VG Aachen

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Zitieren als:
VG Aachen, Urteil vom 01.04.2005 - 9 K 1866/02.A - asyl.net: M6557
https://www.asyl.net/rsdb/M6557
Leitsatz:
Schlagwörter: Drittstaatenregelung, Luftweg, Syrien, CPPB, Kommunisten, Flugblätter, Haft, Geheimdienst, Folter, Situation bei Rückkehr
Normen: GG Art. 16a; AsylVfG § 26a
Auszüge:

Der Bescheid des Bundesamts vom 12. Juli 2002 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 und Abs. 1 Satz 1 VwGO). Er hat einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16 a Abs. 1 des Grundgesetzes (GG).

Diesem Anspruch steht nicht bereits Art. 16 a Abs. 2 GG in Verbindung mit § 26 a Abs. 1 Sätze 1 und 2, Abs. 2 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) und der Anlage I zum AsylVfG entgegen.

Ausgehend hiervon steht zur Überzeugung des Gerichts aufgrund der von dem Kläger bereits bei seiner Anhörung durch das Bundesamt gemachten detaillierten Angaben fest, dass er auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist. Insbesondere schilderte er bereits seinerzeit konkret, mit Hilfe welcher Unterlagen genau er in das Bundesgebiet eingereist ist. Hinzu kommt, dass er sich der Flughafenpolizei gestellt hat, nachdem der Schlepper ihn zurückgelassen hatte.

Die Voraussetzungen für einen Asylanspruch gemäß Art. 16 a Abs. 1 GG sind gegeben.

Gemessen an diesen Maßstäben hat der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) glaubhaft gemacht, Syrien auf der Flucht vor zumindest unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen zu haben. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts aus seinen auf Nachfragen eingehenden, anschaulichen und in sich stimmigen Ausführungen. Hiernach war er seit etwa 1999 Mitglied der CPPB. Als Mitglied einer Zelle hat er unter anderem Parteiflugblätter verteilt. Im Zusammenhang mit dem Tod des Staatspräsidenten ist er am 13. Juni 2000 verhaftet worden. Vom 13. bis 16. Juni 2000 war er im Gefängnis des militärischen Sicherheitsdienstes (Geheimdienst) in B. M1. inhaftiert. Mangels Geständnisses ist er am 16. Juni 2000 wieder freigelassen worden. Am 9. Februar 2001 hat ihm der Sekretär der Parteizelle mitgeteilt, sein Parteifreund J. aus der Zelle sei verhaftet worden. Wegen früherer Zusammenarbeit mit ihm sei er in Gefahr. Am 11. Februar 2001 hat ihn der Sekretär der Parteizelle auf einen Suchbefehl hingewiesen. Daraufhin ist der Kläger geflohen. Anlässlich einer nachfolgenden Hausdurchsuchung hat man seinen Bruder mitgenommen und verhört.

Die mit Blick auf vorstehend beschriebene Vorverfolgung des Klägers nach dem herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab erforderliche Feststellung, dass er bei Rückkehr nach Syrien vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist, lässt sich nicht treffen. Insbesondere ist eine Verhaftung seiner Person bei Rückkehr nach Syrien mit der Gefahr von Folterungen im Zuge der dann durchgeführten Vernehmungen vor dem Hintergrund seines glaubhaft vorgetragenen Vorfluchtschicksals nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen. Bei der Wiedereinreise würde der Kläger vielmehr am Flughafen bzw. Grenzübergang eingehenden, gegebenenfalls mehrtägigen Verhören durch die syrischen Sicherheitskräfte unterzogen. Sollten bei diesem Einreiseverhör über den infolge der Asylantragstellung regelmäßig bestehenden "Anfangsverdacht" hinaus Verdachtsmomente für die Annahme bestehen, dass sich die Rückkehrer vor ihrer Ausreise aus Syrien politisch oppositionell gegen den syrischen Staat betätigt haben, ist die Verbringung in ein Haft- und Verhörzentrum wahrscheinlich, in dem grundsätzlich die Gefahr der Anwendung von Folter und sonstiger menschenrechtswidriger Behandlung droht (Vgl. AA, Lagebericht, S. 21. f.; vgl. auch AA, Auskunft vom 4. August 2004 an das VG Stade).