VG Karlsruhe

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Zitieren als:
VG Karlsruhe, Urteil vom 04.02.2005 - A 3 K 11689/04 - asyl.net: M6632
https://www.asyl.net/rsdb/M6632
Leitsatz:

1. § 73 Abs. 1 S. 1 AsylVfG in der seit dem 01.01.2005 geltenden Fassung ist auch Rechtsgrundlage für den Widerruf einer vor diesem Zeitpunkt ergangenen Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG.

2. § 73 Abs. 2 a AsylVfG ist auf vor dem 01.01.2005 wirksam gewordene und noch nicht unanfechtbare Widerrufsentscheidungen des Bundesamtes nicht anwendbar.

3. Der Sturz des Regimes Saddam Husseins im Irak stellt eine solche nachträgliche Änderung der maßgeblichen Verhältnisse dar, die zum Widerruf berechtigt und auch verpflichtet. Dies gilt auch bezüglich der kurdischen Gebiete im Nordirak (im Anschluss an BVerwG, Urt. v. 25.08.2004, NVwZ 2005, 89).

 

Schlagwörter: Widerruf, Irak, Zuwanderungsgesetz, Gesetzesänderung, Ausreise, Auslandsaufenthalt, Antragstellung als Asylgrund, Nordirak, Zwingende Gründe, Ermessen, Allgemeine Gefahr, Abschiebungsstopp, Erlass, Rückwirkung, Änderung der Sachlage, Wegfall-der-Umstände-Klausel
Normen: AufenthG § 73 Abs. 1; GFK Art. 1 C Nr. 5 S. 1; AsylVfG § 73 Abs. 2a; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

1. § 73 Abs. 1 S. 1 AsylVfG in der seit dem 01.01.2005 geltenden Fassung ist auch Rechtsgrundlage für den Widerruf einer vor diesem Zeitpunkt ergangenen Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG.

2. § 73 Abs. 2 a AsylVfG ist auf vor dem 01.01.2005 wirksam gewordene und noch nicht unanfechtbare Widerrufsentscheidungen des Bundesamtes nicht anwendbar.

3. Der Sturz des Regimes Saddam Husseins im Irak stellt eine solche nachträgliche Änderung der maßgeblichen Verhältnisse dar, die zum Widerruf berechtigt und auch verpflichtet. Dies gilt auch bezüglich der kurdischen Gebiete im Nordirak (im Anschluss an BVerwG, Urt. v. 25.08.2004, NVwZ 2005, 89).

(Amtliche Leitsätze)

 

Die Entscheidung der Beklagten über den Widerruf der Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG war trotz des mehr als drei Jahre seit Unanfechtbarkeit der widerrufenen Feststellung verstrichenen Zeitraums auch nicht nach § 73 Abs. 2 a S. 3 AsylVfG n.F. nach Ermessen zu treffen. Die erst am 01.01.2005 in Kraft getretene Vorschrift des § 73 Abs. 2 a S. 1 bis 3 AsylVfG n.F. ist nämlich aus Gründen des materiellen Rechts nicht auf Widerrufsentscheidungen anzuwenden, die vor diesem Zeitpunkt bekannt gegeben (§ 73 Abs. 5 AsylVfG) und damit wirksam wurden (§ 43 Abs. 1 S. 1 VwVfG; ebenso: VG Karlsruhe, Urt. v. 17.01.2005 - A 2 K 12256/03 -; VG Düsseldorf, Urt. v. 10.01.2005 - 14 K 6018/03.A -; a.A. VG Arnsberg, Urt. v. 14.01.2005 - 12 K 521/04.A -). Daher lassen sich aus § 77 Abs. 1 Halbs. 1 AsylVfG, wonach das Gericht für die Entscheidung auf die Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abzustellen hat, für den vorliegenden Fall keine gegenteiligen Schlussfolgerungen ableiten.

Für die ab 01.01.2005 geltende Änderung des § 73 AsylVfG existiert keine Übergangsvorschrift. Die Frage, ob die Vorschrift des § 73 Abs. 2 a S. 1 bis 3 AsylVfG n.F. auch auf angefochtene Widerrufsentscheidungen des Bundesamtes anzuwenden ist, die vor diesem Zeitpunkt bekannt gegeben wurden, ist daher nach den allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Verwaltungsrechts zu beurteilen.

