Keine Verfolgung von Sandzak-Muslimen und wegen Zugehörigkeit zur SDA (Stranka Demokratske Akcije); posttraumatische Belastungsstörung behandelbar in Serbien und Montenegro; Finanzierung der medizinischen Behandlung durch Krankenversicherung sichergestellt.
Keine Verfolgung von Sandzak-Muslimen und wegen Zugehörigkeit zur SDA (Stranka Demokratske Akcije); posttraumatische Belastungsstörung behandelbar in Serbien und Montenegro; Finanzierung der medizinischen Behandlung durch Krankenversicherung sichergestellt.
(Leitsatz der Redaktion)
Der Kläger zu 1. hat aber auch keinen Anspruch auf Gewährung von Abschiebungsschutz im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG.
Ebenso wenig besteht eine Verfolgungsgefahr aufgrund der Zugehörigkeit des Klägers zu 1. zu der Bevölkerungsgruppe der Muslime.
Nach der Auskunft von amnesty international kam es vor allem in den Jahren 1991 bis 1996 zu Repressionen durch staatliche Stellen gegenüber SDA-Mitgliedern. Seit 1997 habe sich die Lage allerdings insoweit gebessert, als amnesty international keine Vorfälle bekannt geworden seien, die mit den Ereignissen in den Vorjahren gemessen an Häufigkeit und Intensität vergleichbar wären (ai an VG Oldenburg vom 19.11.2002 [174]).
UNHCR berichtet, zwar sei es in den Jahren 1992-1993 in einigen Dörfern im Sandzak zu Übergriffen und Vertreibungen der muslimischen Bevölkerung durch paramilitärische Gruppierungen gekommen. Während dieser Zeit sei die serbische Polizei gegen Mitglieder und Sympathisanten der SDA vorgegangen. Häuser seien nach Waffen durchsucht worden; Parteimitglieder der SDA in Führungspositionen seien verhört worden. Gegen verschiedene Personen, wie z.B. gegen den Vorsitzenden der SDA, seien Strafverfahren eingeleitet worden (UNHCR an VG Wiesbaden vom 12.01.2000 [69]). Aber bereits 1994, so der weitere Bericht, sei es zu einer relativen Verbesserung der Situation gekommen und seit Abschluss des Friedensvertrags von Dayton seien dem UNHCR keine Berichte mehr über systematische Maßnahmen gegen Parteimitglieder der SDA zur Kenntnis gelangt (UNHCR an VG Wiesbaden vom 12.01.2000 [69]).
Nach den Beobachtungen und Informationen von UNHCR sind nach Beendigung des Kosovo-Konflikts keine größeren Reserveeinheiten der jugoslawischen Armee im Sandzak verblieben (UNHCR an VG Wiesbaden vom 12.01.2000 [69]), so dass nach alledem von einer Beruhigung und Entspannung der politischen Situation im Sandzak ausgegangen werden kann (so auch Niedersächsisches OVG, B. v. 23.05.2001 - 8 L 5439/96 -).
Seit dem Regierungswechsel in Belgrad im Jahr 2000 hat sich auch nach Einschätzung von amnesty international die Menschenrechtslage im früheren Jugoslawien im Allgemeinen und die Lage für die muslimische Minderheit im Sandzak im Speziellen weiter verbessert, auch wenn vereinzelte Diskriminierungen durch staatliche Stellen nicht ausgeschlossen werden können (ai an VG Oldenburg vom 19.11.2002 [174]).
Hinweise auf massive, gezielte staatliche Repressionen gegen Muslime gibt es nicht mehr (ebenso OVG NRW, B. v. 30.07.2001 - 5 A 4126/97.A). Dies trifft schon für die Zeit vor dem 05.10.2000 zu. Für Unzufriedenheit der Muslime und den weiterhin bestehenden Migrationsdruck ist vor allem die schlechte wirtschaftliche Lage verantwortlich, die sich auch seit dem 05.10.2000 noch nicht im erforderlichen Maße gebessert hat (AA, Lageberichte vom 16.10.2002, S. 10 [171]; vom 28.07.2003, S. 10 [192]; vom 24.02.2004, S. 10 [214]).
