VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 06.04.2005 - 12 K 521/04 - asyl.net: M6579
https://www.asyl.net/rsdb/M6579
Leitsatz:

Ein Absehen von der Erfüllung der Passpflicht als allgemeine Erteilungsvoraussetzung aus tatsächlichen Gründen setzt rechtmäßigen Aufenthalt, Unmöglichkeit der Passerlangung und einen Anspruch auf eine Aufenthaltsgenehmigung voraus.

 

Schlagwörter: Ehegattennachzug, Asylberechtigte, Allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, Passpflicht, atypischer Ausnahmefall, Ermessen, Passbeschaffung
Normen: AufenthG § 30; AufenthG § 29; AufenthG § 5; GG Art. 6 Abs. 1; AufenthG § 25 Abs. 5
Auszüge:

Ein Absehen von der Erfüllung der Passpflicht als allgemeine Erteilungsvoraussetzung aus tatsächlichen Gründen setzt rechtmäßigen Aufenthalt, Unmöglichkeit der Passerlangung und einen Anspruch auf eine Aufenthaltsgenehmigung voraus.

(Leitsatz der Redaktion)

 

1. Der Kläger besitzt keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis als Ehegatte einer Asylberechtigten.

Wie sich aus § 5 Abs. 1 bis 3 und § 30 Abs. 3 AufenthG entnehmen lässt, gelten allerdings auch für die Erteilung solcher Aufenthaltserlaubnisse grundsätzlich die allgemeinen Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG, soweit sich nicht aus den §§ 27 ff. AufenthG anderes ergibt.

a) Mithin wäre zunächst die Erfüllung der Passpflicht erforderlich (§ 5 Abs. 1 AufenthG), oder es müsste ein Fall vorliegen, in welchem ausnahmsweise von ihrer Erfüllung abgesehen werden kann.

Allerdings wird die Erfüllung der Passpflicht nur "in der Regel" gefordert. Von ihrer Einhaltung kann allerdings nicht schon abgesehen werden, wenn eine wie auch immer begründbare Ausnahme erkennbar ist. Ein Absehen kommt nur bei "besonders gelagerten Einzelfällen" (so die Gesetzesbegründung zum ZuwG 2002 in BT-Drs. 14/7387, S. 65) in Betracht.

Diese Erläuterung in der Gesetzesbegründung könnte zwar in Frage stellen, ob zur Abgrenzung von Regel- und Ausnahmefall an die dazu ergangene Rechtsprechung im AuslG (etwa zu den dortigen §§ 7 Abs. 2 u. 47 Abs. 2) angeknüpft werden kann. In einer Grundsatzentscheidung zu § 7 Abs. 2 AuslG hat das Bundesverwaltungsgericht nämlich betont, es lege ein Regel-/Ausnahmeverhältnis im Blick auf einen Versagungsgrund, nicht eine Erteilungsvoraussetzung aus (so BVerwG, Urt. v. 19.07.1993, BVerwGE 94, 35). Da der Gesetzgeber im AufenthG Erteilungsvoraussetzungen im engeren Sinne und Versagungsgründe stärker vermengt als im AuslG (vgl. § 5 Abs. 1 AufenthG) und in der Gesetzesbegründung gerade im Blick auf die Erfüllung der Passpflicht an die bisherige Ausgestaltung als Versagungsgrund anknüpft (BT-Drs. 14/7387, S. 65), ist die seitherige Rechtsprechung des BVerwG auf die im AufenthG erforderlich Abgrenzung von Regel- und Ausnahmefall zu übertragen.

Danach kann ein Ausnahmefall im Wesentlichen aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen angenommen werden. Aus tatsächlichen Gründen dann, wenn ein atypischer Sachverhalt vorliegt, der sich von der Menge gleichgelagerter Fälle abhebt und damit das sonst ausschlaggebende Gewicht der Regelerteilungsvoraussetzung beseitigt (so BVerwG, Urte. v. 27.02.1996, BVerwGE 102, 12 u. v. 19.07.1993, a.a.O.). Eine Auslegung von § 5 Abs. 1 AufenthG, nach welcher jeder zweite Fall zum Ausnahmefall wird, ist damit ausgeschlossen. Auch Rechtsgründe können die Annahme eines Ausnahmefalls gebieten: Etwa verfassungsrechtliche Wertentscheidungen, insbesondere aus Art. 6 GG (so etwa BVerwG, Beschl. v. 26.03.1999, InfAuslR 1999, 332 und VGH Bad.-Württ., Urt. v. 05.07.2000, InfAuslR 2000, 491).

aa) Bezogen auf die Erfüllung der Passpflicht legt die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 14/7387, S. 65) es nahe, eine Ausnahme aus tatsächlichen Gründen nur dann anzunehmen, wenn die Erfordernisse des vormaligen § 9 Abs. 1 Nr. 3 AuslG erfüllt sind, nämlich (kumulativ) rechtmäßiger Aufenthalt, Unmöglichkeit, trotz zumutbarer Anstrengungen einen Pass zu erhalten und Erfüllung aller sonstiger Voraussetzungen für einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung. Diesem Ansatz des Gesetzgebers ist zu folgen. Damit wird eine Ausnahme von der Erfüllung der Passpflicht regelmäßig - wie bei Anwendung des vormaligen § 9 Abs. 1 Nr. 3 AuslG (vgl. dazu etwa die damalige Gesetzesbegründung in BT-Drs. 11/6321, S. 57) - nur bei der Verlängerung eines Aufenthaltstitels in Betracht kommen, bei dessen erstmaliger Erteilung noch ein inzwischen abgelaufener Pass vorlag, der nun trotz zumutbarer Bemühungen nicht verlängert wird.

bb) Obgleich seine Ehegattin eine als Niederlassungserlaubnis (§ 9 AufenthG) fortgeltende unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzt, gebietet Art. 6 Abs. 1 GG es nicht, aus rechtlichen Gründen von der Erfüllung der Passpflicht des Klägers abzusehen. Zwar kann der Schutz von Ehe und Familie es gebieten, von Regelversagungsgründen (bzw. von Regelerteilungsvoraussetzungen) abzusehen, wenn das Beharren auf solchen Hindernissen für einen Familiennachzug mit verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen unvereinbar ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 26.03.1999, a.a.O., zum Beharren auf Regelversagungsgründen). Dabei ist aber der Aufenthaltsstatus des den Familiennachzug Vermittelnden von entscheidender Bedeutung (so im Fall BVerwG, Beschl. v. 26.03.1999, a.a.O., bei einer Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen). Im vorliegenden Fall kann deswegen nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Ehegattin des Klägers nur scheinbar über einen dauerhaften Aufenthaltsstatus durch den Besitz einer Niederlassungserlaubnis verfügt. Auf Grund des im AufenthG geltenden strengen Zweckbindungsprinzips der Aufenthaltstitel (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 AufenthG und § 59 Abs. 3 AufenthV; VG Stuttgart, Beschl. v. 21.05.2005 - 4 K 40/05 -[vensa]) ist zu betonen, dass es sich um eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG handelt. Auf Grund des bereits erfolgten Widerrufs der diesem Titel zugrunde liegenden Asylberechtigung und Abweisung der gegen den Widerruf erhobenen Klage in erster Instanz ist die Beständigkeit dieser Niederlassungserlaubnis zumindest fraglich (§ 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG).