VG Schleswig-Holstein

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Zitieren als:
VG Schleswig-Holstein, Urteil vom 05.04.2005 - 14 A 194/02 - asyl.net: M6536
https://www.asyl.net/rsdb/M6536
Leitsatz:

Verlust der aserbaidschanischen Staatsangehörigkeit, wenn am 12.12.2000 kein gemeldeter Wohnsitz in Aserbaidschan bestand; keine extreme Gefährdungslage in Berg-Karabach jedenfalls für Personen, die mit den dortigen Verhältnissen vertraut sind und in der Landwirtschaft tätig waren; Berg-Karabach stellt eine interne Fluchtalternative für Personen dar, die von dort stammen.

 

Schlagwörter: Aserbaidschan, Staatsangehörigkeit, Armenier, Sowjetunion, Gewöhnlicher Aufenthalt, Ausbürgerung, Wohnsitz, Russland, Einreiseverweigerung, Armenien, Berg-Karabach, Existenzminimum, Interne Fluchtalternative, Anerkennungsrichtlinie
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7; RL 2004/83/EG Art. 8 Abs. 1
Auszüge:

Verlust der aserbaidschanischen Staatsangehörigkeit, wenn am 12.12.2000 kein gemeldeter Wohnsitz in Aserbaidschan bestand; keine extreme Gefährdungslage in Berg-Karabach jedenfalls für Personen, die mit den dortigen Verhältnissen vertraut sind und in der Landwirtschaft tätig waren; Berg-Karabach stellt eine interne Fluchtalternative für Personen dar, die von dort stammen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Feststellung der Beklagten, dass die Voraussetzungen von § 51 Abs. 1 AuslG nicht vorliegen, ist rechtmäßig. Insofern ist jetzt auf § 60 Abs. 1 AufenthG abzustellen, § 77 Abs. 1 AsylVfG, § 86 VwGO.

Die Kläger sind keine aserbaidschanischen Staatsangehörigen.

Letztlich entscheidend ist zur Überzeugung des Gerichts, dass die Kläger auch dann, sollten sie die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit jemals erworben haben, diese jedenfalls durch das aserbaidschanische Staatsangehörigkeitsgesetz vom 30.09.1998 wieder verloren haben. Nach Art. 5 Abs. 1 dieses Gesetzes besitzen Personen die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit (weiterhin), die die Staatsangehörigkeit im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes besaßen (lt. Botschaft Baku vom 12.12.2000 an Auswärtiges Amt, Nr. 82 Erkenntnismittelliste Aserbaidschan; lt. Rat der Europäischen Union vom 01.09.2000 an CIREA, Nr. 85 c) der Erkenntnismittelliste Aserbaidschan). Als Grundlage für das Fortbestehen der Staatsangehörigkeit wird ausdrücklich die "Meldung der Person an ihrem Wohnsitz in der Republik Aserbaidschan am Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes" genannt. Damit wird ausdrücklich auf die Existenz eines faktischen Wohnsitzes und die amtliche Meldung an diesem Wohnsitz abgestellt (so ausdrücklich auch VG Schleswig, Urteil vom 02.02.2005 a.a.O.).

Die Kläger hatten aber zum fraglichen Zeitpunkt keinen faktischen Wohnsitz in Aserbaidschan mehr, so dass sie jedenfalls zu diesem Zeitpunkt die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit verloren haben.

Ist demzufolge davon auszugehen, dass die Kläger die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit nicht besitzen und Aserbaidschan auch nicht (mehr) als Land des gewöhnlichen Aufenthalts anzusehen ist, entfällt eine Prüfung der Voraussetzungen des Art. 16 a Abs. 1 GG sowie der Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 1 AufenthG im Hinblick auf Aserbaidschan.

Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger die russische oder die armenische Staatsangehörigkeit erworben haben, sind nicht vorhanden. Die russische Staatsangehörigkeit haben sie - wie den obigen Ausführungen zu entnehmen - durch die Auflösung der Sowjetunion nicht zwangsläufig erhalten.

Eigenen Angaben zufolge haben sie illegal in Russland gelebt und keine Staatsangehörigkeit erhalten. Die Beklagte hat nichts vorgetragen, was einen gegenteiligen Sachverhalt vermuten ließe.

