VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 06.04.2005 - 16 K 1378/03.A - asyl.net: M6508
https://www.asyl.net/rsdb/M6508
Leitsatz:

§ 60 Abs. 7 AufenthG wegen mehrerer Erkrankungen; desolate medizinische Versorgung im Irak.

 

Schlagwörter: Irak, Krankheit, Schlaganfall, Diabetes Mellitus, Herzerkrankung, Hypertonie, Multiple Erkrankungen, Medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit, Allgemeine Gefahr, Abschiebungsstopp, Erlasslage
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

§ 60 Abs. 7 AufenthG wegen mehrerer Erkrankungen; desolate medizinische Versorgung im Irak.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Hingegen besteht für die Klägerin ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG.

Die Klägerin leidet an einem Zustand nach Apoplexie mit Hemiparese rechts und Sprachstörung, Diabetes mellitus mit diabetischer Polyneuropathie, kompensierter Herzinsuffizienz bei KHK und Hypertonie sowie degenerativen Wirbelsäulenbeschwerden.

Auf Grund dieser Erkrankungen ist sie auf die Einnahme einer Vielzahl von Medikamenten angewiesen, wie sich aus dem Attest des behandelnden Arztes vom 4. März 2004 ergibt. Zwei dieser Medikamente, nämlich das Antiepileptikum Gabapentin und das gegen arterielle Hypertonie und Herzinsuffizienz indizierte Coversum (Perindoprilerbumin) sind ausweislich der Auskunft der Deutschen Botschaft Bagdad vom 18. Dezember 2004 im Irak nicht erhältlich, auch eine vergleichbare medikamentöse Behandlung der betr. Erkrankungen der Klägerin kann der Auskunft zufolge nicht sichergestellt werden. Die übrigen Medikamente - mithin auch das Insulin - gibt es dort zwar, bei einer Rückkehr in ihr Heimatland zum gegenwärtigen Zeitpunkt wären aber auch diese der Klägerin voraussichtlich nicht zugänglich, genauso wenig wie die notwendige ärztliche Behandlung (die ausweislich der o.g. Auskunft ohnehin allenfalls in Bagdad und Großstädten wie Basra und Mosul möglich ist). Denn die Klägerin könnte die dafür erforderlichen finanziellen Mittel, die sich der Auskunft zufolge auf monatlich ca. 100 Euro belaufen dürften, voraussichtlich nicht aufbringen. Es ist nicht damit zu rechnen, dass die jetzt 63-jährige Klägerin, die Analphabetin ist und nie einer Erwerbstätigkeit nachgegangen ist, nunmehr im Irak eine solche Tätigkeit aufnehmen könnte, um so ein entsprechendes Einkommen zu erzielen. Schon auf Grund ihres Alters und der Schwere ihrer Erkrankungen dürfte dies auszuschließen sein. Sollte die Klägerin eine Rente erhalten, so würde diese nicht ausreichen, um die Kosten zu tragen (ausweislich der Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe in ihrer Übersicht über die aktuelle Lage im Irak vom Mai 2004 - Ziff. 6.3 - sind die Pensionen auf 25,00 CHF angehoben worden und wurden auch nicht regelmäßig ausgezahlt). Schließlich ist auch nicht zu erwarten, dass die Klägerin die erforderlichen finanziellen Mittel von Verwandten erhalten würde. Ihre Kinder leben in der Bundesrepublik Deutschland und gehen keiner Erwerbstätigkeit nach. Und dass sie die notwendige finanzielle Unterstützung von ihrer noch im Irak lebenden Schwester oder gar den Verwandten ihres verstorbenen Ehemannes erhalten würde, ist nicht wahrscheinlich, zumal diese angesichts der allgemein äußerst schwierigen wirtschaftlichen Situation im Irak und der dort gezahlten geringen Entlohnung (laut Schweizerischer Flüchtlingshilfe erhalten Verwaltungsangestellte durchschnittlich 60 Dollar) hierzu selbst gar nicht in der Lage sein dürften.

Der Feststellung, eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG steht nicht die Sperrwirkung von Satz 2 dieser Vorschrift entgegen, wonach Gefahren in diesem Staat, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Entscheidungen der obersten Landesbehörde nach § 60a AufenthG berücksichtigt werden. Auch wenn die Gesundheitsversorgung im Irak als desolat zu bezeichnen ist und die Erkrankungen der Klägerin nicht singulär sind, so würde - die befürchtete Gesundheitsgefahr die Klägerin hier doch individuell und aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls treffen.

Die Zuerkennung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG scheidet auch nicht wegen eines bestehenden anderweitigen Schutzes vor Abschiebung aus. Zwar sind irakische Staatsangehörige auf Grund der bestehenden nordrhein-westfälischen Erlasslage entsprechend § 60a Abs. 1 AufenthG gegenwärtig vor einer Abschiebung geschützt. Dieser vorübergehende Abschiebungsschutz ist aber nicht vergleichbar mit der Aufenthaltserlaubnis, die einem Ausländer gern. § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Aussetzung der Abschiebung nach § 60 Abs. 7 AufenthG erteilt werden soll.