OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16.03.2005 - 18 B 1751/04 - asyl.net: M6487
https://www.asyl.net/rsdb/M6487
Leitsatz:

Türkische Arbeitnehmer i.S.d. Assoziationsratsbeschluss Türkei/EWG 1/80 sind Unionsbürgern nicht aufenthaltsrechtlich gleichgestellt.

 

Schlagwörter: Beschwerdebegründung, Beschwerde, Zuwanderungsgesetz, Türken, Ausweisung, Straftäter, Drogendelikte, Drogenabhängigkeit, Drogentherapie, Assoziationsratsbeschluss EWG/Türkei, Assoziationsberechtigte
Normen: VwGO § 146 Abs. 4 S. 3; ARB Nr. 1/80 Art. 14 Abs. 1; AufenthG § 4 Abs. 1; AufenthG § 4 Abs. 5; FreizügG-EU § 1 Abs. 2 Nr. 1; FreizügG-EU § 11 Abs. 1; RL 2004/38/EG Art. 28 ff
Auszüge:

Türkische Arbeitnehmer i.S.d. Assoziationsratsbeschluss Türkei/EWG 1/80 sind Unionsbürgern nicht aufenthaltsrechtlich gleichgestellt.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO muss die Beschwerdebegründung u. a. die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Dies erfordert, dass der Antragsteller mit schlüssigen Gegenargumenten auf die entscheidungstragenden Gründe des erstinstanzlichen Beschlusses eingeht. Es ist von ihm aufzeigen, was nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts noch Gegenstand der Überprüfung durch das Beschwerdegericht sein soll und weshalb die diesbezüglichen Entscheidungsgründe aus seiner Sicht nicht tragfähig sind. Dabei hat sich die Beschwerde an der Begründungsstruktur der angefochtenen Entscheidung zu orientieren (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 14. Januar 2005 - 18 B 2452/04 -; VGH Mannheim, Beschluss vom 12. April 2002 - 7 S 653/02 -, NVwZ 2002, 883).

Dessen ungeachtet wäre die Beschwerdebegründung unter keinem Gesichtspunkt geeignet, die auch nach dem inzwischen durch das Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) vom 30. Juli 2004 - BGBl. I S. 1950 - zum 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG) weiterhin zutreffenden Gründe des angefochtenen Beschlusses in Frage zu stellen.

Insoweit ist zunächst klarzustellen, dass sich die Erfolgsaussichten des Widerspruchs und einer etwa nachfolgenden Anfechtungsklage gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 12. Juli 2004 nunmehr nach dem Aufenthaltsgesetz beurteilen. Das gilt auch dann, wenn mit dem Verwaltungsgericht zugunsten des Antragstellers von einer ihm zukommenden Rechtsposition aus Art. 7 ARB 1/80 ausgegangen wird. Die Assoziationsberechtigung eines türkischen Staatsangehörigen führt nicht auf die Anwendung des ebenfalls durch das Zuwanderungsgesetz in Kraft getretenen Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU - FreizügG-EU -). Zwar hat der Europäische Gerichtshof wiederholt entschieden (- zuletzt Urteil vom 11. November 2004 - Rs. C- 467/02 (Cetinkaya) - Rn. 42, InfAuslR 2005, 13 -), dass die im Rahmen des Art. 39 EG (vormals Art. 48 EG-Vertrag) geltenden Grundsätze über die Freizügigkeit der Unionsbürger so weit wie möglich auf türkische Arbeitnehmer, welche die im Beschluss ARB 1/80 eingeräumten Rechte besitzen, übertragen werden sollen, und das Bundesverwaltungsgericht hat die Übertragung dieser Grundsätze auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige im Rahmen des Ausweisungsschutzes ausdrücklich bestätigt. (gl. BVerwG, Urteil vom 3. August 2004 - 1 C 29.02 -, InfAuslR 2005, 26).

