VG Oldenburg

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Zitieren als:
VG Oldenburg, Urteil vom 28.04.2005 - 12 A 3364/02 - asyl.net: M6597
https://www.asyl.net/rsdb/M6597
Leitsatz:
Schlagwörter: Serbien und Montenegro, Roma, Ashkali, Ägypter, Kosovo, Übergriffe, Extreme Gefahrenlage, KFOR, Situation bei Rückkehr, Schutzbereitschaft, Schutzfähigkeit, Polizei, Existenzminimum, Abschiebungshindernis, Krankheit, Hypertonie, Asthma bronchiale, Psychische Erkrankung, Schizophrenie, Depression, Medizinische Versorgung, Mental Health Care Centre, Finanzierbarkeit, Krankenversicherung, Registrierung, Niederlassungsfreiheit, Situation bei Rückkehr, Allgemeine Gefahr, Märzunruhen
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Den Klägern steht Abschiebungsschutz gern § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG allerdings nicht allein wegen ihrer Volkszugehörigkeit bzw. ihrem Herkunftsort zu.

Damit ist § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG in einem Verfahren eines einzelnen Ausländers dann nicht anzuwenden, wenn dieselbe Gefahr zugleich einer Vielzahl weiterer Personen im Abschiebezielstaat droht. Nur dann, wenn dem einzelnen Ausländer keine Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2, 3, 4, 5 oder Abs. 7 S. 1 zustehen, er aber gleichwohl ohne Verletzung höherrangigen Verfassungsrechts nicht abgeschoben werden darf, ist bei verfassungskonformer Auslegung und Anwendung des § 60 Abs. 7 S. 2 AufentG im Einzelfall Schutz vor der Durchführung der Abschiebung nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG zu gewähren. Das ist der Fall, wenn die obersten Landesbehörden trotz einer extremen allgemeinen Gefahrenlage, die jeden einzelnen Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausliefern würde, von ihrer Ermessensermächtigung aus § 60a Abs. 1 AufenthG keinen Gebrauch gemacht haben, einen generellen Abschiebestopp zu verfügen.

Hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme einer derartigen extremen Gefahrenlage liegen für Angehörige der Roma, Ägypter und Ashkali im Kosovo nicht vor.

Indes kann aus diesen Berichten und Stellungnahmen das Vorliegen einer Extremgefahr im o.a. Sinne nicht abgeleitet werden, da auch unter Berücksichtigung ihres Inhalts von einer entsprechenden Gefährdung in allen Landesteilen des Kosovo nicht ausgegangen werden kann. Nach den Angaben der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) leben mindestens 5.000 Roma sowie ca. 20.000 Ashkali und Ägypter im Kosovo; nach Angaben des Auswärtigen Amtes leben im Kosovo schätzungsweise 31.000 Roma. Ashkali und Ägypter und die Gesamtzahl der im Kosovo verbliebenen nichtserbischen Minderheitenangehörigen wird auf 75.000 (einschließlich Roma, Ashkali und Ägypter - Stand Ende November 2004) geschätzt (GfbV vom Oktober 2003; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 10. Februar und 4. November 2004).

Aus den vorliegenden Erkenntnismitteln lässt sich auch nicht entnehmen, dass aufgrund der Sicherheitslage und der besonders schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Lage der Minderheitenangehörigen zahlreiche Opfer zu beklagen sind. Gegen die Annahme einer Extremgefahr im angeführten Sinne spricht zudem der Umstand, dass auch nach dem Bericht der Gesellschaft für bedrohte Völker Minderheitenangehörige - wenngleich nicht in großer Anzahl - in den Kosovo zurückgekehrt sind: So sei nach Lipljan (Lipjan) ca. jeder Fünfte der ca. 1.500 vormals dort ansässigen Ashkali (jedoch nur 5 % der Roma), nach Djakovica (Gjakove) seien ca. 200 Minderheitenangehörige, nach Prizren (Perzeren) seien alle 280 Roma-Angehörige zurückgekehrt. Demgegenüber gebe es aber auch Orte, in die Minderheitenangehörige nicht zurückgekehrt oder Rückkehrprogramme der UNMIK gescheitert seien (GfbV vom Oktober 2003).

Nach Angaben des UNHCR kehrten bis Juni 2004 rund 1000 Roma und 2800 Ashkali und Ägypter freiwillig in den Kosovo zurück (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. November 2004).

