VG Aachen

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Zitieren als:
VG Aachen, Urteil vom 15.04.2005 - 9 K 288/03.A - asyl.net: M6726
https://www.asyl.net/rsdb/M6726
Leitsatz:
Schlagwörter: Mazedonien, Albaner, Krankheit, Arthrose, Koronare Herzerkrankung, Stoffwechselerkrankung, Fettstoffwechselstörung, Traumatisierte Flüchtlinge, Psychische Erkrankung, Posttraumatische Belastungsstörung, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernisse, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Allgemeine Gefahr, Konkrete Gefahr, Medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit, Sozialleistungen, Retraumatisierung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Zunächst kann der Kläger nicht die Verpflichtung der Beklagten beanspruchen, ein

Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG festzustellen. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.

Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat in seinem Beschluss vom 17. März 2005 - 13 A 2909/04.A - in diesem Zusammenhang unter anderem Folgendes ausgeführt: ....

Die Kammer schließt sich dieser Rechtsmeinung im Ausgangspunkt, im Argumentationsweg und im Ergebnis auch für den Zielstaat Mazedonien vollumfänglich an. Ausgehend von diesen Grundsätzen führen weder die für den Kläger geltend gemachten Erkrankungen für sich genommen noch deren medizinische und therapeutische Behandlungsnotwendigkeit zu einem

krankheitsbedingten zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernis. Seine Erkrankungen sind in Würdigung aller in das vorliegende Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen und des dem § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG immanenten Zumutbarkeitsgesichtspunkts in Mazedonien generell jedenfalls so weit behandelbar, dass sie bei dem gebotenen Mitwirken des Klägers zumindest auf dem gegebenen Niveau gehalten werden können und damit ihre Verschlimmerung und erst recht eine solche bis hin zu existentiellen Gefahren für den Kläger verhindert werden kann.

In diesem Zusammenhang kann auf sich beruhen, ob und ggf. inwieweit den vorgelegten Attesten - soweit sie im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung aktuell sind - und der Psychiatrischen Stellungnahme des Herrn Dr. med. E. I., W. , vom 28. Januar 2005 zu folgen ist. Auf der Grundlage dessen geht das Gericht jedenfalls zu Gunsten des Klägers davon aus, dass dieser an einer anhaltenden Depression und sozialer Phobie bei komplexer PTBS mit andauernder Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung leidet. Darüber hinaus sind ein Zustand nach Herzinfarkt, länger als ein Jahr zurückliegend, eine koronare Drei-Gefäßerkrankung, arterielle Hypertonie (Stadium 11, mit Gefäßveränderung) und eine Fettstoffwechselstörung anzunehmen.

Bezüglich derartiger, als schwerwiegend anzusehender Erkrankungen und deren Behandelbarkeit in Mazedonien gilt mit Blick auf die aktuelle Erkenntnislage Folgendes: Das Gesundheitssystem Mazedoniens ist zwischenzeitlich hinter westeuropäischen Standard zurückgefallen. Bezüglich Ausstattung und Behandlungsmöglichkeiten bestehen z. T. erhebliche Unterschiede. Einige wenige Einrichtungen verfügen über modernes Gerät. Sie weisen auch bezüglich Hygiene ein hohes Niveau auf. Andere Gebäude sind in schlechtem Zustand. Dort sind die hygienischen Bedingungen nicht angemessen. Vielfach ist modernes Gerät vorhanden, kann aber nicht bedient werden. Zwischen den Universitätskliniken in Skopje und kleineren Einrichtungen in ländlichen Regionen - dort fehlt es teilweise an grundlegender Ausstattung - ist ein Gefälle zu beobachten. Krankenanstalten und Apotheken werden auch in den Provinzstädten in die Versorgung mit einbezogen. Allerdings sind nicht alle Einrichtungen für die Anwendung moderner medizinischer Behandlungsmethoden flächendeckend vorhanden. Apparaturen und medizinische Spezialausrüstungen entsprechen oft nicht westlichem Standard. Viele Untersuchungen und Behandlungen können im Land durchgeführt werden. Das gilt namentlich für solche im Bereich Kardiologie, Nephrologie und Rehabilitation, aber auch fiir (schwere) psychische Erkrankungen. Insoweit sind auch psychotherapeutische Behandlung sowie Behandlung von Depressionen möglich. Die medikamentöse Versorgung ist landesweit gesichert. Medikamente, die nicht auf der so genannten Positivliste stehen, sind in privaten Apotheken gegen volle Kostenübernahme des Patienten erhältlich.