Dass Mitglieder der SDA keine Verfolgung mehr befürchten müssen, lässt sich auch daraus ersehen, dass die SDA auf kommunaler Ebene Regierungsverantwortung trägt. Einzelne Minderheiten experimentieren derzeit mit Modellen regionaler Kooperation auf Gemeindeebene. So haben sich u.a. die ungarisch dominierten Gemeinden der nördlichen Wojwodina und die von der SDA regierten Gemeinden des Sandzak zu Verbänden zusammengeschlossen (AA, Lageberichte vom 28.07.2003, S. 16 [192] und vom 24.02.2004, S.17 [214]).
Ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 AufenthG kann dem Kläger zu 1. ebenfalls nicht zuerkannt werden.
Durchgreifende Anhaltspunkte dafür, dass gerade dem Kläger zu 1. eine solche individuelle konkrete Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 S.1 AufenthG im Falle seiner Rückkehr nach Serbien und Montenegro drohen würde, liegen selbst dann nicht vor, wenn man zu seinen Gunsten die Aussagen in dem vorgelegten ergänzenden fachärztlich-psychiatrischen Attest der Praxis für Psychiatrie und Psychotherapie ... vom 11.06.2003 zugrundelegt. Aus diesem ergibt sich, dass der Kläger zu 1. an einer schweren chronischen komplexen posttraumatischen Belastungsstörung leidet, ausgelöst durch Folter und durch einen Angriff mit Schusswaffen bei Tötungsabsicht.
Bereits in seinem Urteil vom 17.02.2004 hat der Senat dahin erkannt, dass posttraumatische Belastungsstörungen in Serbien und Montenegro angemessen neuropsychiatrisch behandelt werden können (Hess. VGH, U. v. 17.02.2004 -7 UE 1915/02.A-) An dieser Rechtsprechung hat der Senat seither festgehalten (vgl. Hess. VGH Be. v. 20.01.2005 - 7 TG 3664/04 -; v. 19.01.2005 - 7 TG 3874/04 -; v. 05.10.2004 - 7 TG 2830/04 - u. v. 24.09.2004 - 7 TG 2563/04 -). Soweit die Behandlung aufgrund des in Serbien und Montenegro vorherrschenden medizinischen Ansatzes meist medikamentös erfolgt, genügt diese Behandlungsart grundsätzlich den nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei Anlegung des vorgeschriebenen Gefahrenmaßstabs von Rechts wegen zu stellenden Anforderungen, sofern nicht ausnahmsweise im konkreten Fall eine wesentliche oder sogar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes eintritt (Hess. VGH, Be. v. 06.05.2004 - 7 UZ 2232/03.A -, v. 13.07.2004 - 7 TG 1505/04 -, v. 04.08.2004 - 7 UZ 1646/04.A - und v. 08.11.2004 - 7 TG 2805/04 -). Insbesondere können die Voraussetzungen für ein gesundheitsbedingtes Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht an deutschen Standards gemessen werden (Hess. VGH, B. v. 14.01.2005 - 7 TG 3523/04 -).
Im Falle einer posttraumatischen Belastungsstörung, schwerer depressiver Episode und Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung kann eine psychotherapeutische Behandlung in Serbien und Montenegro fortgesetzt werden. In allen größeren staatlichen Polykliniken und Kliniken für Psychotherapie funktionieren Beratungsstellen für die mentale Gesundheit. In diesen Beratungsstellen arbeiten Psychiater, Psychologen, Sozialarbeiter, Arbeitstherapeuten usw., die als Team an der Behandlung der genannten Erkrankung teilnehmen (AA an VG Aachen vom 30.06.2004 [231]).
Das gesamte Gebiet von Serbien und Montenegro ist durch ein Netz von staatlichen medizinischen Anstalten abgedeckt, bestehend aus allgemeinen Polykliniken, medizinischen Zentren mit allgemeinen Krankenhäusern und fachärztlichen Diensten, Spezial-Krankenhäusern und medizinischen Instituten. In diesen Anstalten arbeiten Fachärzte für Neuropsychiatrie, Psychiater und klinische Psychologen, die sich mit der Behandlung von Depressionen und posttraumatischen Belastungsstörungen, wie auch anderer Erkrankungen aus dem Bereich der Psychiatrie befassen. In der letzten Zeit haben diese Anstalten beträchtliche Hilfe von internationalen humanitären Organisationen und Ländern der Europäischen Union erhalten. Es werden Pharmakotherapien und Psychotherapien durchgeführt (AA an VG Frankfurt/Main vom 28.08.2002 [167]).
