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Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 12.04.2005 - 1 C 4.04 - asyl.net: M6692
https://www.asyl.net/rsdb/M6692
Leitsatz:

Eine Klage auf Asylanerkennung stellt einen unteilbaren Streitgegenstand dar, der nicht auf einzelne Staaten beschränkt werden kann.

 

Schlagwörter: Klageantrag, Zielstaat, Streitgegenstand, Rechtsschutzinteresse
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 3; AsylVfG § 4; AufenthG § 60 Abs. 2 - 7; VwGO § 88
Auszüge:

Eine Klage auf Asylanerkennung stellt einen unteilbaren Streitgegenstand dar, der nicht auf einzelne Staaten beschränkt werden kann.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Das Berufungsgericht ist rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass der Klageantrag des Klägers nicht den Anspruch auf Gewährung von Abschiebungsschutz wegen politischer Verfolgung in Aserbaidschan umfasst, und hat deshalb zu Unrecht das stattgebende verwaltungsgerichtliche Urteil zu § 51 Abs. 1 AuslG ohne jede Prüfung dieses Begehrens aufgehoben (1.). Auch die vom Berufungsgericht hilfsweise angeführten Begründungen für seine Entscheidung, nämlich das Fehlen sowohl eines Rechtsschutzinteresses für ein derartiges Begehren als auch eines materiellrechtlichen Anspruchs, sind nicht mit Bundesrecht vereinbar (2.).

1. Das Berufungsgericht hat das stattgebende verwaltungsgerichtliche Urteil zu § 51 Abs. 1 AuslG in erster Linie mit der Begründung aufgehoben, der Kläger habe ein entsprechendes Begehren in Bezug auf Aserbaidschan mit seiner Klage von vornherein nicht geltend gemacht; das Verwaltungsgericht sei deshalb mit der entsprechenden Verpflichtung der Beklagten unter Verstoß gegen § 88 VwGO (ne ultra petita) über das Klagebegehren hinausgegangen. Diese Auffassung des Berufungsgerichts ist nicht mit Bundesrecht vereinbar. Maßgebend für den vom Revisionsgericht von Amts wegen zu ermittelnden Umfang des Klagebegehrens nach § 88 VwGO ist das aus dem gesamten Parteivorbringen, insbesondere der Klagebegründung, zu entnehmende wirkliche Rechtsschutzziel (stRspr; vgl. etwa Beschluss vom 5. Februar 1998 - BVerwG 2 B 56.97 - Buchholz 310 § 88 VwGO Nr. 25 m.w.N.). Dies ist hier, wie das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt hat, auch das Begehren auf asylrechtlichen Abschiebungsschutz wegen politischer Verfolgung in Aserbaidschan. Rechtsgrundlage hierfür ist seit dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl I S. 1950) § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, der mit Wirkung vom 1. Januar 2005 an die Stelle des bisher einschlägigen § 51 Abs. 1 AuslG getreten ist.

Die einschränkende Auslegung des Klagebegehrens durch das Berufungsgericht beruht auf der Annahme, dass das Begehren auf asylrechtlichen Abschiebungsschutz ebenso wie das Begehren auf ausländerrechtlichen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG (bisher § 53 AuslG) jeweils gesondert bezüglich des einzelnen Zielstaates einer Abschiebung geprüft und beschieden werden könne und es sich dabei jeweils um abtrennbare Streitgegenstände handele. Dies ist, wie der Senat in seinem Urteil vom 8. Februar 2005 - BVerwG 1 C 29.03 - (zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen) ausgeführt hat, indes nicht der Fall. Da die Gewährung asylrechtlichen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 1 AufenthG gemäß §§ 3, 4 AsylVfG mit der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach der Genfer Flüchtlingskonvention verbunden ist, kann sie grundsätzlich nur bei einer Verfolgung durch den Staat der Staatsangehörigkeit oder - bei Staatenlosen - durch den Staat des gewöhnlichen Aufenthalts zugesprochen werden. Nur wenn diese Staaten keinen Schutz gewähren, kommt eine Flüchtlingsanerkennung durch die Beklagte in Betracht. Deshalb handelt es sich bei dem Anspruch auf asylrechtlichen Abschiebungsschutz, auch wenn mehrere Staaten als Verfolgerstaaten in Betracht kommen, grundsätzlich um einen unteilbaren Streitgegenstand, über den nur einheitlich entschieden werden kann. Anders als der subsidiäre ausländerrechtliche Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG (vgl. Urteil vom 4. Dezember 2001 - BVerwG 1 C 11.01 - BVerwGE 115, 267 zu § 53 AuslG) kann der asylrechtliche Abschiebungsschutz nicht isoliert bezogen auf einen einzelnen Abschiebezielstaat geprüft und abgeschichtet werden. Vielmehr sind alle Staaten in die Prüfung einzubeziehen, deren Staatsangehörigkeit der Betroffene möglicherweise besitzt oder in denen er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (vgl. im Einzelnen das Urteil vom 8. Februar 2005 a.a.O.). Daran muss sich auch eine sachdienliche Auslegung des Klagebegehrens nach § 88 VwGO ausrichten. Eine einschränkende Auslegung dahingehend, dass nur die Staaten zur Überprüfung gestellt werden sollen, für die das Bundesamt das Vorliegen von Abschiebungshindernissen verneint oder die es in der Abschiebungsandrohung als Zielstaat bezeichnet hat, kommt danach nicht in Betracht. Die Auffassung des Berufungsgerichts, der seinem Wortlaut nach nicht auf ein bestimmtes Land bezogene Klageantrag zu § 51 AuslG erstrecke sich nicht auf Aserbaidschan, sondern allenfalls auf Armenien oder Iran, wird daher dem erkennbaren Rechtsschutzziel des Klägers unter Berücksichtigung des richtig verstandenen Streitgegenstands einer Klage auf Abschiebungsschutz für Flüchtlinge nach § 60 Abs. 1 AufenthG nicht gerecht.

