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Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 08.02.2005 - 1 C 29.03 - asyl.net: M6528
https://www.asyl.net/rsdb/M6528
Leitsatz:

1. Ein Rechtsschutzinteresse für die Klage auf Gewährung von asylrechtlichem Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (früher § 51 Abs. 1 AuslG) wegen Verfolgung im Staat der Staatsangehörigkeit besteht auch dann, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in dem ablehnenden Bescheid weder die Abschiebung in diesen Staat angedroht noch eine Feststellung über das Nichtbestehen von Abschiebungsverboten hinsichtlich dieses Staates getroffen hat.

2. Wer in einem anderen Staat bereits Schutz vor politischer Verfolgung im Staat seiner Staatsangehörigkeit gefunden hat und weiterhin erlangen kann, hat keinen Anspruch auf Anerkennung als Flüchtling nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG.

 

Schlagwörter: Türkei, Syrien, Jesiden, Verfolgungssicherheit, Rechtsschutzinteresse, Abschiebungsandrohung, Zielstaatsbezeichnung, Genfer Flüchtlingskonvention, Flüchtlingsbegriff, Staatsangehörigkeit, Staatsangehörigkeit ungeklärt, Beweiswürdigung, Nachweis, Pass, Mittelbare Verfolgung, Gruppenverfolgung, Religiös motivierte Verfolgung, Objektive Nachfluchtgründe, Zuwanderungsgesetz
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; GFK Art. 1 A Nr. 2; GFK Art. 1 E; VwGO § 108 Abs. 1 S. 1; AsylVfG § 27; RL 2004/83/EG Art. 12 Abs. 1b
Auszüge:

1. Ein Rechtsschutzinteresse für die Klage auf Gewährung von asylrechtlichem Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (früher § 51 Abs. 1 AuslG) wegen Verfolgung im Staat der Staatsangehörigkeit besteht auch dann, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in dem ablehnenden Bescheid weder die Abschiebung in diesen Staat angedroht noch eine Feststellung über das Nichtbestehen von Abschiebungsverboten hinsichtlich dieses Staates getroffen hat.

2. Wer in einem anderen Staat bereits Schutz vor politischer Verfolgung im Staat seiner Staatsangehörigkeit gefunden hat und weiterhin erlangen kann, hat keinen Anspruch auf Anerkennung als Flüchtling nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG.

(Amtliche Leitsätze)

 

Das Berufungsgericht hätte die Beklagte nicht zur Gewährung von Abschiebungsschutz wegen politischer Verfolgung und damit zur Anerkennung der Klägerin als politischer Flüchtling verpflichten dürfen, ohne Feststellungen dazu zu treffen, ob die Klägerin bereits in Syrien hinreichenden Schutz vor politischer Verfolgung durch die Türkei erlangt hat und ihr dieser Schutz auch weiterhin zur Verfügung steht; dann könnte sie nämlich wegen der Subsidiarität des internationalen Flüchtlingsschutzes eine Flüchtlingsanerkennung durch die Beklagte nicht mehr beanspruchen (1. bis 3.). Auch die Aufhebung der Abschiebungsandrohung hinsichtlich Syriens in dem Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge - jetzt Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - (Bundesamt) kann deshalb keinen Bestand haben (4.).

1. Zu Recht ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass die Klage der Klägerin zulässig ist. Insbesondere fehlt ihr für das Begehren auf Zuerkennung von Abschiebungsschutz wegen politischer Verfolgung in der Türkei entgegen der Ansicht der Revision nicht das erforderliche Rechtsschutzinteresse.