Auch die Ausschreitungen im Kosovo vom 16. bis 19. März 2004 rechtfertigen die Annahme einer Extremgefahr im angeführten Sinne im Hinblick auf die Sicherheitslage für Minderheitenangehörige der Roma, Ashkali und Ägypter im Kosovo nicht. Im Wesentlichen handelte es sich um Auseinandersetzungen zwischen Kosovo-Albanern und Angehörigen der serbischen Minderheit im Kosovo.

Mithin ist festzustellen, dass die im Kosovo stationierten KFOR-Einheiten sowie die Polizeieinheiten willens sind, den Angehörigen ethnischer Minderheiten Schutz zu gewähren. Auch wenn die beschriebenen Ausschreitungen nicht verhindert werden konnten, war nur ein geringer Teil der Gruppenangehörigen der Roma und Ashkali betroffen und diesem ist seitens der KFOR und Polizei tatsächlich Schutz gewährt worden, so dass Todesopfer nicht zu beklagen waren. Auch ist humanitäre Hilfe geleistet worden.

Aus den vorliegenden Erkenntnismitteln lässt sich zusammenfassend weder in quantitativer noch in qualitativer Hinsicht entnehmen, dass aufgrund der Sicherheitslage und der besonders schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Lage der Minderheitenangehörigen für jedes Mitglied der Gruppe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die aktuelle Gefahr besteht, bei einer Rückkehr in den Kosovo dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert zu sein. Die Situation für Angehörige der Gruppen der Roma und Ashkali im Kosovo hat sich in den vergangenen Jahren nicht derart verschlechtert, so dass eine Extremgefahr im oben beschriebenen Sinne weiterhin nicht gegeben ist. Eine Gesamtschau der Erkenntnismittel führt zu dem Ergebnis, dass eine extreme allgemeine Gefahrenlage, die bei verfassungskonformer Auslegung und Anwendung des § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG im Rahmen der Feststellung zu § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG zu berücksichtigen wäre, im Kosovo auch für Angehörige der Bevölkerungsgruppen der Roma und Ashkali nicht besteht (ebenso zu § 53 Abs. 6 AuslG: Nds. Oberverwaltungsgericht, Beschlüsse vom 30. April 2004 - 8 LA 102/04 -, vom 20. August 2003 - 8 LA 126/03 - und vom 22. November 2001 - 8JB 2106/01 - m. w. N. der Rechtsprechung).

Für die Kläger zu 1) und 3) - 8) liegen auch aus konkret-individuellen Gründen Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG nicht vor. Der Klägerin zu 2) jedoch steht Abschiebungsschutz gem. § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG zu.

Sie leidet nach eingehender Diagnostik laut Stellungnahme des sie seit Jahren behandelnden Facharztes in diagnostischer Zusammenarbeit mit dem Reinhard-Nieter Krankenhaus Wilhelmshaven vom 24. 1. 2005 an einer schizoaffektiven Störung (oder wahnhaften Depression) und wird mit den Medikamenten Tagonis und Zyprexa, sowie mit tagesstrukturierenden (beschäftigungs)therapeutischen Maßnahmen in einer Tageseinrichtung behandelt, nachdem sie suizidale und fremdgefährdende Außerungen gemacht hat und die Familie mit ihrer Pflege und Beaufsichtigung nach den Angaben des Klägers zu 1) völlig überfordert war.

Bezogen auf den Kosovo kann die psychische Erkrankung der Klägerin zu 2), die das Gericht auch aufgrund der offenbar zumindest in Episoden vorhandenen Tendenz zu suizidalen und fremdgefährdenden Handlungen als besonders schwerwiegend und u. U. auch gefährlich erachtet, unter Zugrundelegung der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel nicht ausreichend medizinisch behandelt werden, um erhebliche konkrete Gefahren für Leib und Lebender Klägerin zu 2) abzuwenden. Zwar sind laut Auskunft des Deutschen Verbindungsbüros Kosovo vom 18. Juni 2004 psychische Erkrankungen, insbesondere anhaltende depressive Verstimmungen im Kosovo medikamentös und durch kontinuierliche nervenärztliche Betreuung behandelbar. Personen, die an psychischen Problemen leiden würden, könnten in den 2003 aufgebauten kommunalen "Mental Health Care-Centren" in Pristina, Prizren, Djakovika, Pec, Gnjilane, Urosevac und Mitrovica ambulant und kostenfrei behandelt werden. Auch eine PTBS ist im Kosovo durch kontinuierliche nervenärztliche Betreuung behandelbar (vgl. Auskunft des Deutschen Verbindungsbüros Kosovo vom 21.04.2004).

