VG Göttingen

Merkliste
Zitieren als:
VG Göttingen, Urteil vom 02.03.2005 - 4 A 152/03 - asyl.net: M6503
https://www.asyl.net/rsdb/M6503
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung eines iranischen Staatsangehörigen wegen Gefährdung durch Veröffentlichung regimekritischer Karikaturen im Internet.

 

Schlagwörter: Iran, Monarchisten, CPI, Exilpolitische Betätigung, Nachfluchtgründe, Karikatur, Internet, Situation bei Rückkehr, Menschenrechtswidrige Behandlung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Flüchtlingsanerkennung eines iranischen Staatsangehörigen wegen Gefährdung durch Veröffentlichung regimekritischer Karikaturen im Internet.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Kläger hat Anspruch auf Bewilligung von Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG).

Das Gericht folgt der Auffassung des Nds. Oberverwaltungsgerichts (z. B. Urt. v. 26.10.1999 - 5 L 3180/99 -, aufrecht erhalten z. B. im Urt. v. 13.03.2001 - 5 L 687/00), wonach die Annahme einer zur politischen Verfolgung führenden Einstufung als politischer Gegner nur dann gerechtfertigt ist, wenn die exilpolitische Tätigkeit den Staatssicherheitsbehörden cherheitsbehörden bekannt geworden und anzunehmen ist, dass diese Behörden sie als erhebliche, den Bestand des Staates gefährdende oppositionelle Betätigung bewerten werden. Dies wiederum erfordert, dass der Ausländer sich bei seinen Aktivitäten persön-lich exponiert hat, also im organisatorischen Bereich aufgefallen oder sonst namentlich in Erscheinung getreten ist. Eine einfache Mitgliedschaft in von den Staatssicherheitsbehörden im Iran für oppositionell und regimefeindlich gehaltenen Organisationen und eine bloße Teilnahme an deren Veranstaltungen führt nicht zur Einstufung als von Verfolgung bedrohter Gegner des iranischen Staates. Letzteres ist auch im Fall privater oder öffentlicher Äußerungen der Unzufriedenheit und der Kritik an der iranischen Regierung oder der politischen oder wirtschaftlichen und sozialen Lage des Landes nicht ohne Weiteres anzunehmen. Werden hingegen die Werte der Islamischen Revolution und des schiitischen Islam verunglimpft und richtet sich die Kritik gegen das System des "Velayat-e Faghih" (Herrschaft der Gottesgelehrten) selbst, so gerät derjenige, der diese Kritik äußert, in erhebliche Gefahr, politisch verfolgt zu werden.

Die bloße Mitgliedschaft des Klägers in monarchistisch ausgerichteten Organisationen und seine untergeordnete Betätigung für sie führt nach den vorstehenden Grundsätzen nicht dazu, in seinem Fall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungsgefahr anzunehmen. Der Kläger hat sich jedoch in augenfälliger Weise aus der Masse der iranischen Asylsuchenden heraus bewegt, indem er Karikaturen gefertigt und im Internet veröffentlicht hat, die die Mullahs verächtlich zu machen geeignet sind. Der Kläger treibt seine in allen Karikaturen zum Ausdruck kommende Kritik an der Regierung schiitischer Geistlicher im Iran auf die Spitze, indem er beispielsweise die iranische Justiz als Mullah (wohl Ayatollah Hashemi Shahrudi) darstellt, der einen Koran unter dem Arm trägt und den durch die Justiz Verfolgten mit der von ihm gehaltenen Waage nur die Alternativen Gefängnis oder Tod bietet. Massive Kritik am iranischen Klerus übt der Kläger auch dadurch, dass er in einem anderen Bild zum Ausdruck bringt, Gott sei tot, seit die Mullahs an der Macht seien. In einer weiteren Karikatur zeigt er den ehemaligen Staatspräsidenten Rafsandjani, dem derzeitigen Vorsitzenden des Schlichtungsrates, und legt einem Sprecher die Worte in den Mund, Rafsandjani würde "in die Hose machen", sofern es zu einem Referendum des Volkes über die künftige Regierung des Iran kommen würde.

Der Kläger hat sich mit seiner Meinungsäußerung weit von den Maßstäben des iranischen Regimes entfernt und die Werte der islamischen Revolution öffentlich beschimpft und verunglimpft. Das Gericht ist auch davon überzeugt, dass die Veröffentlichung den iranischen Sicherheitskräften bekannt geworden ist, da der Iran grundsätzlich allen oppositionellen Gruppen und regimekritischen Einzelpersonen im Exil im Rahmen seiner Aufklärungsaktivitäten Beachtung schenkt und die Anhänger dieser Gruppen Ziel einer permanenten Ausspähung durch den iranischen Nachrichtendienst sind (Bundesamt für Verfassungsschutz, Auskunft vom 16.01.2004 an das VG Frankfurt am Main). Aus diesem Grund ist im Fall der Rückkehr des Klägers in sein Heimatland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass er im Rahmen der Einreisekontrollen von den iranischen Behörden als ernstzunehmender Regimegegner eingestuft und in die Gefahr körperlicher Misshandlung oder sogar in Lebensgefahr geraten würde. Er hat daher einen Anspruch auf Gewährung von Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG.