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Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 22.02.2005 - 1 C 17.03 - asyl.net: M6656
https://www.asyl.net/rsdb/M6656
Leitsatz:

Eine nur nach religiösem Ritus mit Eheschließungswillen eingegangene Verbindung (hier: von staatenlosen Kurden jezidischen Glaubens in Syrien), die der Heimatstaat nicht anerkennt, ist keine Ehe im Sinne des § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG.

 

Schlagwörter: Syrien, Kurden, Staatenlose, Jesiden, Familienasyl, Ehe, Religiöse Eheschließung, Religiös motivierte Verfolgung, Religiöses Existenzminimum, Religionsfreiheit, Eheschließungsfreiheit, gewöhnlicher Aufenthalt, Einreiseverweigerung
Normen: AsylVfG § 26 Abs. 1 Nr. 2; GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Eine nur nach religiösem Ritus mit Eheschließungswillen eingegangene Verbindung (hier: von staatenlosen Kurden jezidischen Glaubens in Syrien), die der Heimatstaat nicht anerkennt, ist keine Ehe im Sinne des § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG.

(Amtlicher Leitsatz)

 

1. Nach § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG, der nach dem Zuwanderungsgesetz unverändert weiter gilt, wird der Ehegatte eines Asylberechtigten als (familien-)asylberechtigt anerkannt, "wenn die Ehe schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird". Die Gewährung von Familienasyl kommt danach nur für den "Ehegatten eines Asylberechtigten" in Betracht, dessen "Ehe" bereits im Verfolgerstaat bestanden hat. Die Beteiligten streiten im Revisionsverfahren nur darum, ob die nach religiösem (jezidischem) Ritus in Syrien geschlossene Verbindung zwischen der Klägerin und ihrem Mann als "Ehe" im Sinne dieser Bestimmung anzusehen ist.

Das Oberverwaltungsgericht ist zu Recht und in Übereinstimmung mit der nahezu einhelligen Meinung in Rechtsprechung und Literatur davon ausgegangen, dass Ehe im Sinne des § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG nur eine bereits im Verfolgerstaat eingegangene und von diesem als Ehe anerkannte und registrierte Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau ist (vgl. insbesondere das bereits im OVG-Urteil zitierte Urteil des früher für das Asylrecht zuständigen 9. Senats vom 15. Dezember 1992- BVerwG 9 C 61.91 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 159 = NVwZ 1993, 792 und Beschluss vom 11. August 1999 - BVerwG 9 B 19.99 - Buchholz 402.25 § 26 AsylVfG Nr. 6). Eine nur nach religiösem Ritus mit Eheschließungswillen eingegangene Verbindung, die der Heimatstaat nicht anerkennt, ist dagegen keine Ehe im Sinne des § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG. So ist für eine nach islamischem Ritus in der Türkei geschlossene Ehe (sog. Imam-Ehe) - ungeachtet ihrer langen Tradition, ihrer Verbreitung, ihrer staatlichen Tolerierung und ihres Ansehens - die Anwendbarkeit des Familienasyls mit Blick auf die fehlende Rechtsgültigkeit einer solchen Eheschließung abgelehnt worden (vgl. Beschluss vom 11. August 1999 a.a.O. und etwa OVG Koblenz, Urteil vom 5. Juli 1993 - 13 A 10564/92 - NVwZ 1994, 514; VGH Mannheim, Urteil vom 17. Januar 1995 - A 12 S 64/92 - <juris>). Die Annahme, dass eine allein nach religiösem Ritus (ohne staatliche Anerkennung) eingegangene Lebensgemeinschaft die Voraussetzungen des § 26 AsylVfG nicht erfüllt, wird auch in der Kommentarliteratur nicht in Frage gestellt (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, § 26 AsylVfG Rn. 20; Marx, AsylVfG, 5. Auflage 2003, § 26 Rn. 23; Renner, Ausländerrecht, 7. Auflage 1999, § 26 AsylVfG Rn. 12; Schnäbele in: GK-AsylVfG Band 2, § 26 Rn. 61). Nur Koisser/Nicolaus (ZAR 1991, 31) erwägen, ein "Verlöbnis" im Verfolgerstaat, welches verfolgungsbedingt nicht in eine Ehe mündet, einer Ehe im Sinne des § 26 Abs. 1 AsylVfG (damals noch im Sinne von § 7 a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG a.F.) gleichzustellen. Dagegen sprechen jedoch schon der eindeutige Wortlaut des § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG, der den Begriff der Ehe ersichtlich im rechtstechnischen (zivilrechtlichen) Sinne gebraucht, und der im Völkerrecht und Flüchtlingsvölkerrecht verbindliche Rückgriff auf das Personalstatut des Heimatstaats (vgl. Art. 12 Abs. 1 GFK). Auch Sinn und Zweck des (nur einfachrechtlich gewährten, seit 1. Januar 2005 gemäß § 26 Abs. 4 AsylVfG auf politische Flüchtlinge nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgedehnten) Familienasyls erfordern eine erweiternde Auslegung nicht. Vielmehr ist der strikt am Wortlaut orientierten Interpretation auch aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit der Vorzug zu geben. Wer - wie hier die Klägerin - geltend macht, von seinem Heimatstaat aus religiösen oder ethnischen Gründen an einer staatlich anerkannten Eheschließung gehindert worden zu sein, kann ggf. die Asylberechtigung nach Art. 16 a GG und eine Flüchtlingsanerkennung nach § 60 Abs. 1 AufenthG aus eigenem Recht erstreiten.

2. Die Klägerin hat indes auch keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16 a Abs. 1 GG und auf die Gewährung von asylrechtlichem Abschiebungsschutz als politischer Flüchtling nach § 60 Abs. 1 AufenthG. Die Vorenthaltung einer staatlich wirksamen zivilen Eheschließung, wie sie das Oberverwaltungsgericht als wahr unterstellt hat, kann zwar, wenn sie aus ethnischen oder religiösen Gründen erfolgt, asylerheblich sein. Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts läge in einem faktischen Zwang zur Verleugnung des jezidischen Glaubens vor staatlichen Stellen auch ein Eingriff in den regelmäßig unentziehbaren Kernbereich der Religionsfreiheit (vgl. zuletzt Urteil vom 20. Januar 2004 - BVerwG 1 C 9.03 - BVerwGE 120, 16 20>). In diesem Zusammenhang hat das Oberverwaltungsgericht den Umfang des asylrechtlich erheblichen sog. religiösen Existenzminimums ("forum internum") verkannt. Es bezieht dieses zu einseitig nur auf die Glaubensbetätigung im nichtöffentlichen Bereich.