Die Erkrankung des Klägers zu 1. kann auch im Gebiet Sandzak behandelt werden, z.B. im Medizinischen Zentrum Novi Pazar - Neuropsychiatrische Dienststelle -, im Allgemeinen Krankenhaus Prijepolje - Neuropsychiatrische Abteilung - und in der Polyklinik Priboj - Neuropsychiatrische Ambulanz -. Daneben besteht die Möglichkeit der Behandlung bei privaten Psychotherapeuten, für die allerdings die Patienten die Kosten selbst übernehmen müssen (Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Belgrad an VG Kassel v. 01.09.2004 [234]).
Der Kläger zu 1. muss auch nicht befürchten, dass für ihn die gebotene medikamentöse Behandlung im Rückkehrfalle aus finanziellen oder anderen Gründen tatsächlich nicht zu erlangen wäre. Nach den Erkenntnissen des Senats sind alle in Serbien und Montenegro registrierten Arbeitnehmer kraft Gesetzes bei Abführung eines Beitrages pflichtversichert; gemeldete anerkannte Arbeitslose und anerkannte Sozialhilfeempfänger sind beitragsfrei krankenversichert und werden demzufolge praktisch kostenlos behandelt, und zwar einschließlich der Versorgung mit den erforderlichen Medikamenten, soweit keine seltenen oder besonders kostspieligen Präparate benötigt werden (AA, Lagebericht vom 24.02.2004 [214]; Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Belgrad an VG Kassel vom 19.02.2004 [212]; AA an VG Köln vom 11.04.2003 [186]; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Serbien-Montenegro - Update zur sozialen und medizinischen Lage der intern Vertriebenen vom 01.03.2004 [217]).
Nach dem in Serbien und Montenegro bestehenden Instrument der Sozialhilfe wird Sozialhilfe den Bürgern gewährt, die arbeitsunfähig sind und keine Mittel zum Unterhalt nachweisen können. Außerdem sind sozialhilfeberechtigt die Bürger, die ihren Unterhalt durch ihre Arbeit allein, durch Unterhaltspflichten von Verwandten, durch ihr Vermögen oder auf andere Art und Weise nicht sichern können. Voraussetzung ist die Registrierung einer Person in Serbien und Montenegro (AA, Lagebericht vom 24.02.2004 [214]).
Auch aus der allgemeinen wirtschaftlichen Lage erwachsen dem Kläger zu 1. nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit existenzielle Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit. Die Versorgungslage einschließlich der medizinischen Versorgung ist im Sandzak für Rückkehrer dieselbe wie für andere Einwohner des Sandzak (AA an VG Stuttgart vom 26.01.2001 [133]).
Die Abschiebungsandrohung begegnet keinen Bedenken. Sie ist auch nicht etwa deshalb rechtswidrig, weil sie als Abschiebungsziel "Jugoslawien (Rest)" ausweist. Gleichwohl ist der Zielstaat, in den abgeschoben werden soll, hinreichend bestimmt, denn die Abschiebungsandrohung lässt sich so auslegen, dass damit - im Ergebnis zutreffend - Serbien und Montenegro als Zielstaat der Abschiebung bezeichnet ist. Der Staat Serbien und Montenegro ist nämlich in völkerrechtlicher Hinsicht mit der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien identisch, denn es ist eine bloße Namensänderung erfolgt, durch die kein neuer Staat entstanden ist. Der fortbestehende Staat hat sich vielmehr lediglich eine neue Verfassung und einen neuen Namen gegeben (vgl. BVerwG, U. v. 08.05.2003 - 1 C 4.02 - BVerwGE 118, 166, 174, sowie Hess. VGH, U. v. 02.01.2004 - 7 UE 372/03.A - u. v. 07.01.2005 - 7 UE 1260/04.A -).