a) Rechtsgrundlage für dieses Begehren ist nunmehr nach In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) vom 30. Juli 2004 (BGBl I S. 1950) § 60 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG) - Art. 1 Zuwanderungsgesetz -. Diese Bestimmung ist mit Wirkung vom 1. Januar 2005 an die Stelle des bisher einschlägigen § 51 Abs. 1 AuslG getreten (Art. 15 Abs. 3 Zuwanderungsgesetz). Da das Berufungsgericht, wenn es jetzt entschiede, diese Rechtsänderung mangels besonderer Übergangsregelungen zu beachten hätte (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG), ist die neue Rechtslage auch für die Entscheidung des Revisionsgerichts maßgeblich (stRspr, vgl. Urteile vom 17. Dezember 1976 - BVerwG 7 C 69.74 - BVerwGE 52, 1, 3 und vom 12. Juli 2001 - BVerwG 3 C 14.01 - NVwZ-RR 2002, 93 = Buchholz 442.10 § 65 StVG Nr. 1).

b) Ein Rechtsschutz - bzw. Sachentscheidungsinteresse an der Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich der Türkei kann der Klägerin nicht bereits deshalb abgesprochen werden, weil sich die (negativen) Feststellungen zu § 51 Abs. 1 und § 53 AuslG in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamts nicht auf die Türkei, sondern nur auf Syrien beziehen und der Klägerin in dem Bescheid eine Abschiebung nur nach Syrien, nicht aber in die Türkei angedroht worden ist. Der gegenteiligen, von der Revision und Teilen der obergerichtlichen Rechtsprechung vertretenen Auffassung (vgl. etwa OVG Magdeburg, Urteil vom 2. April 2003 - A 3 S 567/99 -; VGH Mannheim, Beschluss vom 1. März 2004 - A 13 S 38/03 -; VGH München, Beschluss vom 18. Dezember 2003 - 9 B 01/31217 - , sämtlich nicht veröffentlicht; a.A. OVG Hamburg, Beschluss vom 11. Oktober 2001 - 2 Bs 4/00.A - InfAuslR 2002, 268) ist nicht zu folgen. Diese Auffassung beruft sich zu Unrecht auf das Urteil des erkennenden Senats vom 4. Dezember 2001 - BVerwG 1 C 11.01 - (BVerwGE 115, 267). In diesem Urteil hat der Senat nur entschieden, dass das Begehren auf Verpflichtung zur Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG (jetzt § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG) hinsichtlich solcher Staaten, bezüglich derer im Bescheid des Bundesamts weder eine negative Feststellung zu § 53 AuslG getroffen noch eine Abschiebung angedroht worden ist, unzulässig ist, weil für die Klage insoweit schon das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis fehlt (a.a.O., S. 270 f.). Für einen gleichsam vorbeugenden Rechtsschutz gegen eine Abschiebung in Zielstaaten, die von der Behörde noch nicht erkennbar ins Auge gefasst sind, besteht danach kein Bedürfnis. Diese für den subsidiären ausländerrechtlichen Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG entwickelten Grundsätze gelten aber nicht für den asylrechtlichen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (früher § 51 Abs. 1 AuslG), der sowohl verfahrensrechtlich als auch materiellrechtlich anders ausgestaltet ist.

So ist nach § 31 Abs. 2 AsylVfG das Bundesamt grundsätzlich (außer bei Gewährung von Familienasyl, § 31 Abs. 5 AsylVfG) verpflichtet, auf einen beachtlichen Asylantrag hin "ausdrücklich festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen …". Dementsprechend hat der Betroffene auch einen Anspruch auf eine solche Entscheidung, unabhängig davon, ob eine Abschiebung in den behaupteten Verfolgerstaat oder in einen anderen Staat beabsichtigt ist, und auch unabhängig davon, ob ihm bereits ein anderweitiges Aufenthaltsrecht zusteht (vgl. § 55 Abs. 2 AsylVfG). Etwas anderes gilt lediglich in dem Fall, dass das Bundesamt den Asylantrag nach Maßgabe von § 29 AsylVfG als unbeachtlich behandelt. Da das Bundesamt den Asylantrag der Klägerin als beachtlich angesehen und beschieden hat, steht ihr ein Anspruch auf Sachentscheidung über ihren Antrag auf Gewährung von asylrechtlichem Abschiebungsschutz zu. Schon insofern ist die Rechtslage bei der Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 AufenthG anders als bei der Feststellung von den ausländerrechtlichen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG (vgl. das Urteil vom 4. Dezember 2001 a.a.O. S. 271 ff. zum Fehlen eines Anspruchs auf Feststellungen zu § 53 AuslG bezüglich weiterer Staaten).