Als Basismedikamente für psychische Erkrankungen stünden u.a. Fluanxol, Amitriptylin, Diazepam, Lexilium Clomipramin und Haloperidol zur Verfügung (vgl. Deutsches Verbindungsbüro vom 21.04.2004).

Die genannten Mittel werden insbesondere bei Depressionen und Angsterregungs- und Spannungszuständen eingesetzt. Auch die von der Klägerin zu 2) speziell benötigten Medikamente bzw. Wirkstoffe - Tagonis. Wirkstoff: Paroxetin und Zyprexa - sind erhältlich erhältlich (vgl. Deutsches Verbindungsbüro Kosovo vom 8. 6. 2004 für Paroxetin und vom 21. 3. 2005 für Zyprexa).

Andererseits wird zudem berichtet, dass in Nachkriegsgebieten wie dem Kosovo mit einer deutlichen erhöhten Rate von ca. 7 bis 10 v.H. der Bevölkerung an psychisch Kranken, die einer Behandlung bedürfen, zu rechnen sei (Schlüter-Müller, Sachverständigengutachten an VG Frankfurt a.M. vom 29. Juli 2003).

Nach dem Gutachten von Dr. Schlüter-Müller gibt es im Kosovo nur eine sehr schwache psychiatrische Grundversorgung. So stünden sieben ambulante neuro-psychiatrische Dienste zur Verfügung. Die Behandlung erfolge ausschließlich medikamentös; der Prävention komme keine Bedeutung zu. Im Kosovo arbeiteten lediglich zwei Psychologen mit posttraumatischen Belastungsstörungen. Der Großteil der Neuro-Psychiater arbeitete ebenfalls mit diesem Störungsbild, ohne dafür jedoch eine Ausbildung zu haben. Die Zustände in der Psychiatrie im Kosovo seien "unbeschreiblich schrecklich". Daneben stehe nur eine sehr begrenzte Zahl von Medikamenten zur Verfügung, die häufig selbst bezahlt werden müssten. So seien verschiedene Neuroleptika (Largactil, Fluanxol, Haldol Depot und Risperidon) und Antidepressiva (Fluoxetine und Paroxetin) verfügbar. Die Versorgungssituation habe sich im Vergleich zu 1999 einerseits verbessert, weil mehr Ärzte in der psychiatrischen Weiterbildung seien, andererseits verschlechtert, da ausländische Hilfsorganisationen ihre Arbeit mit psychisch Erkrankten eingestellt hätten (Schlüter-Müller, Sachverständigengutachten an VG Frankfurt a.M. vom 29. Juli 2003; vgl. auch Informationsstelle der Deutschen Caritas und Diakonie in Pristina vom 17. Februar 2003 und Monatsbericht Oktober/November 2002).

