VG Gießen

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Zitieren als:
VG Gießen, Urteil vom 07.03.2005 - 10 E 4094/04 - asyl.net: M6565
https://www.asyl.net/rsdb/M6565
Leitsatz:

1.) Eine befristete Aufenthaltsbefugnis nach § 70 AsylVfG gilt gemäß § 101 Abs. 2 AufenthG als Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG fort.

2.) Eine Aufenthaltsbefugnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG führt zu einem Einbürgerungsanspruch nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 StAG (n.F.).

3.) Eine Bindungswirkung der Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge für die Einbürgerungsbehörde ist im StAG nicht (mehr) normativ geregelt; der Einbürgerungsanspruch knüpft lediglich an den erteilten ausländerrechtlichen Status bzw. den Besitz eines Flüchtlingsausweises nach der Genfer Konvention an.

4.) Zu den Rechtsfolgen eines Widerrufs eines Aufenthaltstitels für das Einbürgerungsverfahren im Falle des Besitzes eines Flüchtlingsausweises.

 

Schlagwörter: Einbürgerung, Anspruchseinbürgerung, Iraker, Lebensunterhalt, Zuwanderungsgesetz, Übergangsregelung, Aufenthaltsbefugnis, Konventionsflüchtlinge, Widerruf, Ermessen, Aufenthaltserlaubnis, Suspensiveffekt, Reiseausweis, Bindungswirkung
Normen: StAG § 10 Abs. 1 Nr. 2; AufenthG § 101 Abs. 2; AufenthG § 25 Abs. 2; AufenthG § 52; AufenthG § 26 Abs. 4; AufenthG § 84; AsylVfG § 73 Abs. 2a S. 4
Auszüge:

1.) Eine befristete Aufenthaltsbefugnis nach § 70 AsylVfG gilt gemäß § 101 Abs. 2 AufenthG als Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG fort.

2.) Eine Aufenthaltsbefugnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG führt zu einem Einbürgerungsanspruch nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 StAG (n.F.).

3.) Eine Bindungswirkung der Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge für die Einbürgerungsbehörde ist im StAG nicht (mehr) normativ geregelt; der Einbürgerungsanspruch knüpft lediglich an den erteilten ausländerrechtlichen Status bzw. den Besitz eines Flüchtlingsausweises nach der Genfer Konvention an.

4.) Zu den Rechtsfolgen eines Widerrufs eines Aufenthaltstitels für das Einbürgerungsverfahren im Falle des Besitzes eines Flüchtlingsausweises.

(Amtliche Leitsätze)

 

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband. Grundlage des Anspruchs auf Einbürgerung ist § 10 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (vom 22. Juli 1913, RGBl. S. 583, zuletzt geändert durch Gesetz vom 30. Juli 2004, BGBl. I, S. 1950 - StAG -).

Darüber hinaus ist die Klägerin im Besitz eines Aufenthaltstitels im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 2 StAG, der einen Anspruch auf Einbürgerung begründet. Der Klägerin ist nach altem Recht gemäß § 70 AsylVfG erstmals am 24.06.1994 eine befristete Aufenthaltsbefugnis erteilt worden, die jeweils verlängert wurde. Am 07.07.1999 wurde der Klägerin ein Reiseausweis für Flüchtlinge ausgestellt, in den auch die jeweilige Gültigkeit der Aufenthaltsbefugnis eingetragen ist.

Steht damit für das erkennende Gericht fest, dass die Klägerin im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung über einen Aufenthaltstitel der befristeten Aufenthaltsbefugnis nach § 70 AsylVfG a.F. verfügt, so hat dieser Titel sich mit Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes am 01.01.2005 in eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in §§ 16, 17, 22, 23 Abs. 1, 23a, 24 und 25 Abs. 3 und 4 des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke gewandelt. Die bisher nach § 70 AsylVfG erteilte befristete Aufenthaltsbefugnis gilt nämlich gemäß § 101 Abs. 2 AufenthG fort als Aufenthaltserlaubnis entsprechend dem ihrer Erteilung zugrundeliegenden Aufenthaltszweck und Sachverhalt. Damit gilt die befristete Aufenthaltsbefugnis nach § 70 AsylVfG fort als Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG. Nach dieser Vorschrift ist einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (früher: Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge) unanfechtbar das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG (früher § 51 Abs. 1 AuslG) festgestellt hat. Unstreitig hat das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hinsichtlich der Klägerin unanfechtbar das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG mit Bescheid vom 11.03.1994 festgestellt. Die hiernach erteilte befristete Aufenthaltsbefugnis ist somit eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 AufenthG geworden. Ein entsprechender Widerruf dieses Aufenthaltstitels nach § 52 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG ist weder ersichtlich, noch steht ein Widerruf zur Überzeugung des Gerichts im Raume.

