VG Aachen

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Zitieren als:
VG Aachen, Urteil vom 01.04.2005 - 9 K 2303/02.A - asyl.net: M6727
https://www.asyl.net/rsdb/M6727
Leitsatz:
Schlagwörter: Syrien, Kurden, Jesiden, Folgeantrag, Wiederaufgreifen des Verfahrens, Krankheit, Hepatitis C, Psychische Erkrankung, Traumatisierte Flüchtlinge, Posttraumatische Belastungsstörung, Sexuelle Übergriffe, Drei-Monats-Frist, Ermessen, Ermessensreduzierung auf Null, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Medizinische Versorgung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 2 - 7; VwVfG § 51 Abs. 1
Auszüge:

Die Klägerin kann nicht beanspruchen, dass das Bundesamt ihr durch bestandskräftig gewordenen Bescheid abgeschlossenes Verfahren zu - im vorliegenden Verfahren allein berücksichtigungsfähigen - zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen wieder aufgreift und ein derartiges Abschiebungshindernis feststellt. Die vor diesem Hintergrund gebotene Entscheidung des Bundesamts, pflichtgemäßem Ermessen entsprechend über das Wiederaufgreifen des Verfahrens zu befinden, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung.

Zunächst liegen die Voraussetzungen nicht vor, unter denen das Bundesamt verpflichtet ist, das die Feststellung von Abschiebungshindernissen betreffende Verfahren wieder aufzugreifen. Das gilt sowohl mit Blick auf die von der Klägerin geltend gemachten psychischen als auch hinsichtlich der vorgetragenen körperlichen Erkrankungen.

Bezüglich der geltend gemachten psychischen Erkrankung hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in seinem den Beteiligten bekannten Beschluss vom 3. Juni 2002 - 9 A 2143/02.A - unter anderem ausgeführt, die von der Klägerin geltend gemachte posttraumatische Belastungsstörung erweise sich nicht als entscheidungserheblich.

Das entsprechende Vorbringen genüge nicht den besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen für einen Folgeantrag. Das vorgelegte Gutachten vom 22. März 2002 gebe nichts dafür her, dass es der Klägerin erkrankungsbedingt unmöglich gewesen sein könnte, die nunmehr mit dem Gutachten erstmals vorgetragenen sexuellen Übergriffe schon in ihrem ersten Asylverfahren zumindest schlagwortartig zu erwähnen. Ungeachtet dessen habe die Klägerin entgegen der ihr obliegenden Darlegungspflicht jedenfalls nicht binnen der Antragsfrist des § 51 Abs. 3 VwVfG die Einhaltung derselben schlüssig dargelegt. Auch in diesem Zusammenhang liefere vorerwähntes Gutachten keine substantiierten Anhaltspunkte, die im Sinne einer Offenkundigkeit der Einhaltung der Frist weitere diesbezügliche Ausführungen hätten entbehrlich machen können. Darüber hinaus habe die Klägerin mit Blick auf ihre Erkrankung in Form eines posttraumatischen Belastungssyndroms die Wahrung der dreimonatigen Antragsfrist nicht gemäß § 51 Abs. 3 VwVfG dargelegt. Hierbei handele es sich allenfalls um die Geltendmachung einer neuen Sachlage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG. Das Gutachten stelle kein neues Beweismittel dar. Es solle lediglich die Richtigkeit neuen Vorbringens zur Erkrankung belegen. Vor diesem Hintergrund habe es der Klägerin oblegen, bezüglich der im März 2002 erstmals vorgetragenen Erkrankung darzutun, dass seit Kenntniserlangung von der Erkrankung bis zu ihrer Geltendmachung nicht mehr als drei Monate verstrichen gewesen seien. Hierzu fehle es an substantiierten Ausführungen. Des Weiteren sei die Fristeinhaltung nicht etwa offenkundig. Mit Blick darauf, dass die Klägerin nach dem vorerwähnten Gutachten schon im Jahre 2000 an den die Krankheit maßgeblich ausmachenden psychischen Auffälligkeiten leiden solle, ihr die Erkrankung in den erheblichen Ausmaßen schon mehr als zwei Jahre vor erstmaliger Geltendmachung im März 2002 bekannt gewesen sei, liege es nahe, von einer Fristversäumnis auszugehen.

Das Gericht schließt sich vorstehender Bewertung vollumfänglich an.

Hinsichtlich der geltend gemachten organischen Erkrankungen steht vor allem die Ausschlussfrist des § 51 Abs. 3 VwVfG einer der Klägerin günstigen Entscheidung entgegen. Die Klägerin hat die zu Grunde liegenden Wiederaufgreifensgründe nicht, wie erforderlich, binnen dreier Monate nach Kenntniserlangung in das Verfahren eingeführt. Die erstmals mit Schreiben vom 21. März 2005 erfolgte Geltendmachung der chronisch aktiven Hepatitis C, Genotyp 43/C erweist sich ersichtlich als verfristet.