Zu den genannten und älteren Auskünften des Verbindungsbüros Kosovo, dass psychische Erkrankungen im Kosovo ausreichend behandelbar seien, führt Frau Dr. Schlüter-Müller, die sich regelmäßig im Kosovo aufhält, in ihrer Stellungnahme vom 14. Juni 2004 ergänzend aus, eine ausreichende Versorgung psychisch kranker Menschen erfolge im Kosovo nach wie vor nicht. Die Mental Health Care-Centren würden weder Gruppen- noch Beschäftigungstherapien durchführen. Sie würden lediglich einmal pro Woche von einem Psychiater zur Untersuchung und Medikamentenkontrolle bei den Patienten aufgesucht. Die Leiterin der Kosovo-Rehabilitationszentren für Folteropfer (KRCT) habe angegeben, dass die Kapazitäten der Zentren weit hinter der Nachfrage zurück blieben. Es existierten Wartelisten mit Wartezeiten von sechs Monaten. Die sechs Zentren verfügten insgesamt nur über zwei volle Stellen. Es sei zur Zeit kein Arzt mit einer abgeschlossenen oder längeren psychotherapeutischen Ausbildung tätig. Frau Schlüter-Müller führt hierzu aus, die Angaben über die Menge der behandelten Patienten lasse den Schluss zu, dass es sich nicht um eine fundierte psychotherapeutische Behandlung handele. Auch andere Organisationen und Projekte könnten mangels verfügbarer Stellen und ausgebildeter Ärzte keine wirkliche psychotherapeutische Arbeit leisten. Weiterhin sei die Korruption innerhalb der Krankenversicherung enorm. Würden keine Geldgeschenke gegeben, verlängerten sich die Wartezeiten enorm. Im Übrigen würde oft auf veraltete Neuroleptika wie Haloperidol und antiepileptische Medikamente zurückgegriffen, die dann kostenlos abgegeben würden. Zur Aussage in den Auskünften des Deutschen Verbindungsbüros, der Leiter der psychiatrischen Abteilung der Uni-Klinik in Pristina habe angegeben, auch supportive Gespräche nicht psychologisch ausgebildeten Personen könnten in sicherer Umgebung therapeutisch wirksam sein, führt Frau Schlüter-Müller aus, sie habe ein Gespräch mit dem Leiter gesucht. Dabei habe dieser angegeben, er sei bestürzt über die Interpretation seiner Angaben durch das Verbindungsbüro. Frau Schlüter-Müller führt zur Situation in der Uni-Klinik aus, dass gesonderte Räume für therapeutische Einzel- oder Gruppengespräche nicht zur Verfügung stünden. Auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe geht in ihrer Stellungnahme vom 24. Mai 2004 nach wie vor davon aus, dass schwerwiegende psychische Erkrankungen im Kosovo nicht behandelbar seien aufgrund des Mangels an Fachpersonal. Auf 27 Neuropsychologen und 9 Psychologinnen kämen ca. 140.000 bis 200.000 behandlungsbedürftige Menschen. Die Ausbildungsmöglichkeiten seien schlecht. Zwar seien inzwischen Mental Health-Center eingerichtet worden. Diese würden aber nur ambulante Hilfestellungen anbieten und seien für die Reintegration von Patienten nach Besserung ihres Gesundheitszustandes da. Sie böten keine Arbeits- oder Gruppentherapien an. Gespräche dienten insbesondere der Medikamentenüberprüfung. Es gebe nur eine psychiatrische Klinik im Kosovo in Pristina, die aber überlaufen sei. Die neuropsychologischen Stationen in den allgemeinen Krankenhäusern in Peja/Pec, Gjakove, Gnjilane, Prizren und Mitrovica seien überwiegend medikamentös orientiert. Auch eine PTBS werde nur medikamentös behandelt. Es gäbe darüber hinaus mangels ausreichender Kapazitäten lange Wartelisten. Die Angebote privater Therapeuten seien ebenfalls nicht ausreichend und darüber hinaus zu teuer und auch nicht unumstritten. Auch andere Nichtregierungsorganisationen könnten eine PTBS nicht adäquat behandeln. Auch hier gebe es Kapazitäts- und Ressourcenprobleme.

Den o.g. Erkenntnismitteln ist zu entnehmen, dass sich die dort dargestellte Situation nicht ausreichender Behandelbarkeit psychischer Erkrankungen im Kosovo noch nicht wesentlich verbessert hat. Entsprechend lautet auch die aktuelle gemeinsam von UNMIK, dem Office of Returns and Communities und dem Gesundheitsministerium des Kosovo erarbeitete Stellungnahme vom Januar 2005, wonach eine ausreichende Behandlung psychisch kranker Menschen, insbesondere an PTBS Erkrankter im Kosovo nicht gewährleistet ist. Dort ist im einzelnen ausgeführt, dass eine über die Verabreichung von Medikamenten hinausgehende für diese Patienten erforderliche Behandlung vor allem an Kapazitätsproblemen scheitert. UNMIK sei daher der Auffassung, dass Personen, die an PTBS erkrankt sind und sich aufgrund dieser Erkrankung in Behandlung befänden, nicht zwangsweise in das Kosovo abgeschoben werden sollten.

