VG Köln

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Zitieren als:
VG Köln, Beschluss vom 06.06.2005 - 18 L 766/05.A - asyl.net: M6680
https://www.asyl.net/rsdb/M6680
Leitsatz:
Schlagwörter: Irak, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK, Abschiebungshindernis, nichtstaatliche Gefahren, Abschiebungsstopp, Erlass, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AufenthG § 60 Abs. 5; AufenthG § 60 Abs. 7; VwGO § 80 Abs. 5; AsylVfG § 75; AsylVfG § 39 Abs. 1
Auszüge:

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zulässig, da die Klage vom 13.04.2005 gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 21.03.2005 gemäß § 75 AsylVfG keinen Suspensiveffekt entfaltet. Denn ein Fall des § 75 AsylVfG, der im Bereich des Asylrechts die Fälle der aufschiebenden Wirkung von Rechtsmitteln abschließend regelt, liegt nicht vor. Rechtsgrundlage für die mit Bescheid vom 21.03.2005 erlassene Abschiebungsandrohung ist vielmehr § 39 Abs. 1 AsylVfG, der die Aufenthaltsbeendigung im Falle einer erfolgreichen Klage des Bundesbeauftragten gegen eine Asylanerkennung durch das Bundesamt regelt. § 39 Abs. 1 AsylVfG erfasst dabei nicht nur diejenigen Fälle, in denen das Verwaltungsgericht ausschließlich die Asylanerkennung nach Art. 16a Abs. 1 GG aufgehoben hat, sondern jedenfalls auch diejenigen, in denen das Bundesamt das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (bzw. seit dem 01.01.2005 des § 60 Abs. 1 AufenthG) festgestellt und das Verwaltungsgericht diese Entscheidung aufgehoben hat, (vgl. Wiesbaden, Beschluss vom 27.09.2001 - 6 G 1793/01.A (1); VG Leipzig, Beschluss vom 20.08.2002 - 4 A 30476/02.A -; VG Düsseldorf, Urteil vom 26.01.2004 - 4 K 117/03.A; a.A. VG Braunschweig, Beschluss vom 13.05.2004 - 2 B 213/04 - und VG Göttingen, Beschluss vom 29.11.2004 - 2 B 382104 - alle zitiert nach Juris).

Der Antrag ist auch begründet.

Das Vorliegen von Abschiebungshindernissen gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG ist unter Berücksichtigung der neuen Rechtslage ab 01.01.2005 und der andauernden äußerst instabilen Sicherheitslage im Irak nicht von vorneherein ausgeschlossen.

Insbesondere ist hinsichtlich § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit den Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zu berücksichtigen, dass nunmehr auch Gefahren erfasst sein dürften, die von Privatpersonen oder privaten Gruppen ausgehen sowie Gefahren, die nicht verfolgungsbedingter Natur sind (vgl. VG Aachen, Beschluss vom 14.01.2005 - 4 L 1080/04.A - zitiert nach Juris; EGMR, Beschluss vom 07.03.2000 - 43844/98 - T.I. vs. Vereinigtes Königreich, zitiert nach InfAuslR 2000, 321).

Anhand welchen Prognosemaßstabs die Beurteilung derartiger Gefahren vorgenommen werden muss, ist eine schwierige Rechtsfrage, deren Entscheidung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss. Auch kann vor dem Hintergrund der Auskunftslage (vgl. zur Sicherheitslage Ad-hoc-Bericht des Auswärtigen Amtes vom 2. November 2004 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak; UNHCR, überarbeitete UNHCR-Position zum Schutzbedürfnis und zu Möglichkeiten der Rückkehr irakischer Flüchtlinge vom Oktober 2004) im Eilverfahren für den Antragsteller nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass ihm konventionswidrige Lebensumstände und Gefahren drohen.

Im Hinblick auf § 60 Abs. 7 AufenthG wird dessen rechtliches Verhältnis zu § 60 Abs. 5 AufenthG zu klären sein. Daneben muss es einer erneuten Überprüfung vorbehalten bleiben, ob nach wie vor vom Bestehen einer generellen Regelung im Sinne des vormaligen § 54 AuslG (jetzt § 60a Abs. 1 AufenthG) auszugehen ist, die dem Antragsteller einen wirksamen Schutz vor einer Abschiebung vermittelt, und daher eine Sperrwirkung für die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG durch das Gericht (jetzt § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG) entfaltet (so die bisherige Rechtsprechung der Kammer, vgl. u.a. VG Köln, Urteil vom 13.12.2004 - 18 K 9069/02.A).

Zweifel daran bestehen, weil die aktuelle Erlasslage nunmehr seit nahezu zwei Jahren ausschließlich auf die tatsächliche Unmöglichkeit der Rückführung abstellt. Dies wird durch das Schreiben des Innenministeriums NRW vom 20.12.2004 - 15 - 39.08.02 - I 3 - an das VG Münster ausdrücklich bestätigt.

Ob sich des weiteren - in Anwendung der Maßstäbe, die das Bundesverwaltungsgericht für die Gewährung von Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Auslegung des § 53 Abs. 6 AuslG entwickelt hat - (vgl. BVerwG, Urteile vom 12.07.2001 - 1 C 5.01 - NVwZ 2002, 101 ff - und vom 17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, S. 324, 330) die allgemeine Gefahrenlage im Irak derzeit als so extrem darstellt, dass gleichsam jeder einzelne Rückkehrer landesweit "sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen" ausgeliefert würde, bedarf mit Blick auf die offensichtlichen und schwerwiegenden Probleme hinsichtlich der Sicherheit und - zumindest teilweise - auch der Versorgung insbesondere im Zentralirak ebenfalls der genaueren Überprüfung im Hauptsacheverfahren.