Das Berufungsgericht kann seine Auffassung auch nicht darauf stützen, dass der Kläger selbst seinen Klageantrag zum asylrechtlichen Abschiebungsschutz im Berufungsverfahren durch den Schriftsatz seines früheren Prozessbevollmächtigten vom 26. März 2003 auf die gerichtliche Anhörungsmitteilung zu § 130 a VwGO gleichsam rückwirkend beschränkt habe. Auch der Kläger hätte es wegen der Unteilbarkeit des Streitgegenstandes nicht in der Hand, durch Einschränkung seines Klageantrags zu § 60 Abs. 1 AufenthG den Staat seiner behaupteten Staatsangehörigkeit und eine dort drohende Verfolgung von der gerichtlichen Prüfung auszunehmen, ohne den Antrag insgesamt unzulässig zu machen oder ihn - der Sache nach - zurückzunehmen. Eine so weitgehende, den Interessen des Klägers erkennbar zuwiderlaufende prozessuale Erklärung kann dem Schriftsatz vom 26. März 2003, der ersichtlich nur eine Reaktion auf die (unzutreffenden) rechtlichen Hinweise in der gerichtlichen Anhörungsmitteilung darstellt, entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts auch nicht entnommen werden. Der Prozessbevollmächtigte äußert darin lediglich seine Zustimmung zu der mitgeteilten Rechtsauffassung des Berufungsgerichts hinsichtlich des Rechtsschutzbedürfnisses und zu der angekündigten Entscheidung im Beschlussverfahren nach § 130 a VwGO, ohne weitere prozessuale Erklärungen abzugeben.

Das vom Verwaltungsgerichtshof der Berufungsentscheidung zugrunde gelegte Klagebegehren bleibt damit hinter dem vom Kläger verfolgten und aufrechterhaltenen Klagebegehren zurück. Darin liegt sowohl ein Verfahrensmangel wegen Verstoßes gegen § 88 VwGO, den der Kläger mit der Revision der Sache nach auch gerügt hat, als auch ein Verstoß gegen materielles Recht, nämlich gegen § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG i.V.m. §§ 3, 4 AsylVfG, auf dem die Entscheidung beruht.

2. Die Berufungsentscheidung erweist sich auch nicht deshalb im Ergebnis als richtig, weil dem Kläger, wie der Verwaltungsgerichtshof hilfsweise anführt, für sein Klagebegehren auf Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG wegen politischer Verfolgung in Aserbaidschan das Rechtsschutzinteresse fehlen würde und ihm auch materiellrechtlich ein solcher Anspruch jedenfalls im vorliegenden Verfahren nicht zustünde.

Ein Rechtsschutz - bzw. Sachentscheidungsinteresse an der Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich Aserbaidschans kann dem Kläger nicht bereits deshalb abgesprochen werden, weil sich die (negativen) Feststellungen zu § 51 Abs. 1 und § 53 AuslG in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes nicht auf Aserbaidschan beziehen und dem Kläger in dem Bescheid eine Abschiebung nur nach Armenien oder in den Iran, nicht aber nach Aserbaidschan angedroht worden ist. Der gegenteiligen, vom Berufungsgericht und einzelnen weiteren Oberverwaltungsgerichten vertretenen Auffassung (vgl. etwa OVG Magdeburg, Urteil vom 2. April 2003 - A 3 S 567/99 -; VGH Mannheim, Beschluss vom 1. März 2004 - A 13 S 38/03 -; sämtlich nicht veröffentlicht; a.A. OVG Hamburg, Beschluss vom 11. Oktober 2001 - 2 Bs 4/00.A - InfAuslR 2002, 268) ist nicht zu folgen. Dies hat der Senat in seinem bereits oben (zu 1.) zitierten Urteil vom 8. Februar 2005 (a.a.O.) entschieden. Auf die dortige Begründung sowie auf die vorstehenden Ausführungen zum Streitgegenstand einer Klage auf asylrechtlichen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG (zu 1.) wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.