Zusammenfassend ergibt sich danach, dass schwerwiegende psychische Erkrankungen, die eine über die medikamentöse Einstellung hinausgehende psychotherapeutische Therapie erfordern, im Kosovo nicht ausreichend behandelbar sind. Insbesondere für akute schizoaffektive Episoden, wie sie bei der Klägerin zu 2) bei Abbruch der derzeitigen Therapie nach Auskunft des sie behandelnden Neurologen wahrscheinlich sind, ergibt sich aus der Auskunft des Deutschen Verbindungsbüros Kosovo vom 26. 2. 2005, dass diese im Kosovo nicht adäquat behandelbar seien. Die Klägerin zu 2) wird nach Auffassung des Gerichts auch eine möglicherweise gegebene private Behandlung nicht erlangen können, da sie die Kosten hierfür nicht wird aufbringen können.

Das Gericht ist nach den vorliegenden Erkenntnismitteln davon überzeugt, dass die Klägerin zu 2) auch in den übrigen Landesteilen Serbiens und in Montenegro eine ausreichende medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen könnte.

Die medizinische Versorgung ist dort zwar grundsätzlich gewährleistet. Es besteht eine gesetzliche Krankenversicherung. Grundsätzlich kostenfrei und ohne Zahlung von Selbstbeteiligung werden u. a. Flüchtlinge und vertriebene Personen sowie aus dem Kosovo übergesiedelte Personen behandelt. Nur sehr wenige Erkrankungen können in Serbien und Montenegro nicht oder nur schlecht behandelt werde.

Auch sind psychische Erkrankungen (u.a. Depressionen, Traumata) in Serbien und Montenegro behandelbar (Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 16. Oktober 2002 und 28. Juli 2003; Deutsche Botschaft Belgrad an VG Aachen vom 12. August 2003, an VG Freiburg vom 6. August 2003.und 8. Mai 2003; Auswärtiges Amt an VG Köln vom 11. April 2003).

Jedoch ist die Behandlung im Rahmen der staatlichen Gesundheitsfürsorge nur dann für den Betroffenen kostenlos, wenn er in der staatlichen Krankenversicherung versichert ist. Der Klägerin zu 2) werden die medizinischen Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitswesens in Serbien und Montenegro (außerhalb des Kosovo) im Rahmen des dortigen Krankenversicherungsschutzes tatsächlich nicht offen stehen. Für die Inanspruchnahme von sozialen Diensten einschließlich der gesetzlichen Krankenversicherung ist in Serbien und Montenegro die Registrierung erforderlich. Aus dem Kosovo übergesiedelte Bürger können in Serbien und Montenegro nur dann im Rahmen der dortigen Krankenversicherung behandelt werden, wenn sie den Status eines Ausgesiedelten, Vertriebenen oder Flüchtlings haben; alle anderen Personen aus dem Kosovo müssen ihre medizinische Behandlung in Serbien und Montenegro (außerhalb des Kosovo) bezahlen, so dass de facto Einwohner des Kosovo von der gesetzlichen (quasi kostenlosen) Krankenversorgung in Serbien und Montenegro (außerhalb des Kosovo) ausgeschlossen sind (vgl. Deutsche Botschaft Belgrad an VG Aachen vom 12 August 2003, an VG Leipzig vom 3. Juli 2003 und an Hessischen VGH vom 12. Mai 2003; Auswärtige Amt, Lagebericht vom 28. Juli 2003 und 24. Februar 2004; UNHCR an VG Koblenz vom 29. September 2003).

Die Registrierung stellt in der Praxis ein ernsthaftes Hindernis bei der Ausübung grundlegender Rechte wie dem Zugang zu Sozialleistungen, Gesundheitsfürsorge, Bildungseinrichtungen und Wohnraum dar. Für die Registrierung sind eine Reihe von Identitätsunterlagen erforderlich, was insbesondere für aus dem Kosovo geflüchtete Roma ein Problem ist, wobei das Minderheitenministerium beabsichtigt, dies zu vereinfachen. Nach amnesty international ist intern Vertriebenen in Serbien und Montenegro seit April 2002 die Registrierung bereits erleichtert worden, dennoch bestehen hierbei weiterhin Schwierigkeiten (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 28. Juli 2003 und 24. Februar 2004; ai, Länderinformation vom 15. Oktober 2003; vgl. auch UNHCR an VG Koblenz vom 29. September 2003).