Sind nach aIledem die Voraussetzungen nicht erfüllt, bei deren Vorliegen das Bundesamt verpflichtet ist, das die Feststellung von Abschiebungshindernissen betreffende Verfahren wieder aufzugreifen, so führt der vor diesem Hintergrund anzunehmende Anspruch der Klägerin auf fehlerfreie Ermessensentscheidung bezüglich des Wiederaufgreifens des Verfahrens gemäß §§ 51 Abs. 5, 48, 49 VwVfG zu keinem für sie günstigeren Ergebnis. Nach der eingangs aufgeführten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, vgl. Urteil vom 20. Oktober 2004 - 1 C 15.03 -, a.a.O., der das Gericht folgt, sind die Verwaltungsgerichte unter anderem verpflichtet, grundsätzlich Spruchreife herzustellen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Das gilt selbst dann, wenn - anders als hier - der streitgegenständliche Bescheid keine Ermessensentscheidung enthält. Eine abschließende gerichtliche Entscheidung zugunsten des Ausländers ist in diesen Fällen geboten, wenn das Festhalten an der bestandskräfitgen negativen Entscheidung zu Abschiebungshindernissen zu einem schlechthin unerträglichen Ergebnis führte und mithin das behördliche Ermessen auf Null reduziert ist. Derartiges kommt in Betracht, wenn der Ausländer bei einer Abschiebung einer extremen individuellen Gefahrensituation - der Schwere nach vergleichbar einer extremen allgemeinen Gefahrensituation im Sinne der Rechtsprechung zu § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (früher: § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG) - ausgesetzt würde und das Absehen von einer Abschiebung daher verfassungsrechtlich zwingend geboten ist.

. Eine derartige Gefährdung besonderer Intensität als Voraussetzung einer Ennessensreduzierung zu Gunsten der Klägerin lässt sich den vorgelegten Bescheinigungen nicht ansatzweise entnehmen.

Soweit die Klägerin erstmals in der mündlichen Verhandlung vortragen lassen hat, mit Blick auf ihre yezidische Religionszugehörigkeit habe sich das Sachlage gegenüber der Entscheidung des Bundesamts aus dem Jahr 1996 verschlechtert, genügt dieses pauschale Vorbringen bereits im Ansatz nicht den zuvor beschriebenen, sich aus § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ergebenden Anforderungen.

Unabhängig hiervon ist anzumerken, dass die geltend gemachten psychischen und organischen Erkrankungen in der Sache selbst nicht auf ein zielstaatsbezogenes krankheitsbedingtes Abschiebungshindernis im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen. Insoweit ist allerdings zunächst darauf hinzuweisen, dass sich aus der Krankheit eines Ausländers ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ergeben kann, wenn sich diese Krankheit in seinem Heimatstaat verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind. Ein zwingendes Abschiebungshindernis in diesem Sinne wird durch unzureichende Behandlungsmöglichkeiten im Heimatstaat allerdings nur dann begründet, wenn die konkrete Gefahr einer erheblichen Gesundheitsbeeinträchtigung anzunehmen ist.

Gemessen an diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen für die Annahme einer

krankheits bedingten zielstaatsbezogenen Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vor. Die vorgelegten Bescheinigungen geben bereits nichts dafür her, dass sich die geltend gemachten Erkrankungen der Klägerin bei einer Rückkehr nach Syrien wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechterten, falls jegliche Behandlung ausbliebe. Darüber hinaus ist nichts dafür ersichtlich, dass etwaige nennenswerte Verschlechterungen alsbald nach der Rückkehr einträten. Im Übrigen besteht nach den aktuellen Erkenntnissen des Gerichts kein Anhalt für die Annahme, etwaig erforderliche Behandlungen könnten auf der Grundlage des in Syrien bestehenden - und von der Klägerin hinzunehmenden - Gesundheitssystems mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht in einem Umfang durchgeführt werden, der das Vorliegen einer besonders nachhaltigen oder sogar mit Lebensgefahr verbundenen Verschlechterung des Gesundheitszustands ausschließt (vgl. Auswärtiges Amt (AA), Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Syrien (Lagebericht) vom 13. Dezember 2004 (Stand: November 2004); Deutsche Botschaft, Syrien, Berichte vom 22. Oktober 2003 an das VG Göttingen, sowie vom 18. Februar 2004 an das Verwaltungsgericht Braunschweig).