VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Urteil vom 02.03.2005 - 10 K 260/04 - asyl.net: M6716
https://www.asyl.net/rsdb/M6716
Leitsatz:
Schlagwörter: Serbien und Montenegro, Albaner, Aufenthaltserlaubnis, Widerruf, Asylberechtigte, Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Gesetzesänderung, Zuwanderungsgesetz, Entscheidungszeitpunkt, Übergangsregelung, Ermessen, Vertrauensschutz, Fristbeginn, Jahresfrist, Verwirkung
Normen: AufenthG § 102 Abs. 1; AufenthG § 102 Abs. 1; AuslG § 43 Abs. 1 Nr. 4; VwVfG § 49 Abs. 2 S. 2; VwVfG § 48 Abs. 4
Auszüge:

Die von der Klägerin erhobene Anfechtungsklage gegen den im Bescheid vom 17.02.2003 zu Ziffer 1. des Tenors verfügten Widerruf der ihr am 04.04.1996 unbefristet erteilten Aufenthaltserlaubnis ist unbegründet, da der Widerruf auf der Grundlage von § 43 Abs. 1 Nr. 4 AuslG rechtmäßig erfolgt ist.

Nach der für Anfechtungsklagen maßgebenden Sach- und Rechtslage des Zeitpunktes der letzten Behördenentscheidung - hier dem Zeitpunkt des Ergehens der Widerspruchsentscheidung vom 23.08.2004 - sind der ausländerrechtlichen Prüfung ungeachtet des Inkrafttretens des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern (Aufenthaltsgesetz - kurz: AufenthG) mit Art. 1 Zuwanderungsgesetz vom 30.06.2004 (BGBl. 1, S. 1950 ff.) am 01.01.2005 (vgl. Art. 15 Abs. 3 Zuwanderungsgesetz) die Regelungen des am 31.12.2004 außer Kraft getretenen Ausländergesetzes zugrundezulegen. Nach § 102 Abs. 1 AufenthG bleiben die vor dem 01.01.2005 "getroffenen sonstigen ausländerrechtlichen Maßnahmen" wirksam. Aus der Systematik der gesetzlichen Regelung folgt, dass unter den sonstigen Maßnahmen nach dieser Vorschrift diejenigen ausländerrechtlichen Maßnahmen gemeint sind, die nicht in den übrigen Regelungen des Gesetzes über die Fortgeltung bisheriger ausländerrechtlicher Entscheidungen (vgl. insbesondere § 101 AufenthG) unterfallen. Da für den Widerruf von aufgrund des am 31.12.2004 außer Kraft getretenen Ausländergesetzes erteilten Aufenthaltsgenehmigungen ersichtlich keine spezielle Übergangsregelung im AufenthG vorgesehen ist, § 102 AufenthG auch den Ausländer belastende Maßnahmen betrifft und der dortige Katalog konkret benannter Maßnahmen, wie die Verwendung des Wortes "insbesondere" in § 102 Abs. 1 Satz 1 AufenthG zeigt, keine abschließende Aufzählung enthält, ist diese Übergangsvorschrift auch auf alle vor Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes erfolgten Widerrufsentscheidungen anzuwenden mit der Folge, dass bei der gerichtlichen Überprüfung auf die diesen jeweils zugrunde liegenden Vorschriften - hier § 43 Abs. 1 Nr. 4 AuslG - abzustellen ist. Im Übrigen enthält die entsprechende, seit 01.01.2005 geltende Vorschrift für den Widerruf von Aufenthaltstiteln, was den vorliegend maßgeblichen Widerrufsgrund des Erlöschens oder Unwirksamwerdens einer Anerkennung als Asylberechtigter oder der Rechtsstellung als Flüchtling als den der Aufenthaltserlaubnis zugrundeliegenden Aufenthaltszweck anbelangt, in § 52 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG dieselben Widerrufsvoraussetzungen, wie dies bei § 43 Abs. 1 Nr. 4 AuslG der Fall ist.

Danach steht es im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis nach § 43 Abs. 1 Nr. 4 AuslG zu widerrufen, wenn die Anerkennung eines Ausländers als Asylberechtigter der Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis zugrundelag und die Anerkennung nachträglich entfallen ist.