Zwar genießen die Staatsangehörigen von Serbien und Montenegro de jure Niederlassungsfreiheit auf dem gesamten Territorium der Union. Grundsätzlich besteht am Ort der Niederlassung auch der Anspruch auf Bezug der gesetzlich vorgesehenen Sozialleistungen (beispielsweise Sozialhilfe und Gesundheitsfürsorge). In der Praxis jedoch sind die lokalen Behörden in Serbien und Montenegro nach den Erfahrungen des Auswärtigen Amtes nicht bereit, aus anderen Gemeinden stammende mittellose Personen zu registrieren und ihnen Sozialleistungen zu gewähren. Aus dem Ausland einreisende mittellose Personen lassen sich deshalb nach den Erfahrungen des Auswärtigen Amtes in ihrer Heimatgemeinde nieder, sofern sie nicht (beispielsweise durch familiäre Beziehungen) ohne Inanspruchnahme öffentlicher Sozialleistungen in anderen Gemeinden ein Unterkommen finden. Eine legale Wohnsitznahme aus dem Kosovo stammender mittelloser Personen in anderen Regionen Serbiens und Montenegros ist unter diesen Umständen nur in Ausnahmefällen möglich (vgl. Auswärtiges Amt an VG Koblenz vom 25. März 2003; vgl. auch Auswärtiges Amt an VG Berlin vom 3. Februar 2003; UNHCR an VG Koblenz vom 4. September 2003; UNHCR an VG Koblenz vom 29. September 2003; ai, Länderinformation vom 15. Oktober 2003; a. A. wohl OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 15. Dezember 2003 - 3 LB 11/02 -, V.n.b.).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 24. Mai 2004, die sich u.a. zur generellen Registrierungsmöglichkeit von Flüchtlingen aus dem Kosovo verhält, nicht jedoch zu den Umständen, unter denen eine solche Registrierung zu erlangen ist. Im übrigen hat das Auswärtige Amt in seiner Auskunft vom 8. Februar 2005 an das VG Bremen noch einmal ausgeführt, dass albanische Volkszugehörige, wie Angehörige der ethnischen Minderheiten aus dem Kosovo bei der Registrierung im übrigen Serbien und Montenegro mit erheblichem Widerstand der zuständigen Kommunalbehörden rechnen müssen. Zwar sei die Registrierung als "intern Vertriebene" nicht von diesen Behörden abhängig. Sie erfolge über das Flüchtlingskommissariat und sei bis in die jüngste Zeit relativ großzügig gehandhabt worden. Neuerdings habe dieses jedoch die Anweisung entgegen der bisherigen Praxis, Personen nur noch dann als "intern Vertriebene" anzuerkennen, wenn sie direkt aus dem Kosovo kämen, um sich in Serbien niederzulassen. Personen mit längerem Auslandsaufenthalt stünde damit de facto nur noch die mit den oben genannten Schwierigkeiten verbundene "reguläre" Registrierung offen. Grds. könnte diese zwar auf dem Rechtsweg durchgesetzt werden. Den Betroffenen würde dafür allerdings in aller Regel die nötige Erfahrung und Kenntnis bzw. die nötigen finanziellen Mittel fehlen. Sofern eine Registrierung nicht gelinge, bestünde insbesondere kein Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt und auf kostenlose Krankenversicherung.

Der begehrten Feststellung steht auch § 60 Abs. 7 S 2 AufenthG nicht entgegen. Die aufgrund der fehlenden finanziellen Möglichkeiten der Klägerin zu 2) resultierende Gefährdung stellt keine allgemeine Gefahr im Sinne dieser Vorschrift dar:

Eine allgemeine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG kann nur dann angenommen werden, wenn die Gefahr die Bevölkerung insgesamt oder eine Bevölkerungsgruppe betrifft. Neben dieser quantitativen Voraussetzung muss auch die Art der Gefahr als qualitatives Element berücksichtigt werden.

In Fällen, in denen ein Großteil der Bevölkerung eines Landes aus finanziellen Gründen keinen Zugang zur medizinischen Versorgung hat - insbesondere aufgrund einer hohen Arbeitslosigkeit und verbreiteten Armut - hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof eine allgemeine Gefahr im Sinne des dem § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG entsprechenden § 53 Abs. 6 S. 2 AuslG angenommen. Als maßgebliche Bevölkerungsgruppe erachtet er dabei nicht die an einer bestimmten Krankheit leidenden, sondern die Gruppe der Kranken ohne Einkommen und ohne finanzielle Unterstützung durch die Familie (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 10. Oktober 2000 - 25 B 99.32077 -, juris).