Dies bedeutet, dass bei der Bestimmung des Umfangs der in Art. 14 ARB 1/80 vorgesehenen Beschränkung der Rechte aus diesem Beschluss darauf abzustellen ist, wie die gleiche Maßnahme im Bereich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der EU besitzen, erfolgen dürfte (vgl. erneut EuGH, Urteil vom 11. November 2004 - Rs. C-467/02 (Cetinkaya) - Rn. 43, InfAuslR 2005, 13).

Daraus folgt jedoch nicht, dass türkische Staatsangehörige, die ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 besitzen, rechtlich wie Unionsbürger zu behandeln sind. Die zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Türkei bestehenden Assoziationsregelungen zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer beinhalten nicht eine vollständige Gleichstellung von türkischen Arbeitnehmern in Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft mit Gemeinschaftsangehörigen, sondern dienen der schrittweisen Herstellung der Freizügigkeit türkischer Arbeitnehmer (vgl. Art. 36 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation vom 23. November 1970 - BGBl. 1972 II S. 385 -; Senatsbeschluss vom 20. Mai 2003 - 18 B 962/03 - m.w.N).

Davon ausgehend bleibt es dem nationalen Gesetzgeber unbenommen, auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige das allgemeine Ausländerrecht unter Berücksichtigung der Sonderstellung dieses Personenkreises für anwendbar zu erklären. Dies ist im Aufenthaltsgesetz geschehen. So wird in dessen § 4 Abs. 1 und Abs. 5 davon ausgegangen, dass für Ausländer, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht, das Aufenthaltsgesetz in vollem Umfang und nicht nur - wie für Unionsbürger durch § 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG und durch die Verweisung in § 11 Abs. 1 FreizügG-EU geregelt - in sehr eingeschränktem Umfang gilt. Demzufolge finden auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige auch die Vorschriften der §§ 50, 51 AufenthG für die Begründung der Ausreisepflicht Anwendung. Nach § 50 Abs. 1 AufenthG ist ein Ausländer zur Ausreise verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt und ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei nicht oder nicht mehr besteht (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 29. Dezember 2004 - 12 TG 3649/04 -).

Mit den aufgezeigten Regelungen im Aufenthaltsgesetz korrespondieren diejenigen des Freizügigkeitsgesetzes/EU. Nach seinem eindeutigen Wortlaut erfasst es ausschließlich Unionsbürger (§ 1 FreizügG-EU). Nur diese sollen nach dem gesetzgeberischen Willen grundsätzlich nicht mehr dem Anwendungsbereich des Aufenthaltsgesetzes unterfallen (vgl. BT-Drucks. 15/420, S. 62).

Der Anwendung der Regelungen des Aufenthaltsgesetzes über die Begründung der Ausreisepflicht auf türkische Assoziationsberechtigte steht auch nicht entgegen, dass diese weiterhin ausgewiesen werden dürfen, während § 6 FreizügG/EU für Unionsbürger und deren Familienangehörigen lediglich die Feststellung des Verlustes des Rechts auf Einreise und Aufenthalt ermöglicht. Ungeachtet der Frage, ob zwischen beidem materiellrechtlich ein Unterschied zu sehen ist, wird den Assoziationsberechtigten schon deshalb keine gemeinschaftsrechtliche Position genommen, weil das Gemeinschaftsrecht nach der Rechtsprechung des EuGH (vgl. Urteil vom 29. April 2004 - Rs. C-482/01 und C-493/01 (Orfanopoulos und Olivieri) -, InfAuslR 2004, 268) einer Ausweisung grundsätzlich nicht entgegen steht, was nunmehr auch die Art. 28 ff. der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates der Europäischen Union vom 29. April 2004 (Amtsblatt der EU, L 158/77 vom 30.4.2004) verdeutlichen, die konkrete Vorgaben für die Ausweisung von Unionsbürgern und ihrer Familienangehörigen beinhalten.