Vor allem verbieten aber die gesetzlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen des asylrechtlichen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 1 AufenthG eine Übertragung der vom Senat in dem genannten Urteil zum ausländerrechtlichen Abschiebungsschutz entwickelten Grundsätze. Während über den ausländerrechtlichen Abschiebungsschutz in Bezug auf die einzelnen in Betracht kommenden Staaten jeweils gesondert und ggf. mit unterschiedlichem Ergebnis entschieden werden kann, handelt es sich bei dem Anspruch auf asylrechtlichen Abschiebungsschutz, auch wenn mehrere Staaten als Verfolgerstaaten in Betracht kommen, grundsätzlich um einen unteilbaren Streitgegenstand, über den nur einheitlich entschieden werden kann. Denn er kann, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, nicht losgelöst von der Frage der Staatsangehörigkeit des Ausländers und der Schutzgewährung durch den Staat der Staatsangehörigkeit bzw. - bei Staatenlosen - durch den Staat des gewöhnlichen Aufenthalts beurteilt werden. Dies lässt sich zwar nicht unmittelbar dem Wortlaut des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG entnehmen, nach dem in Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl II 1953 S. 559) - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) - ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden darf, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Damit gibt diese Bestimmung ebenso wie der bisherige § 51 Abs. 1 AuslG sowie dessen Vorgängervorschrift in § 14 Abs. 1 Satz 1 AuslG 1965 "nur" das Refoulement-Verbot des Art. 33 Abs. 1 GFK wieder. Der Bezug zum Staat der Staatsangehörigkeit ergibt sich aber daraus, dass der Gesetzgeber in § 3 AsylVfG die allein dem Bundesamt vorbehaltene Feststellung des asylrechtlichen Abschiebungsschutzes mit der Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach der Genfer Flüchtlingskonvention verbunden hat. Nach dieser Bestimmung ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge oder ein Gericht unanfechtbar festgestellt hat, dass ihm in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, die in § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes bezeichneten Gefahren drohen. Dies wiederum ist eine verkürzte Fassung der Flüchtlingsdefinition in Art. 1 A Nr. 2 GFK, wonach Flüchtling im Sinne dieses Abkommens jede Person ist, "die aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtung nicht in Anspruch nehmen will; oder die sich als Staatenlose infolge solcher Ereignisse außerhalb des Landes befindet, in welchem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht dorthin zurückkehren will". Das Bundesverwaltungsgericht hat deshalb in ständiger Rechtsprechung zu § 51 Abs. 1 AuslG entschieden, dass die Vorschrift nur eine verkürzte Wiedergabe des Art. 1 A Nr. 2 GFK darstellt und daher so auszulegen und anzuwenden ist, dass beide Begriffe übereinstimmen (vgl. Urteile vom 21. Januar 1992 - BVerwG 1 C 21.87 - BVerwGE 89, 296 und vom 18. Januar 1994 - BVerwG 9 C 48.92 - BVerwGE 95, 42 <45, 53>).

Auch und gerade mit Blick auf die nunmehr in § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG aufgenommene ausdrückliche Verweisung auf die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention ist an dieser Rechtsprechung festzuhalten. Zur Vermeidung von Missverständnissen weist der Senat darauf hin, dass der erforderliche Bezug der Verfolgungsgefahr zum Staat der Staatsangehörigkeit nichts damit zu tun hat, von welchen Akteuren politische Verfolgung ausgehen kann (vgl. dazu nunmehr § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG).