Nach den Grundsätzen des intertemporalen Verwaltungsrechts, die u.a. in § 96 VwVfG ihren Niederschlag gefunden haben, findet neues Verfahrensrecht vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens an regelmäßig auf noch nicht abgeschlossene Verfahren Anwendung. Dies bedeutet, dass neues Verfahrensrecht in der Regel alle bereits vorher eingeleiteten und noch anhängigen Verwaltungsverfahren erfasst, sich dagegen nicht mehr auf abgeschlossene Verwaltungsverfahrensabschnitte erstreckt (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.03.1985 - 9 C 47/84 - <juris> und Urt. v. 18.02.1992 - 9 C 59/91 - <juris>; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 28.05.1991 - A 16 S 2357/90 - <juris> und VGH Bad.-Württ., Urt. v. 07.11.1991 - A 13 S 1571/91 -; VG Karlsruhe, Urt. v. 17.01.2005, aaO; Stelkens, VwVfG, 6.Auflage, § 96, RN 1). Dies ergibt sich für die bis zum 31.12.2004 bekannt gegebenen Widerrufsentscheidungen des Bundesamtes bereits daraus, dass während der Durchführung des Widerrufsverfahrens beim Bundesamt die Prüfungspflicht des § 73 Abs. 2 a S. 1 AsylVfG n.F. noch nicht existierte und demgemäß auch nicht vom Bundesamt beachtet werden konnte. Zudem kann das Bundesamt nach Erlass seiner Widerrufsentscheidung dieser neuen Verfahrensvorschrift im gerichtlichen Verfahren nicht mehr Rechnung tragen. Wenn in diesen Fällen dennoch die mit der Prüfungspflicht verbundene materiell-rechtliche Folge einer Ermessensentscheidung rückwirkend zur Anwendung hätte gelangen sollen, hätte es einer ausdrücklichen Geltungsanordnung des Gesetzgebers bedurft (vgl. auch BVerwG, Urt. v. 26.03.1985, aaO), die nicht erfolgt ist. Dies gilt umso mehr, als die Ermessensentscheidung nach § 73 Abs. 2 a S. 3 AsylVfG n.F. eine Prüfung nach Satz 1 mit dem Ergebnis, nicht zu widerrufen, voraussetzt. Da die Prüfungspflicht des Bundesamts nach § 73 Abs. 2 a S. 1 AsylVfG n.F. aber frühestens ab Inkraftreten dieser Vorschrift zum 01.01.2005 bestanden hat, fallen in den bis zum 31.12.2004 bekannt gegebenen Widerrufsentscheidungen die Pflicht zur Prüfung und das Ergebnis der Prüfung - der Widerruf - zusammen. Damit kommt aber in diesen Fällen eine Ermessensentscheidung nach § 73 Abs. 2 a S. 3 AsylVfG n.F. von vorneherein nicht in Betracht. Dies macht deutlich, dass, wenn der Gesetzgeber dennoch auch in diesen "Altfällen" unabhängig vom Bestehen einer Prüfungspflicht der Behörde eine Ermessensentscheidung über den Widerruf gewollt hätte, dies ausdrücklich hätte anordnen müssen.

Das Fehlen einer Übergangsregelung ist auch verfassungsrechtlich unbedenklich. Insbesondere findet die dadurch eintretende Ungleichbehandlung ihre sachliche Rechtfertigung in der mit dem Zuwanderungsgesetz vorgenommenen neuen rechtlichen Ausgestaltung des Aufenthaltsrechts eines anerkannten Asylbewerbers bzw. eines Ausländers, dem der Status nach § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG zusteht. Die gegebenenfalls bei einem Widerruf zu treffende Ermessensentscheidung nach § 73 Abs. 2 a S. 3 AsylVfG steht im systematischen Zusammenhang mit der Regelung des § 26 Abs. 3 AufenthG. Danach erhält ein unanfechtbar anerkannter Asylberechtigter und ein Ausländer, dem unanfechtbar den Status des § 60 Abs. 1 AufenthG zusteht, erst nach drei Jahren ein verfestigtes Aufenthaltsrecht, nämlich eine Niederlassungserlaubnis, wobei das Bundesamt zudem noch gem. § 73 Abs. 2 a AsylVfG mitgeteilt haben muß, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf nicht vorliegen. Für den Zeitraum davor erhält der Ausländer nunmehr lediglich eine - befristete - Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG. Im Gegensatz dazu erhielt ein anerkannter Asylbewerber nach altem Recht bereits vom Zeitpunkt der Unanfechtbarkeit an eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die nach heutigem Recht einer Niederlassungserlaubnis entspricht (vgl. § 68 AuslG).