Ausweislich der Gründe des Widerspruchsbescheides hat der Beklagte die Geburt der Klägerin im Bundesgebiet und den daraus resultierenden ständigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland seit über neun Jahren ebenso wie ihren Schulbesuch und die daraus sich ergebenden Lebensumstände in seine Ermessenserwägungen einbezogen. Dabei durfte er, ohne dass daraus eine Ermessensfehlerhaftigkeit abzuleiten wäre, den Umstand in seine Überlegungen einbeziehen, dass die der Klägerin am 04.04.1996 erteilte Aufenthaltserlaubnis auf ihrer Anerkennung als (Familien-)Asylberechtigte nach § 26 Abs. 2 AsylVfG beruhte (§ 68 Abs. 1 AsylVfG) und die korrespondierende Asylberechtigung ihrer Eltern in nahem zeitlichem Zusammenhang mit der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis endgültig abgelehnt worden ist. Ab diesem Zeitpunkt mussten die Klägerin und ihre Eltern damit rechnen, dass ihr Aufenthalt in absehbarer Zeit beendet werden würde. Sie mussten sich daher spätestens ab diesem Zeitpunkt auf eine Rückkehr in ihr Herkunftsland - der von der Klägerin in den Vordergrund ihrer Argumentation gerückte Begriff der "Heimat" bzw. des "Heimatlandes" ist insofern ohne Bedeutung - einstellen. Wenn ihre Eltern es versäumt haben, die Klägerin nach ihren Möglichkeiten etwa durch Vermittlung von Sprache und Kenntnissen über das Herkunftsland - und sei es auch nur auf einem einfachen Niveau - auf die zu erwartende Rückkehr vorzubereiten, kann die Klägerin hieraus nicht herleiten, ihre Einbindung in die hiesigen Lebensverhältnisse, insbesondere durch den Kontakt zu Altersgenossen - etwa im Kindergarten - und den Besuch der Grundschule und die daraus sich ergebenden altersentsprechenden Kenntnisse der deutschen Sprache in Wort und Schrift, vermittle eine so weitgehende Integration in die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland, dass sie die dort gefundene Sozialisation nicht in ihrem Herkunftsland fortführen könne, ohne Schaden zu erleiden. Zwar ist nicht zu verkennen, dass die Klägerin in ihrem Herkunftsland einen Eingliederungsprozess in die dortigen Lebensverhältnisse zu bewältigen haben wird; wie der Beklagte zu Recht dargelegt hat, steht ihr dabei aber der Verbund der eigenen Familie zur Seite. Ihr Hinweis darauf, sie besitze "keinerlei Bindungen in das Land ihrer Vorfahren", verkennt, dass diese Bindung über ihre Familienangehörigen - insbesondere ihre Eltern - besteht.

Bei den anzustellenden Ermessenserwägungen bedurfte es entgegen der Auffassung der Klägerin auch keiner Beachtung von Vertrauensschutzgesichtspunkten im Hinblick auf § 49 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 48 Abs. 4 VwVfG, wonach Verwaltungsakte nur innerhalb eines Jahres seit der Kenntnisnahme der Behörde von den dafür maßgeblichen Tatsachen zurückgenommen bzw. widerrufen werden dürfen. Dabei kann vorliegend angesichts des Umstandes, dass § 43 AuslG die ausdrückliche Regelung einer Frist für den Widerruf nach dem Ausländergesetz nicht enthält, dahinstehen, ob die genannten Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes hinter der spezielleren Regelung des § 43 AuslG zurücktreten bzw. als Ausfluss des Vertrauensschutzgedankens analog anzuwenden sind (vgl. zur Problematik Oberverwaltungsgericht des Saarlandes, Beschluss vom 14.02.2003, 1 W 4/03 und VG Stuttgart, InfAuslR 2004, 74) weil selbst deren Berücksichtigung dem Widerruf letztlich nicht entgegenstehen würde. Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes und des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. den Beschluss des OVG Saarland vom 23.11.2004, 2 W 53/04, m.w.N.), wird die Jahresfrist erst dann in Lauf gesetzt, wenn die Behörde die zum Widerruf berechtigenden Tatsachen - im Falle pflichtgemäßen Ermessens alle hierfür wesentlichen Umstände - ermittelt hat. Diente in diesem Zusammenhang die Anhörung des Betroffenen nach § 28 Abs. 1 VwVfG der Ermittlung weiterer entscheidungserheblicher Umstände, tritt Entscheidungsreife und damit der Beginn der Jahresfrist erst mit Abschluss der dahingehenden Sachaufklärung ein. Für die im Falle der Klägerin vom Beklagten zu treffende Widerrufsentscheidung war deren Anhörung erforderlich, um alle für die Ermessensbetätigung maßgebenden Umstände berücksichtigen zu können.

Entgegen der Auffassung der Klägerin kann sie sich gegenüber dem Widerruf der Aufenthaltserlaubnis im Hinblick auf den Umstand, dass seit Bestandskraft des Widerruf der ihr erteilten Asylberechtigung am 06.10.1999 bis zum Widerruf der Aufenthaltserlaubnis durch die Beklagte mehr als drei Jahre vergangen sind, nicht auf Verwirkung berufen. Der Beklagte hat - über das Abwarten bis zur Widerrufsentscheidung hinaus - keinerlei Umstände gesetzt, die darauf schließen ließen, dass er von der Widerrufsbefugnis absehen werde. Der Widerruf stellt sich nach den Umständen des Einzelfalles ersichtlich auch nicht als (illoyaler) Verstoß gegen Treu und Glauben dar (vgl. hierzu OVG Saarland, a.a.O.)