In der Flüchtlingsdefinition des Art. 1 A Nr. 2 GFK kommt das der Konvention zugrunde liegende Prinzip der Subsidiarität des internationalen Schutzes gegenüber dem Schutz durch den Staat der Staatsangehörigkeit oder - bei Staatenlosen - durch den Staat des gewöhnlichen Aufenthalts zum Ausdruck, wie es im Übrigen auch für das Asylrecht nach Art. 16 a GG gilt (Urteil vom 18. Oktober 1983 - BVerwG 9 C 158.80 - BVerwGE 68, 106 = Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 14 S. 35 <37>). Das bedeutet zum einen, dass der internationale Schutz nach der Konvention grundsätzlich nur bei Verfolgung im Staat der Staatsangehörigkeit oder - bei Staatenlosen - im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts eingreift, und zum anderen, dass die Schutzgewährung durch den Staat der Staatsangehörigkeit oder - bei Staatenlosen - durch den Staat des gewöhnlichen Aufenthalts die Flüchtlingseigenschaft ausschließt (vgl. hierzu auch Urteil vom 6. August 1996 - BVerwG 9 C 172.95 - BVerwGE 101, 328 <335>). Im Handbuch des UNHCR über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft (September 1979) heißt es in Nr. 90 dementsprechend: "Wie dargelegt, muss sich die begründete Furcht des Antragstellers vor Verfolgung auf das Land beziehen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Solange seine Furcht vor Verfolgung sich nicht auf das Land bezieht, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, kann er den Schutz dieses Landes in Anspruch nehmen und auch in dieses Land zurückkehren. Er bedarf keines internationalen Schutzes und ist daher auch kein Flüchtling."

Der asylrechtliche Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG kann deshalb regelmäßig nur zuerkannt werden, wenn die Staatsangehörigkeit des Betroffenen geklärt ist. Offen bleiben kann diese nur, wenn hinsichtlich sämtlicher als Staat der Staatsangehörigkeit in Betracht kommender Staaten die Gefahr politischer Verfolgung entweder bejaht oder verneint werden kann. Daraus folgt in verfahrensrechtlicher Hinsicht, dass der asylrechtliche Abschiebungsschutz - anders als der subsidiäre ausländerrechtliche Abschiebungsschutz - nicht isoliert bezogen auf einen einzelnen Abschiebezielstaat geprüft und abgeschichtet werden kann. Vielmehr sind alle Staaten in die Prüfung einzubeziehen, deren Staatsangehörigkeit der Betroffene möglicherweise besitzt oder in denen er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Dies gilt unabhängig davon, in welchem Stadium des asylrechtlichen Verfahrens sich der Betroffene auf die Staatsangehörigkeit eines Staates und eine ihm dort drohende politische Verfolgung beruft. Nur diese Einordnung wird im Übrigen dem Charakter der Feststellung zu § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als gleichzeitiger verbindlicher Statusentscheidung gemäß §§ 3 und 4 AsylVfG gerecht. Daraus folgt zugleich, dass ein Rechtsschutzinteresse der Klägerin an der begehrten Feststellung zu § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich der Türkei, als deren Staatsangehörige sie sich betrachtet, entgegen der von der Revision und Teilen der obergerichtlichen Rechtsprechung vertretenen Auffassung nicht verneint werden kann.

2. Das Berufungsgericht ist ferner ohne Verstoß gegen Bundesrecht zu der Auffassung gelangt, dass die Klägerin die türkische Staatsangehörigkeit besitzt und ihr bei einer Rückkehr in die Türkei als praktizierender Jezidin dort wegen ihrer Religion Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG droht. Die dieser Einschätzung zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts - hierzu gehören auch die Feststellungen zum ausländischen Recht und zur ausländischen Rechtspraxis - sind für das Revisionsgericht bindend (§ 137 Abs. 2 VwGO), da sie nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffen worden sind. Soweit die Angriffe der Revision in den Schriftsätzen vom 23. Dezember 2004 und 2. Februar 2005 gegen diese Ausführungen im Berufungsurteil auch Verfahrensrügen enthalten, sind sie jedenfalls wegen Versäumung der Begründungsfrist des § 139 Abs. 3 VwGO verspätet vorgetragen und damit unzulässig.

