VG Aachen

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Zitieren als:
VG Aachen, Urteil vom 01.04.2005 - 9 K 393/04.A - asyl.net: M6475
https://www.asyl.net/rsdb/M6475
Leitsatz:
Schlagwörter: Syrien, Wiederaufgreifen des Verfahrens, Hepatitis C, Hepatitis B, Kinderlähmung, Krankheit, Orthopädische Erkrankung, Behinderte, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse
Normen: VwVfG § 51; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Zunächst liegen die Voraussetzungen nicht vor, unter denen das Bundesamt verpflichtet ist, das die Feststellung von Abschiebungshindernissen betreffende Verfahren wieder aufzugreifen.

Bezüglich seiner Hepatitserkrankung fehlt es im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs.1 Satz 1 AsylVfG) schon an einem substantiierten Vortrag einer ihm günstigen Änderung der Sach- oder Rechtslage im Verhältnis zu der der früheren Asylentscheidung zugrunde gelegten Sachlage. Gemäß dem Bericht der Universitätsklinik C. , Medizinische Klinik und Poliklinik I, vom 4. Februar 2005 ist vielmehr davon auszugehen, dass bei dem Kläger mittlerweile eine ausgeheilte chronische Hepatitis C-Virusinfektion vorliegt. Die Hepatitis B-Virusinfektion hat danach ebenfalls auf die durchgeführte virustatische Kombinationstherapie sehr positiv angesprochen.

Bezüglich der erstmals am 19. Juli 2004 gegenüber dem Gericht geltend gemachten Schwerbehinderung, die sich namentlich auf eine Kinderlähmung (Poliomyelitis) gründen dürfte, gilt Gleiches. Eine Änderung der Sachlage gegenüber dem Bundesamtsbescheid vom 30. Juli 2001 ist vom Kläger zu keinem Zeitpunkt geltend gemacht - geschweige denn substantiiert - worden. Hinzu kommt, dass die schlüssige Darlegung dieses Gesichtspunkts binnen der Antragsfrist des § 51 Abs. 3 VwVfG nicht erkennbar ist.

Was schließlich die auf den Zustand nach Kinderlähmung zurückgehenden orthopädischen Erkrankungen des Klägers anbetrifft, so fehlt es ebenfalls an der Substantiierung einer Sachlagenänderung i.S.v. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG. Ausweislich des Berichts des Universitätsklinikum C., Klinik und Poliklinik für Orthopädie, vom 20. Januar 2005 ist der Kläger mittlerweile mit einer so genannten Donjoy-Orthese versorgt.

Unabhängig hiervon ist anzumerken, dass die geltend gemachten Erkrankungen in der Sache selbst nicht auf ein zielstaatsbezogenes krankheitsbedingtes Abschiebungshindernis im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen. Insoweit ist allerdings zunächst darauf hinzuweisen, dass sich aus der Krankheit eines Ausländers ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ergeben kann, wenn sich diese Krankheit in seinem Heimatstaat verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind. Ein zwingendes Abschiebungshindernis in diesem Sinne wird durch unzureichende Behandlungsmöglichkeiten im Heimatstaat allerdings nur dann begründet, wenn die konkrete Gefahr einer erheblichen Gesundheitsbeeinträchtigung anzunehmen ist. Ob die Gefahr der Verschlechterung der Gesundheit durch die individuelle Konstitution des betreffenden Ausländers (mit)bedingt ist, ist rechtlich nicht entscheidend.

Erheblich ist eine Gesundheitsgefahr, wenn eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten ist. Es muss mit anderen Worten davon auszugehen sein, dass sich die Krankheit des betreffenden Ausländers bei einer Rückkehr in seinen Heimatstaat wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern wird. Konkret ist eine derartige Gefahr, wenn diese Verschlechterung alsbald nach der Rückkehr eintritt. Bei alledem ist neben der fehlenden Verfügbarkeit einer notwendigen ärztlichen Behandlung oder Medikation für die in Rede stehende Krankheit(en) im Herkunftsstaat auch in den Blick zu nehmen, ob trotz an sich zur Verfügung stehender ärztlicher und medikamentöser Behandlungsmöglichkeit sonstige Umstände im Zielstaat anzunehmen sind, die dazu führen, dass der betroffene Ausländer diese medizinische Versorgung nicht erlangen kann (vgl. BVerwG, Urteile vom 29. Oktober 2002 - 1 C 1.02 -, vom 15. Oktober 1999 - 9 C 7/99 -, veröffentlicht in juris, vom 21. September 1999 - 9 C 8/99 -, NVwZ 2000, 206, 207, vom 29. Juli 1999 - 9 C 2/99 -, veröffentlicht in juris, und vom 25. November 1997 - 9 C 58/96 -, NVwZ 1998, 524 ff.; OVG NRW, Beschluss vom 20. Oktober 2000 - 18 B 1520/00 -).

Darüber hinaus sind im vorliegenden, gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichteten Verfahren ausschließlich solche Abschiebungshindernisse berücksichtigungsfähig, die zielstaatsbezogen sind. Ihnen stehen Gefahren gegenüber, die sich aus der Abschiebung als solcher ergeben. Sie sind ausschließlich von der Ausländerbehörde als inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse zu berücksichtigen. Letzteres ist bei Krankheiten anzunehmen, wenn befürchtete negative Auswirkungen allein durch die Abschiebung und nicht wegen der besonderen Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung eintreten. Derartige Abschiebungsfolgen führen selbst dann nicht zu einem zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wenn sie besonders nachhaltig oder sogar mit Lebensgefahr verbunden sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. September 1999 - 9 C 8/99 -, a. a. O).

Gemessen an diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen für die Annahme einer krankheitsbedingten zielstaatsbezogenen Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vor. Die vorgelegten Bescheinigungen geben bereits nichts dafür her, dass sich die geltend gemachten Erkrankungen des Klägers bei einer Rückkehr nach Syrien wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechterten, falls jegliche Behandlung ausbliebe. Darüber hinaus ist nichts dafür ersichtlich, dass etwaige nennenswerte Verschlechterungen alsbald nach der Rückkehr einträten. Im Übrigen besteht nach den aktuellen Erkenntnissen des Gerichts kein Anhalt für die Annahme, etwaig erforderliche Behandlungen könnten auf der Grundlage des in Syrien bestehenden - und vom Kläger hinzunehmenden - Gesundheitssystems mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht in einem Umfang durchgeführt werden, der das Vorliegen einer besonders nachhaltigen oder sogar mit Lebensgefahr verbundenen Verschlechterung des Gesundheitszustands ausschließt (vgl. Auswärtiges Amt (AA), Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Syrien (Lagebericht) vom 13. Dezember 2004 (Stand: November 2004)).