VGH Bayern

Merkliste
Zitieren als:
VGH Bayern, Urteil vom 17.02.2005 - 5 B 04.392 - asyl.net: M6553
https://www.asyl.net/rsdb/M6553
Leitsatz:

1. Der Besitz eines Reiseausweises nach Art. 28 der Genfer Flüchtlingskonvention rechtfertigt eine Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit nach der Ausnahmeregelung des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StAG nur, wenn der Besitz rechtmäßig ist.

2. Die nach bayerischem Landesrecht gespaltene Kompetenzzuweisung für Anspruchseinbürgerungen (Kreisverwaltungsbehörden) und Ermessenseinbürgerungen (Regierungen) lässt den Gegenstand des Verwaltungsverfahrens unberührt, begrenzt aber den Streitgegenstand eines Verwaltungsprozesses im Falle eines in einer kreisfreien Gemeinde ansässigen Einbürgerungsbewerbers auf die Anspruchsgrundlagen, die von den Behörden des beklagten Rechtsträgers zu prüfen sind.

Schlagwörter: D (A), Einbürgerung, Anspruchseinbürgerung, Mehrstaatigkeit, Flüchtlingsausweis, Asylberechtigte, Widerruf, Zuwanderungsgesetz, Gesetzesänderung, Entscheidungszeitpunkt, Serbien und Montenegro, Kosovo, Albaner, Entlassung, Staatsangehörigkeit, Zumutbarkeit, Streitgegenstand, Zuständigkeit
Normen: StAG § 10; StAG § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 6; StAG § 12 Abs. 2 Nr. 3; AsylVfG § 73 Abs. 6; AsylVfG § 72 Abs. 2
Auszüge:

1. Der Besitz eines Reiseausweises nach Art. 28 der Genfer Flüchtlingskonvention rechtfertigt eine Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit nach der Ausnahmeregelung des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StAG nur, wenn der Besitz rechtmäßig ist.

2. Die nach bayerischem Landesrecht gespaltene Kompetenzzuweisung für Anspruchseinbürgerungen (Kreisverwaltungsbehörden) und Ermessenseinbürgerungen (Regierungen) lässt den Gegenstand des Verwaltungsverfahrens unberührt, begrenzt aber den Streitgegenstand eines Verwaltungsprozesses im Falle eines in einer kreisfreien Gemeinde ansässigen Einbürgerungsbewerbers auf die Anspruchsgrundlagen, die von den Behörden des beklagten Rechtsträgers zu prüfen sind. (Amtliche Leitsätze)

 

1. Die Beurteilung des geltend gemachten Anspruchs auf Einbürgerung richtet sich nach der Rechtslage im Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht, auch wenn die Klägerin ihren Einbürgerungsantrag im April 2001 gestellt hat.

Während des Berufungsverfahrens ist das Staatsangehörigkeitsrecht mit Wirkung zum 1. Januar 2005 durch Art. 5 des Zuwanderungsgesetzes (Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern vom 30.7.2004, BGBl. I S. 1950) neu gefasst worden. Die für die Beurteilung des streitgegenständlichen Einbürgerungsanspruchs bisher maßgeblichen Regelungen der §§ 85 ff. AuslG finden sich nunmehr (leicht modifiziert) in §§ 10 ff. StAG. Eine besondere Übergangsregelung enthält das Gesetz nicht. Der Gesetzgeber war sich aber, wie aus Art. 5 Nr. 18 Zuwanderungsgesetz (Einfügung von § 40c StAG für bis zum 16.3.1999 gestellte Einbürgerungsanträge) deutlich wird, des intertemporalen Regelungsbedarfs für anhängige Einbürgerungsanträge bewusst. Damit verbleibt es entsprechend der Grundregel bei der Maßgeblichkeit des nunmehr geltenden Rechts.

Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Klägerin die Voraussetzungen für eine Anspruchseinbürgerung nach § 10 StAG bis auf den Fortfall ihrer bisherigen Staatsangehörigkeit (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG) erfüllt. Die von der Klägerin geltend gemachten Ausnahmen, unter denen Mehrstaatigkeit hinzunehmen ist, greifen nicht durch.

Die Ausnahmeregelung für politisch Verfolgte kommt nicht (mehr) in Betracht. § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StAG stellt - anders als § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 AuslG - nicht auf den Status eines politisch Verfolgten oder Flüchtlings, sondern auf den Besitz u.a. eines Reiseausweises nach Art. 28 der Genfer Flüchtlingskonvention ab. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Modifikation die Regelung nicht inhaltlich ändern, sondern nur an die Systematik des Aufenthaltsgesetzes anpassen (Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum Zuwanderungsgesetz, BR-Drs. 22/03 S. 282). Mit dem Übergang der tatbestandlichen Anknüpfung vom Status des politisch Verfolgten zum Besitz des (durch den Status erlangten) Ausweises ist entgegen der Auffassung der Klägerseite keine Abstraktion von der Frage der Rechtmäßigkeit des Besitzes eines Reiseausweises verbunden. Dafür spricht auch, dass die gesetzliche Verpflichtung zur unverzüglichen Abgabe des Reiseausweises nach Unanfechtbarkeit des Widerrufs der Asylanerkennung bzw. der Feststellung politisch motivierten Abschiebungsschutzes als "Bringschuld" ausgestaltet ist (§ 73 Abs. 6 i.V.m. § 72 Abs. 2 AsylVfG). Eine Konkretisierung durch Bescheid wirkt nicht konstitutiv, sondern dient nur der Eröffnung der Verwaltungsvollstreckung. Demzufolge vermag der Umstand, dass die Klägerin tatsächlich noch im Besitz des Reiseausweises ist und sie ihrer seit 31. Oktober 2003 bestehenden Abgabepflicht (Eintritt der Rechtskraft des die Klage gegen den Widerruf abweisenden Urteils) nicht nachgekommen ist, den Ausnahmetatbestand des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StAG n.F. nicht zu erfüllen.

Außer Betracht muss bleiben, dass die Klägerin früher den Status einer anerkannten Asylberechtigten innegehabt und damit den Reiseausweis rechtmäßig besessen hat. Die Frage, ob die Voraussetzungen des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StAG erfüllt sind, beurteilt sich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof; denn den gesetzlichen Regelungen ist kein anderer zeitlicher Anknüpfungspunkt zu entnehmen.

Der von der Klägerin darüber hinaus geltend gemachte Ausnahmetatbestand des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StAG für die Hinnahme von Mehrstaatigkeit wegen unzumutbarer Entlassungsbedingungen ist nicht erfüllt. Das pauschale Vorbringen, für Kosovo-Albaner sei die Durchführung des Entlassungsverfahrens aus der serbisch-montenegrinischen Staatsbürgerschaft generell unzumutbar, reicht hierfür nicht aus. Die mangelnde Bereitschaft albanischer Volkszugehöriger, die früheren Verfolger in Form von Entlassungsgebühren finanziell unterstützen zu wollen, begründet keine generelle Unzumutbarkeit, die Staatsangehörigkeit gerade des früheren Verfolgerstaates aufzugeben.