VG Bremen

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Zitieren als:
VG Bremen, Urteil vom 28.02.2005 - 1 K 1289/03.A - asyl.net: M6601
https://www.asyl.net/rsdb/M6601
Leitsatz:
Schlagwörter: Syrien, Kurden, Glaubwürdigkeit, Desertion, Wehrdienst, Wehrdienstentziehung, Wehrpflicht, Politmalus, Folter, Gruppenverfolgung, Antragstellung als Asylgrund, Situation bei Rückkehr, Exilpolitische Betätigung, Krankheit, Abschiebungshindernis, Psychische Erkrankung
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

2. Der Kläger hat nach diesen Grundsätzen keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter.

a) Eine individuell gegen den Kläger gerichtete politische Verfolgung ist nicht hinreichend dargetan.

bb) Auch wenn dem Kläger zumindest insoweit Glauben geschenkt würde, dass er sich durch Desertion vom Wehrdienst strafbar gemacht habe, könnte hierauf die Annahme einer politischen Verfolgung nicht gestützt werden.

Die Heranziehung zum Wehrdienst und die Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung oder Desertion sind nur dann politische Verfolgung im Sinne des Art. 16 a GG, wenn sie neben der Erfüllung der allgemeinen staatsbürgerlichen Pflicht beziehungsweise der Ahndung kriminellen Unrechts auch darauf gerichtet sind, den Betreffenden wegen eines asylerheblichen Persönlichkeitsmerkmals zu treffen. Das wäre der Fall, wenn mit der Einziehung zum Wehrdienst oder mit der Bestrafung von Weigerung zugleich eine politische Disziplinierung und Einschüchterung von politischen Gegnern, eine Umerziehung von Andersdenkenden oder eine Zwangsassimilierung von Minderheiten bezweckt wird. Ein politische Verfolgung sind solche Maßnahmen etwa dann, wenn die Verweigerer oder Deserteure als Verräter an der gemeinsamen Sache angesehen und deshalb übermäßig hart bestraft, zu besonders gefährlichen Einsätzen kommandiert oder allgemein geächtet werden (vgl. BVerfGE 71, 276 294>; BVerwG, Urt. v. 24. 11. 1992 - 9 C 70.91, DVBl. 1993, 325).

Eine solche Feststellung lässt sich jedoch in Hinblick auf die Behandlung von Fahnenflüchtigen in Syrien entgegen der Auffassung des Klägers nicht treffen.

(1) Bei Fahnenflüchtigen, die sich lediglich der weiteren Ableistung des Wehrdienstes in Syrien entzogen haben, ansonsten aber nicht als Oppositionelle oder auf andere Weise als Regimegegner hervorgetreten sind, erfolgt eine Bestrafung wegen Missachtung ihrer staatsbürgerlichen Verpflichtungen in einem Umfang und in einer Art und Weise, wie sie auch in anderen Staaten üblich ist und die einen so genannten Politmalus nicht erkennen lässt (ebenso Niedersächsisches OVG, Urt. v. 22. Oktober 2002 - 2 L 2583/00).

Vor diesem Hintergrund ist das Gericht der Überzeugung, dass eine Fahnenflucht nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einer Verfolgungsgefahr führt. Dafür spricht zunächst, dass es nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes in der Rechtspraxis in den Fällen der Wehrdienstentziehung kaum zu militärstrafrechtlichen Verfahren kommt und auch in den Fällen einer Fahnenflucht generell von einem niedrigen Strafrahmen ausgegangen wird. Im Wesentlichen begnügt sich der syrische Staat mit einer Verdopplung der Wehrdienstzeit. Es bestehen deshalb keine Anhaltspunkte dafür, dass Fahnenflüchtige als Verräter behandelt und gegen sie besonders hohe, der Abschreckung dienende Gefängnisstrafen verhängt und vollstreckt werden. Des Weiteren ist zwar davon auszugehen, dass es bei einer Einreisekontrolle auf dem Flughafen in Damaskus zu einer Überprüfung und zu einer Inhaftierung kommen kann. Da sich aber eine Fahnenflucht regelmäßig und auch im vorliegenden Fall einfach feststellen lässt und sich der Kläger bisher nicht in einer Weise engagiert hat, die ihn als Regimegegner erscheinen ließe, ist nicht erkennbar, warum er in ein Verhörzentrum des Geheimdienstes verbracht und dort unter Folter verhört werden sollte. Wahrscheinlich ist vielmehr, dass er unmittelbar nach seiner Festnahme an die Militärpolizei überstellt und einem Militärstrafverfahren zugeführt wird. Es ist nach den Umständen des vorliegenden Falles nichts dafür ersichtlich, dass die syrischen Behörden in der Fahnenflucht eine "verfolgungswürdige" oppositionelle Haltung sehen könnten. Im Übrigen gibt es bisher nicht einen Referenzfall dafür, dass Fahnenflüchtige unmittelbar nach der Wiedereinreise in einem Verhörzentrum oder bei Verbüßung ihrer Militärstrafe misshandelt und gefoltert werden. In Anbetracht dieser Erkenntnislage kann die Feststellung, dass der Kläger wegen seiner Fahnenflucht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen vor seiner Ausreise zu erwarten hatte oder im Falle seiner Rückkehr zu erwarten haben wird, nicht getroffen werden.

(2) Auch unter Berücksichtigung der kurdischen Volkszugehörigkeit des Klägers ergibt sich nach den vorliegenden Erkenntnissen keine andere Gefahrenprognose. Nach der Einschätzung des Deutschen Orient-Instituts in seiner Stellungnahmen vom 1. Juli 2003 an das Verwaltungsgericht des Saarlandes lasse es sich unter keinem Gesichtspunkt darstellen, dass kurdischen Volkszugehörigen eine härtere Bestrafung wegen Desertion als arabischen Volkszugehörigen in Syrien drohen könnte. In Übereinstimmung damit teilt das Auswärtige mit, dass Kurden mit syrischer Staatsangehörigkeit über die gleichen Rechte und Pflichten wie ihre arabischen Mitbürger verfügten. Sie würden nicht allein aufgrund ihrer kurdischen Abstammung besonderen Repressionen ausgesetzt (Auskunft vom 10. April 2003 an VG Saarland). Insbesondere sei eine systematische unterschiedliche Behandlung von Rekruten auf der Basis der ethnischen Herkunft oder religiösen Überzeugung nicht bekannt geworden (Lagebericht v. 1. April 2004).

b) Die Gefahr einer Gruppenverfolgung in Hinblick auf die kurdische Volkszugehörigkeit des Klägers lässt sich weder für den Zeitpunkt der Ausreise noch für den Fall einer Rückkehr nach Syrien feststellen (vgl. OVG Bremen, U. v. 12.04.2000 –2 A 466/99.A-; ferner OVG des Saarlandes, B. v. 11.03.2002 - 3 Q 79/01).