VGH Baden-Württemberg

Merkliste
Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 20.04.2005 - A 8 S 264/05 - asyl.net: M6677
https://www.asyl.net/rsdb/M6677
Leitsatz:
Schlagwörter: Divergenzrüge, Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, EGMR, Allgemeine Gefahr, Extreme Gefahrenlage, Anerkennungsrichtlinie, ernsthafter Schaden, Afghanistan, Gehörsrüge
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 2; AufenthG § 60 Abs. 7; RL 2004/83/EG Art. 15 Bst. c
Auszüge:

Ohne Erfolg bleiben auch die Grundsatzrügen.

a) Das gilt einmal hinsichtlich der Frage, "ob die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Notwendigkeit einer extremen allgemeinen Gefahrenlage für die Bejahung der Annahme eines damaligen Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 (heute § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) mit Art. 15c der Richtlinie 2004/83/EG vereinbar ist."

Der Kläger hat im erstinstanzlichen Verfahren selbst auf die einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu der - vom Verwaltungsgericht offen gelassenen - Frage hingewiesen, ob und gegebenenfalls welche "Vorwirkungen" eine EU-Richtlinie während des Laufs der Frist für ihre Umsetzung in nationales Recht für Gesetzgeber und Rechtsprechung entfaltet ... . Nach dieser Rechtsprechung ist die zwar bereits erlassene, gemäß Art. 38 Abs. 1 jedoch erst bis zum 10.10.2006 in nationales Recht umzusetzende Richtlinie 2004/83/EG im vorliegenden Fall jedoch offensichtlich auch dann nicht rechtserheblich, wenn der vom Kläger vertretene Interpretation der Richtlinie gefolgt wird (zur Notwendigkeit der Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Frage auch im Berufungsverfahren vgl. Sodan/Ziekow, VwGO, Bd. IV, § 124 Rn. 199 m.w.N.). Denn es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der nach Verabschiedung der Richtlinie erfolgte Erlass der §§ 60 Abs. 7, §60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG die fristgerechte Umsetzung der Richtlinie zum 10.10.2006 ernstlich in Frage stellen könnte (vgl. EuGH, Urt. v. 18.12.1997 - RsC - 126/96 -, NVwZ 1998, 385). Vorliegend kann sich auch nicht die Frage einer richtlinienkonformen Auslegung der innerstaatlichen Gesetze bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist stellen. Nach der - vom Kläger wiederung selbst zitierten - Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs besteht eine solche Pflicht der Gerichte grundsätzlich erst dann, wenn der Gesetzgeber bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist untätig geblieben ist (vgl. EuGH, Urt. v. 17.9.1997 - RsC - 54/96 -, NJW 1997, 3365). Zwar hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass eine richtlinienkonforme Auslegung nationaler Gesetze ausnahmsweise vor Ablauf der Umsetzungsfrist in Betracht kommen kann, wenn das Gesetz Spielraum für eine richterliche Rechtsfortbildung lässt (vgl. BGH, Urt. v. 5.2.1998 - I ZR 211/95 -, BGHZ 138, 55 zur Generalklausel des § 1 UWG). Das ist hier aber offenkundig nicht der Fall, weil der Bundesgesetzgeber die Regelungen der §§ 53 Abs. 6, 54 AuslG in Kenntnis der aus einer verfassungskonformen Auslegung dieser Vorschriften hergeleiteten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Maßstab der Extremgefahr wortgleich in die §§ 60 Abs. 7, 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthaltG übernommen hat.