a) Die Feststellung des Berufungsgerichts, dass die Klägerin türkische Staatsangehörige ist, beruht entgegen der Ansicht der Revision auch nicht auf einem Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Auch der weitere Vorwurf der Revision, das Berufungsgericht hätte für den Nachweis der türkischen Staatsangehörigkeit die Vorlage entsprechender türkischer Personalpapiere durch die Klägerin verlangen müssen, führt nicht auf einen Verstoß gegen das Gebot der freien Beweiswürdigung. Hinter diesem Vorwurf steht offenbar die Auffassung, dass gleichsam im Sinne einer Beweisregel eine behauptete Staatsangehörigkeit nur durch Vorlage entsprechender Papiere dieses Staates nachgewiesen werden könne. Eine solche Beweisregel gibt es nicht. Es ist gerade Sinn und Zweck der freien richterlichen Beweiswürdigung, das Gericht nicht an starre Regeln zu binden, sondern ihm zu ermöglichen, den jeweiligen besonderen Umständen des Einzelfalles gerecht zu werden. Das Berufungsgericht hat sich seine Überzeugung von der türkischen Staatsangehörigkeit der Klägerin auf der Grundlage der von ihr vorgelegten Unterlagen, der Zeugenaussagen und verschiedener Erkenntnismittel zum türkischen und syrischen Staatsangehörigkeitsrecht gebildet und seine Würdigung im Einzelnen nachvollziehbar dargelegt. Ein wesentlicher Mangel der Beweiswürdigung im oben beschriebenen Sinn ist insoweit weder vorgetragen noch erkennbar. Die Beklagte hat auch im Revisionsverfahren keine inhaltlichen Einwände gegen die Schlussfolgerung des Berufungsgerichts erhoben, sondern lediglich die Notwendigkeit der Beschaffung entsprechender Nachweise aus der Türkei durch die Klägerin angemahnt. Im Übrigen hätte die Beklagte durch entsprechende Beweisanträge im Berufungsverfahren - etwa auf Einholung eines Gutachtens zur türkischen Rechtspraxis - auf die von ihr der Sache nach vermisste weitere Aufklärung selbst hinwirken können und müssen, anstatt im Revisionsverfahren eine fehlerhafte richterliche Überzeugungsbildung zu rügen. Der Senat weist allerdings darauf hin, dass die häufig schwierige Feststellung einer ausländischen Staatsangehörigkeit in der Regel nicht ohne Einholung von amtlichen Auskünften oder Gutachten zur einschlägigen Gesetzeslage und Rechtspraxis in dem betreffenden Staat möglich sein dürfte, wenn - wie hier - Ausweispapiere oder andere Belege und Urkunden aus dem betreffenden Staat fehlen.

b) Auch die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die Klägerin als praktizierende Jezidin in der Türkei landesweit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer mittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung wegen ihrer Religion ausgesetzt ist, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts über Art, Umfang und Intensität der Übergriffe der moslemischen Bevölkerungsmehrheit gegenüber praktizierenden Jeziden in ihren Siedlungsgebieten im Osten der Türkei und über das Fehlen einer inländischen Fluchtalternative in den übrigen Landesteilen (UA S. 14 f. unter Bezugnahme auf das Grundsatzurteil des Berufungssenats vom 24. November 2000 - 8 A 4/99.A -) sind mangels zulässiger und begründeter Verfahrensrügen der Beklagten im Revisionsverfahren als bindend zugrunde zu legen (§ 137 Abs. 2 VwGO). Dass das Berufungsgericht bei der Bewertung und Würdigung dieser Feststellungen von unzutreffenden rechtlichen Maßstäben ausgegangen ist, wie die Revision meint, ist nicht ersichtlich (vgl. die Darstellung UA S. 11bis 15). Soweit sie bemängelt, das Berufungsgericht hätte die Regelvermutung, dass Jeziden in ihren angestammten Siedlungsgebieten im Südosten der Türkei von einer mittelbaren regionalen Gruppenverfolgung betroffen sind, nicht ohne Weiteres auf die in Syrien geborene und aufgewachsene Klägerin beziehen dürfen, verkennt sie, dass eine nach der Ausreise einsetzende regionale Gruppenverfolgung im Staat der Staatsangehörigkeit bei fehlender inländischer Fluchtalternative auch denjenigen Gruppenangehörigen, die sich außerhalb ihres Staates aufgehalten haben und aufhalten, als objektiver Nachfluchtgrund zugute kommt (stRspr, vgl. etwa Urteil vom 30. April 1996 - BVerwG 9 C 171.95 - BVerwGE 101, 134, 137 m.w.N.). Der zusätzlichen Feststellung einer individuellen Betroffenheit des unverfolgt ausgereisten Asylbewerbers bedarf es insoweit nicht.

