VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 07.04.2005 - 14 B 02.30878 - asyl.net: M6679
https://www.asyl.net/rsdb/M6679
Leitsatz:

Keine Verfolgung wegen Übertritts iranischer Staatsangehörliger zum Christentum; § 60 Abs. 1 AufenthG schützt bislang nur das religiöse Existenzminimum, da die Umsetzungsfrist der Anerkennungs- oder Qualifikationsrichtlinie noch nicht abgelaufen ist.

 

Schlagwörter: Iran, Verfolgungsbegriff, Apostasie, Konversion, Missionierung, religiös motivierte Verfolgung, religiöses Existenzminimum, Anerkennungsrichtlinie, Umsetzungsfrist
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 5; RL 2004/83/EG Art. 10 Abs. 1 Bst. b; EMRK Art. 9
Auszüge:

Keine Verfolgung wegen Übertritts iranischer Staatsangehörliger zum Christentum; § 60 Abs. 1 AufenthG schützt bislang nur das religiöse Existenzminimum, da die Umsetzungsfrist der Anerkennungs- oder Qualifikationsrichtlinie noch nicht abgelaufen ist.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG liegen nicht vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hält - auch im Lichte der aktuellen Auskunftslage und in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG vom 20.1.2004 BVerwG 120, 16/19 f.) - an seiner ständigen Rechtsprechung fest, wonach der Abfall vom islamischen Glauben im Iran kein Straftatbestand ist und in dem im Jahre 1996 in Kraft getretenen Fünften Buch des Islamischen Strafgesetzbuchs Irans nicht erwähnt wird. Demnach wird die Apostasie im Iran als religiöses bzw. gesellschaftliches Fehlverhalten angesehen, das zu entsprechender Isolierung und Benachteiligungen führen kann. Eine Gefährdung durch Dritte ist jedoch erst bei einer über den bloßen Besuch öffentlicher Gottesdienste hinausgehenden, öffentlichkeitswirksamen religiösen Betätigung oder bei missionierender Tätigkeit zu befürchten, wobei diese Formen der Religionsausübung - weil über den Kernbereich der Religionsausübung im Sinne des sog. religiösen Existenzminimums hinausgehend - grundsätzlich nicht geschützt sind, unabhängig davon, wie stark der Ausländer sich selbst hierzu innerlich verpflichtet fühlt. Ein Verzicht auf eine Glaubensbetätigung nach außen ist dem Ausländer auch im Hinblich auf Art. 4 Abs. 1 und 2 GG zumutbar (vgl. BVerfG vom 1.7.1987 BVErfGE 76, 143/158 f.; BVerwG vom 20.1.2004 a.a.O.). Ein weitergehender Schutzanspruch des Einzelnen im Hinblich auf eine über den o.g. Kernbereich der Religionsausübung hinausgehende Glaubensbetätigung kann insbesondere auch nicht aus Art. 10 Abs. 1 Buchstabe b der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 (ABl der EU 2004 L Nr. 304, S. 12) abgeleitet werden. Zwar haben nach dieser Regelung die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Verfolgungsgründe zu berücksichtigen, dass der Begriff der Religion auch die Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich und sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen umfasst. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass sich Richtlinien gem. Art. 249 Abs. 3 EGV allein an die Mitgliedstaaten richten und dass der Einzelne erst nach ihrer Umsetzung durch nationales Recht aus den entsprechenden nationalen Rechtsvorschriften berechtigt und verpflichtet wird. Nur in den Fällen, in denen ein Mitgliedstaat eine Richtlinie nicht fristgemäß oder nur unzulänglich in das nationale Recht umgesetzt hat und in denen die Bestimmungen der Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, kann sich ein Einzelner vor einem nationalen Gericht gegenüber dem Staat auf die Bestimmungen der Richtlinie berufen. Das ist her jedoch nicht der Fall, weil die Umsetzungsfrist der vorgenannten Richtlinie am 10. Oktober 2006 abläuft (Art. 38 Abs. 1 der Richtlinie). Schließlich ist zur berücksichtigen, dass auch § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 9 EMRK über die geschützte Religionsausübung im nicht-öffentlichen, privaten Bereich (Forum Internum) nicht hinausgeht (vgl. auch: BayVGH vom 31.5.2001 Az. 19 B 99.31964; vom 30.1.2002 Az. 19 B 97.35400; vom 8.1.2004 Az. 14 ZB 03.31371; so auch die obergerichtliche Rechtsprechung: OVG NRW vom 5.9.2001 NVwZ 2002 Beilage Nr. I 1, 10 f.; SächsOVG vom 10.12.2004 Az. A 2 B 771/02 Juris-Dokument MWRE 104500300; OVG SH vom 29.3.2000 Az. 2 L 238/98; OVG Saarl vom 23.10.2002 Az. 9 R 3/00 Juris-Dokument MWRE 100670300; NdsOVG vom 30.1.2001 Az. 5 L 918/00; OVG Hamburg vom 22.2.2002 Az. 1 Bf 486/98.A, Juris-Dokument MWRE 109920200).

Dabei geht der Senat zwar - mit dem Verwaltungsgericht - davon aus, dass der Glaubensübertritt aufgrund einer echten Glaubensentscheidung erfolgt ist. Gleichwohl besteht für die Kläger keine hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsgefahr, weil sie in der Bundesrepublik - über die persönliche Religionsausübung hinaus - keine öffentlichkeitswirksame missionarische Tätigkeit entwickelt haben. Selbst wenn gleichwohl eine missionierende Tätigkeit angenommen werden sollte, ergäbe sich daraus nichts anderes. Denn nach aktueller Auskunftslage sind keine Fälle bekannt, in denen nach missionarischer Tätigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland eine strafrechtliche Verurteilung im Iran erfolgt ist (Auskünfte des AA vom 7.2.2003 und des DOI vom 27.2.2003 jeweils an das Verwaltungsgericht Münster).