§ 60 Abs. 7 AufenthG für alleinerziehende Mutter wegen extremer Gefährdung aufgrund schlechter Versorgungslage im Irak; Erlasslage in Baden-Württemberg bietet keinen gleichwertigen Schutz, da die Neuerteilung von Duldungen nicht vorgesehen ist.
§ 60 Abs. 7 AufenthG für alleinerziehende Mutter wegen extremer Gefährdung aufgrund schlechter Versorgungslage im Irak; Erlasslage in Baden-Württemberg bietet keinen gleichwertigen Schutz, da die Neuerteilung von Duldungen nicht vorgesehen ist.
(Leitsatz der Redaktion)
Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat es jedoch zu Unrecht abgelehnt, die Tatbestandsmerkmale des § 60 Abs. 7 AufenthG festzustellen (zur bisherigen einschlägigen Regelung in § 53 Abs. 6 AuslG vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.02.1993, -16 S 204/93-; Rennert, VBlBW 1993, Seite 90/93).
Einen Erlass des Innenministeriums Baden-Württemberg gemäß § 54 AuslG (jetzt § 60 a Abs. 1 AufenthG) bezüglich irakischer Staatsangehöriger gibt es nicht. Das Innenministerium Baden-Württemberg geht vielmehr in seinen beiden Erlassen vom 27.11.2003 und 29.07.2004, die sich mit irakischen Staatsangehörigen befassen, in Übereinstimmung mit der Innenminister-Konferenz davon aus, dass eine freiwillige Rückkehr in den Irak grundsätzlich möglich und zumutbar sei, so dass die Erteilung und Verlängerung von Aufenthaltsbefugnissen nach § 30 Abs. 3 und 4 AuslG i. d. R. nicht mehr in Betracht komme. Schon dies schließt eine Qualifizierung als Entscheidung gem. § 60 a Abs. 1 AufenthG aus, weil dieser Norm voraussetzt, dass die Schutzgewährung für eine bestimmte Ausländergruppe erforderlich ist und generell - nicht nur im Einzelfall - gewährt wird. Auch die den Ausländerbehörden im vorletzten Satz eingeräumte Möglichkeit, Duldungen weiterhin für jeweils drei Monate zu verlängern, enthält keine generelle Regelung zu Gunsten irakischer Staatsangehöriger im Sinne des § 60 a Abs. 1 AufenthG. Zum einen wird den Ausländerbehörden nur die Befugnis zugestanden, sie müssen jedoch nicht auf Grund dieses Erlasses die Duldungen verlängern. Zum anderen wird nicht einmal die Befugnis eingeräumt, Duldungen zu erteilen, so dass alle irakischen Staatsangehörigen, deren Asylverfahren erst nach diesen Erlassen rechtskräftig abgeschlossen werden - wie das der Kläger -, von der Regelung nicht erfasst werden.
Entgegen der Auffassung des VGH Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 16.09.2004 - A 2 S 471/02 - und seinem Beschluss vom 30.12.2004 - A 2 S 1149/04 - besteht im Falle der Kläger auch kein gleichwertiger Abschiebeschutz auf der Grundlage der badenwürttembergischen Erlasslage. Die Kläger werden nach dem Wortlaut der Erlasse von diesen nicht erfasst. Aufgrund ihres Asylantrages sind sie derzeit im Besitz einer Aufenthaltsgestaltung nach § 55 AsylVfG. Diese erlischt gem. § 67 Abs. 1 Nr. 6 AsylVfG erst, wenn die Entscheidung des Bundesamts unanfechtbar geworden ist. Da die Kläger somit derzeit nicht zur Ausreise verpflichtet sind, sind sie auch nicht im Besitz von Duldungen, die verlängert werden könnten. Wie bereits ausgeführt, räumen die Erlasse den Ausländerbehörden nicht die Befugnis ein, neue Duldungen zu erteilen. Ob die Kläger also nach dem rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens abgeschoben werden können oder nicht, ist in den beiden Erlassen nicht geregelt.
Den Erkenntnisquellen des Gerichts ist übereinstimmend zu entnehmen, dass sich nach dem Sturz des Saddam-Regimes aufgrund des Machtvakuums im Alltagsleben die Situation der Frauen im Irak erheblich verschlechtert hat. Da sich nach der Abschaffung der diktatorischen Unterdrückungsmechanismen eine wirksame und weitgehend akzeptierte staatliche Autorität noch nicht etabliert hat, sind vor allem allein stehende Frauen in erheblichem Umfang kriminellen Übergriffen ausgeliefert. Frauen trauen sich überwiegend nur noch in männlicher Begleitung auf die Straße und können nur noch im Kreise und unter dem Schutz ihrer Familie existieren (vgl. Siamend Hajo, Gutachten vom 06.04.2004 an das VG Ansbach und Michael Kirschner, Schweizerische Flüchtlingshilfe, "Irak - Die aktuelle Lage" vom 20.05.2004).
Nach ihrem glaubwürdigen Vorbringen in der mündlichen Verhandlung steht der Klägerin Ziffer 1 der Schutz der Familie nicht mehr zur Verfügung. Zwar ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich die Kammer anschließt, bei der Prognose, welche Gefahren dem Asylbewerber im Falle einer Abschiebung in den Heimatstaat drohen, regelmäßig von einer gemeinsamen Rückkehr mit den Familienangehörigen auszugehen ist, mit denen er als Familie in Deutschland zusammenlebt. Dies gilt jedoch nicht in Bezug auf die Familienangehörigen, denen Asyl oder Abschiebeschutz gewährt worden ist oder die aus sonstigen Gründen nicht in die gemeinsame Heimat zurückkehren müssen. Da der Ehemann der Klägerin Ziffer 1 wegen des ihm gemäß § 51 Abs. 1 AuslG gewährten und nach Auskunft der Klägerin Ziffer 1 in der mündlichen Verhandlung bisher nicht widerrufenen Abschiebungsschutzes nicht zur Ausreise verpflichtet ist, muss das Gericht bei seiner Prognose davon ausgehen, dass die Klägerin Ziffer 1 mit ihren Kindern allein in den Irak ausreist. Ohne ihren Ehemann wäre sie im Irak in der Situation einer allein stehenden Frau, die zusätzlich noch vier Kinder zu versorgen und zu ernähren hätte - darunter ein Kleinkind von vier Monaten. Unter diesen Voraussetzungen ist eine Existenz der Kläger im Irak nicht möglich. Zwar dürfte der Abschiebung der Kläger ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis aus Art. 6 GG zustehen, doch widerspräche es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dem Schutzkonzept des Asylverfahrens- und des Ausländergesetzes, einen Asylbewerber mit Rücksicht auf noch unentschiedene Duldungsansprüche ohne zielstaatsbezogene Schutzentscheidung nach § 60 Abs. 7 AufenthG (bisher § 53 Abs. 6 AuslG) zu lassen. Unter solchen Umständen sind das Bundesamt und die Verwaltungsgerichte vielmehr befugt und verpflichtet, dem Ausländer Abschiebungsschutz durch eine positive Feststellung nach § 60 Abs. 7 AufenthG (bisher § 53 Abs. 6 AuslG) unter ausnahmsweiser Durchbrechung der Sperrwirkung des Satzes 2 zu gewähren (BVerwG, Urteil vom 12.07.2001 - 1 C 2.01 -, NVwZ 2001, 1420/1422).