3. Allerdings hätte das Berufungsgericht der Klägerin Abschiebungsschutz als politischer Flüchtling nicht ohne Prüfung der Frage zuerkennen dürfen, ob sie nicht bereits in Syrien, wo sie sich von ihrer Geburt an bis zur Ausreise nach Deutschland aufgehalten hat, ausreichende Sicherheit vor politischer Verfolgung durch die Türkei gefunden hat und auch weiterhin finden kann. Zwar trifft es zu, dass § 27 AsylVfG in Fällen einer - dort im Einzelnen definierten - anderweitigen Sicherheit vor Verfolgung in einem sonstigen Drittstaat nur die Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16 a Abs. 1 GG, nicht aber den Abschiebungsschutz für Flüchtlinge nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausschließt (vgl. zur Vorgängervorschrift des § 27 AsylVfG Urteil vom 6. April 1992 - BVerwG 9 C 143.90 - BVerwGE 90, 127 m.w.N.). Das bedeutet indes nicht, dass der Umstand, dass der Ausländer zuvor jahrelang - im Falle der Klägerin sogar ausschließlich - in einem anderen Staat gelebt hat und dort vor der befürchteten Verfolgung durch den Staat seiner Staatsangehörigkeit sicher war, für den Anspruch auf Anerkennung als Flüchtling in der Bundesrepublik Deutschland gänzlich außer Betracht bleiben kann. Ein derart weitgehender Schluss lässt sich auch nicht aus der Formulierung herleiten, dass das Asylbegehren und das Begehren auf Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG deckungsgleich seien, soweit es die Verfolgungshandlung, das geschützte Rechtsgut und den politischen Charakter der Verfolgung betreffe, dass die Asylanerkennung darüber hinaus aber den Zusammenhang zwischen Verfolgung und Flucht sowie das Fehlen anderweitigen Verfolgungsschutzes verlange (vgl. Urteil vom 18. Februar 1992 - BVerwG 9 C 59.91 - Buchholz 402.25 § 7 AsylVfG Nr. 1 S. 1 <3>). Denn damit ist lediglich gemeint, dass die für den Asylanspruch normierten Maßstäbe für das Bestehen einer anderweitigen Sicherheit nicht auch unbesehen für den asylrechtlichen Abschiebungsschutz gelten, nicht aber, dass der Gesichtspunkt der anderweitig erlangten Sicherheit in einem Drittstaat im Hinblick auf den Grundsatz der Subsidiarität des internationalen Flüchtlingsschutzes stets - etwa auch bei einer Rückkehrmöglichkeit in diesen Drittstaat - unbeachtlich sein soll. Das Bundesverwaltungsgericht hat im Übrigen in keiner Entscheidung asylrechtlichen Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG zugebilligt, obwohl festgestellt war, dass der Asylbewerber in einem Drittstaat tatsächlich sicher war und dorthin zurückkehren konnte. Auch der Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention ist vom Grundsatz der Subsidiarität des Konventionsschutzes sowohl im Verhältnis zum Schutz durch den Staat oder die Staaten der Staatsangehörigkeit des Betroffenen als auch im Verhältnis zum einmal erlangten Schutz in einem anderen (Dritt-)Staat geprägt. Er vermittelt grundsätzlich kein Recht auf freie Wahl des Zufluchtlandes und insbesondere kein Recht auf freie Wahl eines Zweit- oder Drittzufluchtlandes (vgl. hierzu Henkel in GK-AsylVfG § 27 Rn. 17 ff.), sondern stellt insoweit lediglich sicher, dass der Flüchtling nicht in den Verfolgerstaat abgeschoben oder der Gefahr einer solchen Abschiebung in einem Drittstaat (Kettenabschiebung) ausgesetzt werden darf (Refoulement-Verbot). Hat der Flüchtling bereits ausreichende Sicherheit vor Verfolgung in einem anderen Staat gefunden, kann er - unbeschadet des in jedem Falle unbedingt zu beachtenden Verbots der Abschiebung in den Verfolgerstaat - darüber hinaus grundsätzlich nicht mehr seine Anerkennung als Flüchtling sowie das damit verbundene qualifizierte Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland (§ 25 Abs. 2 AufenthG) beanspruchen.

