VG Lüneburg

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Zitieren als:
VG Lüneburg, Urteil vom 01.02.2005 - 1 A 140/01 - asyl.net: M6569
https://www.asyl.net/rsdb/M6569
Leitsatz:
Schlagwörter: Anerkennungsrichtlinie, Verfolgungsbegriff, Begründete Furcht, Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Vietnam, Glaubwürdigkeit, Exilpolitische Betätigung, Haft, Administrativhaft, Menschenrechtswidrige Behandlung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 4; RL 2004/83/EG Art. 9; RL 2004/83/EG Art. 2c; AufenthG § 60 Abs. 2 - 7
Auszüge:

Die Voraussetzungen eines Abschiebungsschutzes gem. § 60 Abs. 1 AufenthG liegen nicht vor. Denn die geltend gemachte Bedrohung von Leben oder Freiheit - bzw. auch anderer existentieller Güter (vgl. Renner, Ausländerrecht, 7. Aufl. § 51 Rdn. 4 - ist auch unter gebührender Berücksichtigung der Richtlinie 2004/83/EG des Rates v. 29.4. 2004 (Amtsbl. der EU L 304/12 v. 30.9.2004) nicht anzunehmen. Die Kläger können daher nicht als Flüchtlinge iSd Genfer Konvention oder als Personen mit subsidiärem Schutzstatus (Art. 18 der gen. Richtlinie) anerkannt werden (§ 3 AsylVfG). Auch Abschiebungshindernisse gem. § 60 Abs. 2-7 AufenthG stehen ihnen nicht zur Seite.

Nach § 60 Abs. 1 AufenthG iVm der gen. Richtlinie darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit (oder auch andere existenzielle Gefahren) wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist bzw. aus seiner Sicht eine begründete Furcht vor Verfolgung (Art. 4 Abs. 4 Richtlinie) bestehen kann. Soweit damit vorausgesetzt ist, dass der Ausländer im Herkunftsland "bedroht" ist, lässt sie erkennen, dass eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dieser Rechtsgutsverletzung bestehen muss und die bloße, selbst durch Präzedenzfälle bestätigte Möglichkeit allein noch nicht ausreicht. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine Bedrohung ist aufgrund einer individuellen Prüfung und Wertung (Art. 4 Abs. 3 Richtlinie) dann zu bejahen, wenn bei der zusammenfassenden Wertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung (Art. 9 der Richtlinie) sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegen sprechenden Umständen überwiegen (vgl. dazu schon BVerfGE 54, 341/354; BVerwG, DÖV 1993, 389; OVG Lüneburg, Urt. v. 26.8.1993 - 11 L 5666/92 ). Soweit die gen. Richtlinie in Art. 2 c) und Art. 4 Abs. 4 die subjektive "Furcht des Antragstellers vor Verfolgung" zum Ausgangspunkt nimmt und auf diese Weise in § 60 Abs. 1 AufenthG ein - schon früher in § 51 Abs. 1 AuslG enthaltenes (Renner, Ausländerrecht, 7. Aufl. § 51 AuslG Rdn. 4) - subjektives Element trägt, ist es so, dass auch diese Furcht "begründet" sein muss (Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie). Auch der in der gen. Richtlinie angesprochene Wille, nicht in seinen Herkunftsstaat zurückzukehren (Art. 2 c), muss auf eine "begründete Furcht vor Verfolgung" zurückgehen. Eine derart sachlich begründete Furcht der Kläger ist hier bei prognostischer Beurteilung und Wertung nicht feststellbar. Damit fehlt eine Bedrohung iSv § 60 Abs. 1 AufenthG.

Dabei mag zugunsten der Kläger davon ausgegangen werden, dass bei Fehlen von Unterlagen oder sonstigen Beweisen zur Begründung ihres Antrages ihre Aussagen dann "keines Nachweises" mehr bedürfen, wenn die Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie erfüllt sind, u.a. also einerseits die Aussagen der Kläger "kohärent und plausibel" sind und zu besonderen wie allgemeinen Informationen "nicht in Widerspruch stehen" (Art. 4 Abs. 5 c) der Richtlinie) sowie andererseits ihre "generelle Glaubwürdigkeit" festgestellt worden ist. Auch mag Ausgangspunkt sein, dass eine Verfolgung in der Vergangenheit ein "ernsthafter Hinweis" darauf sein kann, dass die Furcht vor Verfolgung auch tatsächlich begründet ist (Art. 4 Abs. 4 Richtlinie), falls keine stichhaltigen Gründe dagegen sprechen.