VG Arnsberg

Merkliste
Zitieren als:
VG Arnsberg, Urteil vom 14.01.2005 - 12 K 521/04.A - asyl.net: M6477
https://www.asyl.net/rsdb/M6477
Leitsatz:
Schlagwörter: Serbien und Montenegro, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, Entscheidungszeitpunkt, Zuwanderungsgesetz, Ermessen, Ermessensfehler, Frist
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1 S. 1; AsylVfG § 73 Abs. 2a
Auszüge:

Die Klage hat Erfolg. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 28. Januar 2004 ist rechtswidrig (geworden) und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO)

Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung waren die Anerkennung als Asylberechtigter und die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes vorliegen, unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorlagen. Auch nach § 73 AsylVfG in der zum 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Fassung sind die Anerkennung als Asylberechtigter und die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (bis zum 31. Dezember 2004 § 51 AuslG) vorliegen, unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Jedoch bestimmt der neu eingefügte § 73 Abs. 2 a AsylVfG, dass die Prüfung, ob die Voraussetzungen für einen Widerruf nach Absatz 1 vorliegen, spätestens nach Ablauf von drei Jahren nach Unanfechtbarkeit der Entscheidung zu erfolgen hat. Das Ergebnis ist der Ausländerbehörde mitzuteilen. Ist nach der Prüfung ein Widerruf oder eine Rücknahme nicht erfolgt, so steht eine spätere Entscheidung nach Absatz 1 oder Absatz 2 im Ermessen.

Gemäß § 77 AsylVfG ist in Streitigkeiten nach diesem Gesetz auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen. Bei dem vorliegenden Verfahren handelt es sich angesichts dessen, dass der Widerruf auf § 73 AsylVfG gestützt ist, um eine Streitigkeit nach diesem Gesetz. Dies bewirkt auch bei einer -­ wie hier - vorliegenden Anfechtungsklage, dass für die Frage der Rechtmäßigkeit des zu prüfenden Bescheides nicht auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, sondern auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abzustellen ist mit der Folge, dass die seit dem 1. Januar 2005 geltende Rechtslage nach dem AsylVfG anzuwenden ist. Die Regelung des § 77 Abs. 1 AsylVfG greift empfindlich in das gewachsene und bewährte System des Verwaltungsrechtsschutzes ein, weil es dem VG/OVG/VGH hinsichtlich der Anfechtungsklagen die Entscheidung über Sachverhalte überträgt, die der Behörde zuvor u.U. nicht vorgelegen haben. Anders als bei Verpflichtungsklagen wird damit unmittelbar in die verwaltende Tätigkeit gestaltend eingegriffen, also nicht bloß Exekutivtätigkeit kontrolliert (Vgl.: Renner, Ausländerrecht, Kommentar, 7. Auflage, AsylVfG § 77 Rdnr. 3).

Die Anwendung der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bewirkt, dass der Widerrufsbescheid rechtswidrig (geworden) ist. Der Bescheid des Bundesamtes betreffend die Feststellung nach § 51 AuslG datiert vom 16. Oktober 1997. Die Verfügung des Vizepräsidenten des Bundesamtes betreffend die Einleitung des Widerrufsverfahrens erging am 13. Oktober 2003. Die Prüfung, ob die Voraussetzungen für einen Widerruf vorliegen, ist nicht, wie § 73 Abs. 2 a AsylVfG zwingend vorschreibt, spätestens nach Ablauf von drei Jahren nach Unanfechtbarkeit der Entscheidung, sondern erst etwa sechs Jahre nach deren Unanfechtbarkeit erfolgt. Eine spätere Entscheidung steht aber nach § 73 Abs. 2 a Satz 3 AsylVfG im Ermessen, das vorliegend nicht ausgeübt worden ist. Dieser Ermessensnichtgebrauch führt zur (nachträglichen) Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides. Dem steht nicht entgegen, dass nach Ablauf der drei Jahre nach Unanfechtbarkeit eine Prüfung seitens des Bundesamtes weder tatsächlich erfolgt ist noch nach der alten Rechtslage veranlasst war. Die fehlende Prüfung darf dem Asylbewerber nicht zum Nachteil gereichen, da dessen Rechtsposition nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers jeweils der neuen - gegebenenfalls für den Asylbewerber günstigeren - Rechtsposition angepasst werden soll, wie auch das Fehlen einer die vorliegende Fallkonstellation erfassenden Übergangsregelung zeigt.