Dieser Grundsatz der Subsidiarität kommt beispielsweise auch in dem Ausschlussgrund nach Art. 1 E GFK zum Ausdruck, nach dem das Abkommen nicht auf eine Person anzuwenden ist, die von den zuständigen Behörden des Landes, in dem sie ihren Aufenthalt genommen hat, als eine Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten hat, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Landes verknüpft sind (vgl. hierzu auch Art. 12 Abs. 1 b der bereits in Kraft getretenen Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004, ABl vom 30. September 2004 L 304/12, wonach ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen ist, wenn er von den zuständigen Behörden des Landes, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Landes verknüpft sind, bzw. gleichwertige Rechte und Pflichten hat, vgl. ferner Handbuch des UNHCR a.a.O. Nr. 144 bis 146)). Abgesehen von diesem in der Genfer Flüchtlingskonvention für eine besondere Konstellation ausdrücklich geregelten Ausschluss von der Flüchtlingseigenschaft folgt aus dem Grundsatz der Subsidiarität des internationalen Flüchtlingsschutzes aber auch, dass eine Flüchtlingsanerkennung in einem Zweit- oder Drittzufluchtsland nicht verlangt werden kann, wenn der Ausländer bereits in einem sonstigen Drittstaat vor politischer Verfolgung tatsächlich sicher war und voraussichtlich auch sicher bleiben wird und wenn seine Rückführung oder Rückkehr in diesen Staat möglich ist. Dieses Verständnis liegt auch Art. 25, 26 der noch nicht im Amtsblatt veröffentlichten Richtlinie des Rates über Mindestnormen für das Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung oder Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ratsdokument 8771/04) zugrunde. Danach können die Mitgliedstaaten künftig Asylanträge u.a. als unzulässig betrachten, wenn ein Drittstaat als erster Asylstaat des Asylbewerbers betrachtet wird, nämlich wenn der Asylbewerber in dem betreffenden Staat als Flüchtling anerkannt wurde und er diesen Schutz weiterhin in Anspruch nehmen kann oder ihm in dem betreffenden Staat anderweitig ausreichender Schutz, einschließlich der Anwendung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung gewährt wird, vorausgesetzt, dass er im Hoheitsgebiet dieses Staates wieder aufgenommen wird. Mit Rücksicht auf den Grundsatz der Subsidiarität hätte das Berufungsgericht deshalb prüfen und feststellen müssen, ob die Klägerin in Syrien vor asylrelevanten Übergriffen tatsächlich sicher war und weiterhin sicher wäre und ob sie nach Syrien zurückkehren kann. Da das Berufungsgericht hierzu bisher keine Feststellungen getroffen hat, kann der Senat hierüber nicht abschließend entscheiden.