Jeder offiziell registrierte mazedonische Bürger erhält Krankenversicherungsschutz. Grundlage hierfür sind etwa die Registrierung beim Arbeitsamt oder der Empfang von Sozialhilfe. Bei Letzterem ist der Krankenversicherungsschütz über das zuständige Sozialamt gewährleistet. Arbeitslose erhalten Krankenversicherungsschutz mit Registrierung als erwerbslos oder arbeitsunfähig beim Arbeitsamt des Wohnsitzes bzw. (nach Rückkehr aus dem Ausland) des Orts der Niederlassung und dem Kauf eines" Arbeitsbuchs" gegen geringe Gebühr. Frühere Vorschriften führten dazu, dass insbesondere Angehörige ethnischer Minderheiten vom sozialen System ausgeschlossen waren. Nach Änderung der maßgeblichen Vorschriften können auch Personen, die die Mindestschulzeit nicht abgeleistet haben, als arbeitslos registriert werden. Etwaige Probleme können unter Einschaltung des Ministeriums für Arbeit und Soziales geklärt werden. Versicherte erhalten kostenlosen Primärschutz. Sozialfälle sind grundsätzlich von Kosten für Dienstleistungen des Gesundheitswesens befreit. Abweichendes gilt nur für rezeptpflichtige Medikamente. Hier gibt es eine geringe Selbstbeteiligung. Sie ist nach dem Preis des Präparats gestaffelt und beträgt grundsätzlich weniger als 20% des Kaufpreises des Medikaments. Personen zwischen 18 und 65 Jahren haben bei kostenpflichtigen Behandlungen Eigenbeteiligungssätze von 70%. Wurden innerhalb eines Kalenderjahres 70% des monatlichen Durchschnittslohnes (er beträgt 200 Euro) für medizinische Leistungen aufgebracht, so tritt für den Rest des Jahres Befreiung von Eigenbeteiligungen ein. Ausgenommen sind vorerwähnte Eigenbeteiligungen an Medikamenten. Liegt das monatliche Einkommen unter dem Durchschnittslohn, erfolgt eine prozentuale Reduzierung des Beitrags. Auch bei Krankenhausbehandlungen sind gestaffelte Eigenbeteiligungssätze zu entrichten.

Rückkehrern nach Mazedonien stehen als Ansprechpartner die lokalen Zentren für Sozialfragen zur Verfügung. Einkünfte, auch fiktive, aus Vermögen werden auf eine etwaige Sozialhilfe angerechnet. In jedem Fall verbleibt ein ausreichender Sozialhilfebetrag. Zudem gibt es für Rückkehrer eine einmalige finanzielle Rückkehrerhilfe. Rückkehrer müssen gegebenenfalls vorübergehend in Gemeinschaftsunterkünften, Auffanglagern oder Flüchtlingszentren untergebracht werden.

Bezüglich einer Weiterreise in die Heimatgemeinde können sich Rückkehrer an die kommunalen Zentren für Sozialfragen wenden. Insoweit ist eine Mitwirkung des Betreffenden erforderlich. Diese kann bereits aus dem Bundesgebiet heraus, beispielsweise über Verwandte oder einen Bevollmächtigten, erfolgen. Auf diese Weise kann der Übergangszeitraum bis zur förmlichen Registrierung sehr kurz gehalten werden (vgl. Auswärtiges Amt (AA), Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Mazedonien vom 28. Januar 2005 (Lagebericht); Botschaft der Bundesrepublik Deutschland, Skopje, Berichte vom 22. Juni 2004 an das VG Regensburg, vom 25. Juni 2003 an das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge sowie - in diesem Verfahren eingeholt - vom 19. November 2002 an das VG Aachen).

Ausgehend von dieser Erkenntislage ist bereits kein greifbarer Anhaltspunkt dafür erkennbar, dass die psychischen sowie die Erkrankungen insbesondere der Blutgefäße des Klägers in seiner Heimat nicht hinreichend behandelbar wären. Erst recht fehlt es bei der in diesem Zusammenhang grundsätzlich gebotenen landesweiten Betrachtung (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. August 1996 - 9 C 172.95 -, DVBI. 1997, 182) an jeglichem Anhalt dafür, dass beispielsweise die zu erwartende Behandlung der (psychischen) Erkrankungen jedenfalls zur Vermeidung einer Verschlechterung des aktuellen Krankheits- bzw. Gesundheitszustands ungeeignet wäre und eine überwiegend wahrscheinliche Gefahr einer Verschlimmerung der Krankheiten vom eingangs beschriebenen Gewicht begründete.