Russland kann auch nicht als Land des gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne von § 3 AsylVfG angesehen werden. Zwar büßt ein Staat seine Eigenschaft als Land des gewöhnlichen Aufenthalts nicht allein dadurch ein, dass der Staatenlose ihn verlässt und in der Bundesrepublik Deutschland Asyl beantragt. Eine Änderung tritt jedoch dann ein, wenn er den Staatenlosen - aus im asylrechtlichen Sinne nicht politischen Gründen - ausweist oder ihm die Wiedereinreise verweigert, nachdem er das Land verlassen hat. Er löst damit seine Beziehung zu dem Staatenlosen und hört auf, für ihn Land des gewöhnlichen Aufenthalts zu sein. Er steht dann dem Staatenlosen in gleicher Weise gegenüber wie jeder andere auswärtige Staat. Die Frage, ob dem Staatenlosen auf seinem Territorium politische Verfolgung droht, wird unter asylrechtlichen Gesichtspunkten gegenstandslos (BVerwG, Urteil vom 15.10.1985 - 9 C 30185 -, NVwZ 1986, 759 f.). Diese Voraussetzungen liegen hier vor, da russische Behörden nach den vorliegenden Erkenntnissen in der Regel keine Passersatzpapiere für staatenlose ehemalige Sowjetbürger zur Einreise nach Russland ausstellen, wobei ethnische oder andere asylerhebliche Merkmale keine Rolle spielen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an VG Schleswig v. 14.10.1999, Nr. 153 Erkenntnisliste Russland).

Es liegen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vor.

Da die Kläger - jedenfalls die Klägerin zu 1) als Erwachsene - vor ihrer Ausreise in der Landwirtschaft tätig waren und mit den Verhältnissen in Berg-Karabach vertraut sind, ist hier auch keine existentielle Gefährdung für die Kläger gegeben. Die wirtschaftliche Situation mag für sie in Berg-Karabach nicht einfach sein, jedoch ist ein bloßes "Dahinvegetieren am Rande des Existenzminimums" (BVerwG, Beschluss vom 31.07.2002 - 1 B 128.02 -, ZAR 2002, 369) nicht zu erwarten. Wie das OVG Schleswig in seiner Entscheidung vom 12.12.2002 zur Frage, ob Berg-Karabach für politisch Verfolgte aus Aserbaidschan eine inländische Fluchtalternative darstellt, festgestellt hat, konnte die Negativentwicklung der wirtschaftlichen Situation in Berg-Karabach inzwischen gestoppt werden und die Situation hat sich derjenigen Armeniens angeglichen und ist nach den Feststellungen des OVG in Teilbereichen besser als in Aserbaidschan. Die Regierung Berg-Karabachs sei an einem Bevölkerungszuzug interessiert, der durch Rückkehrerprogramme gefördert werde. Die Lebens- und Versorgungssituation werde durch humanitäre Organisationen unterschiedlicher Geberländer, vor allem aber durch die armenische Diaspora in den USA verbessert (vgl. im Einzelnen OVG Schleswig, Urteil vom 12.12.2002 - 1 L 239/01 -; dem angeschlossen die 4. Kammer dieses Gerichts, u.a. Urteil vom 23.05.2003 - 4 A 434/01 -). Dem schließt sich auch die 14. Kammer jedenfalls für Asylbewerber, die aus Berg-Karabach selber stammen, hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen zur Wahrung der Rechtseinheitlichkeit an. Gerade bei den aus der Landwirtschaft stammenden Klägern armenischer Volkszugehörigkeit handelt es sich um den Personenkreis, den die Regierung von Berg-Karabach zur Stabilisierung des Landes nach Berg-Karabach holen möchte.

Eine interne Schutzalternative ist dann gegeben, wenn in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung und keine tatsächliche Gefahr besteht, einen ernsthaften Schaden zu erleiden und vom Flüchtling vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält (vgl. Artikel 8 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates). Bei der Prüfung, ob in einem Teil des Herkunftslandes diese Voraussetzungen erfüllt sind, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Flüchtlings zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen (Artikel 8 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates). Dies bedeutet, dass eine interne Schutzalternative dann zu bejahen ist, wenn dort keine existentielle Gefährdung für den Flüchtling besteht. Dies gilt auch in den Fällen, in denen diese existentielle Gefährdung ebenfalls am Herkunftsort bestanden hat bzw. weiterhin bestehen würde. Wie sich aus dem oben Gesagten ergibt, hat die Kammer keine Bedenken für Personen, die aus Berg-Karabach stammen, die Voraussetzungen für eine interne Schutzalternative in diesem Bereich zu bejahen.