Das Bundesverwaltungsgericht hat ausgeführt, dass eine individuelle Gefährdung im Sinne des § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG anzunehmen ist, wenn eine notwendige medizinische Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, sie dem betroffenen Ausländer aber individuell aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist (BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2002 - 1 C 1.02 -, DVBl. 2003, 463 = AuAS 2003, 106 unter Bezugnahme auf seinen Beschluss vom 29. April 2002 - 1 B 59.02, 1 PKH 10.02 -, Buchholz 402.240, § 53 AuslG Nr. 60).

Die fehlende Finanzierbarkeit einer medizinischen Behandlung ist aber nicht stets eine individuelle Gefährdung für den Betroffenen, sondern kann grundsätzlich auch eine allgemeine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG darstellen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. April 2002 - 1 B 59.02, 1 PKH 10.02 -, a. a. O.).

Eine allgemeine Gefahr und damit die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG tritt aber erst dann ein, wenn neben der Größe der betroffenen Bevölkerungsgruppe - als weitere Voraussetzung - die Art der Gefahr eine ausländerpolitische Leitentscheidung nach § 54 AuslG erfordert (vgl. zu § 53 Abs. 6 S. 2 AuslG: BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2001 - 1 C 5.01 -, a.a.O.).

Gegen die Annahme des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes einer allgemeinen Gefahr im Hinblick auf die Bevölkerungsgruppe der "mittellosen Kranken" sprechen Sinn und Zweck von § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG und § 60a AufenthG. Mit dieser Regelung soll nach dem Willen des Gesetzgebers erreicht werden, dass dann, wenn eine bestimmte Gefahr der ganzen Bevölkerung oder einer im Abschiebezielstaat lebenden Bevölkerungsgruppe gleichermaßen droht, über deren Aufnahme und Nichtaufnahme nicht im Einzelfall durch eine Entscheidung des Bundesamtes oder eine Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde, sondern für die ganze Gruppe der potenziell Betroffenen einheitlich durch eine ausländerpolitische Leitentscheidung des Innenministeriums befunden wird. Dementsprechend muss für die Annahme einer allgemeinen Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG nicht nur die Größe der Gruppe, sondern auch die Art der Gefahr eine politische Leitentscheidung erforderlich machen.

Nach Auffassung der Kammer kann nicht auf eine Gruppe der "mittellosen Erkrankten" abgestellt werden. Den betroffenen "mittellosen Erkrankten" droht gerade nicht dieselbe Gefahr. Die Gefahr für Leib und Leben der Betroffenen besteht nicht allein darin, keinen Zugang zum Gesundheitssystem zu haben, sondern in der konkreten Weiterentwicklung ihrer jeweiligen individuellen Krankheit; insoweit kann von einer gleichartigen Gefahr für die Betroffenen nicht ausgegangen werden. Dabei ist offenkundig, dass die verschiedenen Krankheiten und die sich hieraus ergebenden Gefährdungen sich erheblich unterscheiden. Wenn es aber Sinn und Zweck des § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG ist, eine Vielzahl gleichgelagerter Fälle wegen der Art der Gefahr einheitlich zu entscheiden, so können nicht sämtliche in einem Land vorkommenden Krankheiten deshalb rechtlich gleichgestellt werden, weil die Patienten das Schicksal der Mittellosigkeit teilen. Der Gruppe der mittellosen Erkrankten fehlt die erforderliche Homogenität bezogen auf die Art der Gefahr. Die den Betroffenen aufgrund ihrer individuellen Erkrankung drohenden Gefahren sind derart verschieden, dass sich eine generalisierende Betrachtung verbietet (vgl. gegen die Annahme einer allgemeinen Gefahr wegen unzureichender medizinischer Versorgung infolge fehlender finanzieller Mittel-:VG Sigmaringen, Urteil vom 13. August 2003 - A 5 K 11176/03 -, Asylmagazin 1-2/2004, 42; ebenso im Ergebnis Hess. VGH, Urteil vom 24. Juni 2003 - 9 E 34260/94.A -, V.n.b.).

Aus diesen Erwägungen kann auch nicht auf eine Gruppe der „mittellosen Erkrankten aus dem Kosovo", die de facto von der staatlichen Gesundheitsfürsorge in Serbien und Montenegro ausgeschlossen sind, abgestellt werden.