein dieser ethnischen Minderheit drohenden Gefahren betroffen zu sein, ist ein Anspruch auf Feststellung eines solches Abschiebungshindernisses indes nicht dargelegt.

Ein Schutz vor Abschiebung in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 AuslG kommt indessen nicht in Betracht, weil trotz der Übergriffe auf Ashkali und Ägypter im Kosovo nicht angenommen werden kann, dass jeder Angehörige dieser Volksgruppen im Fall der Rückkehr in den Kosovo im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 27.11.1997 - 9 C 58.96 -, des weiteren OVG des Saarlandes, Beschluss vom 12.09.2003 -1 Q 72/03 - m.w.Nw. zur Rechtsprechung) dort überall "flächendeckend" landesweit und darüber hinaus nicht irgendwann, sondern alsbald nach einer Rückkehr "sehenden Auges dem sicheren Tod" oder "schwersten Verletzungen" ausgeliefert wäre.