Entgegen der - zunächst - gebundenen Widerrufsentscheidung nach § 73 AsylVfG, die nach Ablauf von drei Jahren seit der Asylanerkennung oder Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nur noch im Ermessenswege erfolgen kann (§ 73 Abs. 2a S. 3 AsylVfG), hat die Ausländerbehörde beim Widerruf eines Aufenthaltstitels nach § 52 AufenthG in jedem Fall eine Ermessensentscheidung zu treffen (vgl. hierzu VG Gießen, Beschluss vom 04.03.2005, 9 G 121/05), in die alle Belange einzufließen haben. Überdies wird in Fällen wie dem der Klägerin auch der Regelung in § 26 Abs. 4 AufenthG eine ermessenslenkende Bedeutung beizumessen sein, da die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis unter Durchbrechung von § 55 Abs. 3 AsylVfG in das Ermessen der Ausländerbehörde gestellt, mithin nicht unter die Prämisse einer positiven unanfechtbaren Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge gestellt wird, wie gerade auch der Zusammenhang mit § 26 Abs. 3 AufenthG zeigt. Daher bestehen gute Gründe für die Annahme, dass die Ausländerbehörde für die Dauer der Geltung des der Klägerin erteilten Aufenthaltstitels von einem (Ermessens-) Widerruf absieht.

Selbst wenn aber der Aufenthaltsstatus der Klägerin widerrufen worden sein, wovon niemand der Beteiligten Kenntnis hat, oder widerrufen werden sollte, so dürfte dies nichts daran ändern, dass die Klägerin über einen, den Anspruch auf Einbürgerung zur Folge habenden Aufenthaltstitel nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 StAG verfügt. Ein Widerruf nach § 52 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG wird nämlich nicht zur Folge haben, dass der Aufenthaltstitel unmittelbar seine Wirkung verliert. Nach § 84 AufenthG haben nämlich Widerspruch und Klage gegen den Widerruf eines Aufenthaltstitels aufschiebende Wirkung. § 84 Abs. 2 AufenthG regelt insoweit zwar, dass Widerspruch und Klage unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit der Ausweisung und eines sonstigen Verwaltungsaktes, der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendet, unberührt lassen, indes dürfte für das Staatsangehörigkeitsrecht der widerrufene Aufenthaltstitel weiter Geltung beanspruchen, bis der Widerruf unanfechtbar ist. Eine andere Betrachtungsweise wäre im Lichte des § 12 Abs. 1 Nr. 6 StAG auch systemwidrig. Hier wird nämlich u.a. auf den Besitz eines Reiseausweises nach Art. 28 des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge abgestellt, der jedenfalls von dem, dem Ausländer erteilten Aufenthaltstitel unabhängig ist und aufgrund der Feststellung der Flüchtlingseigenschaft erteilt wird. Ein Widerruf des Aufenthaltstitels würde demnach nicht auf den ausgestellten Reiseausweis durchschlagen, weil Grundlage hierfür nicht das Ausländergesetz alter Fassung oder das Aufenthaltsgesetz neuer Fassung ist, sondern Art. 28 Abs. 1 der Genfer Konvention vom 28. Juli 1951. Sofern ein derartiger Reiseausweis ebenfalls widerrufen werden sollte, finden hierauf jedenfalls nicht die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes Anwendung, so dass nicht ersichtlich ist, dass die Wirkung des erteilten Reiseausweises bereits mit Widerruf erlischt, unabhängig von einer gegebenenfalls erforderlichen Bestandskraft der Widerrufsentscheidung. Im Übrigen regelt § 51 Abs. 7 AufenthG im Falle des Besitzes eines Reiseausweises, dass der Aufenthaltstitel nicht erlischt, so lange der Betreffende im Besitz eines gültigen, von einer deutschen Behörde ausgestellten Reiseausweises für Flüchtlinge ist, wie gerade vorliegend die Klägerin.

Die Versagung der Einbürgerung kann schließlich auch nicht damit begründet werden, dass § 73 Abs. 2a Satz 4 AsylVfG die Wirksamkeit der bestandskräftigen Asylanerkennung oder Feststellung des § 51 Abs. 1 AuslG bzw. des § 60 Abs. 1 AufenthG für Einbürgerungsverfahren entfallen lässt, wenn ein Widerrufsverfahren durch das Bundesamt eingeleitet ist. Die Entscheidung des Bundesamtes über die Asylanerkennung oder die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 51Abs. 1 AuslG oder § 60 Abs. 1 AufenthG entfaltet nämlich nach der nunmehrigen Regelung keinerlei staatsangehörigkeitsrechtliche Bindungswirkung mehr. § 10 Abs. 1 Nr. 2 StAG steht ausdrücklich nicht unter der Prämisse einer bestandskräftigen Anerkennung durch das Bundesamt, sondern stellt lediglich auf einen durch die Ausländerbehörde ausgestellten Aufenthaltstitel ab. Damit kann die Entscheidung des Bundesamtes über das Asylbegehren allenfalls mittelbar Auswirkungen haben, nämlich in ihrer Umsetzung durch die Ausländerbehörde und in dem durch die Ausländerbehörde erteilten Aufenthaltstitel. Eine unmittelbare Bindungswirkung der Einbürgerungsbehörde an eine Entscheidung des Bundesamtes für Migration ist in § 10 StAG nicht normativ geregelt.