Die zulässige Klage ist insoweit begründet, als es dem Kläger "nur" noch um die Feststellung eines Abschiebungsverbotes gem. § 60 Abs. 1 AufenthG geht.
Mit § 60 AufenthG und seiner ausdrücklichen Bezugnahme auf die Konvention vom 14.11.1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (§ 60 Abs. 5 AufenthG) sowie seiner Anerkennung einer Mehrzahl von "Verfolgern" (§ 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG) hat sich unter dem Eindruck der Richtlinie 2004/83/EG v. 30.9.2004 - L 304/12 - ein Perspektivwechsel weg von der Täter- hin zu einer Opferbetrachtung vollzogen, der sich dem Sinn und Zweck der gen. Richtlinie entsprechend auch inhaltlich auswirkt (vgl. dazu VG Stuttgart, Urteil v. 17.1.2005 - A 10 K 10587/04 - m.w.N.).
Soweit § 60 AufenthG voraussetzt, dass der Ausländer im Herkunftsland in diesem Sinne "bedroht" ist, lässt sie erkennen, dass eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dieser Rechtsgutsverletzung bestehen muss. Es genügt dafür im Rahmen der erforderlichen Prognose , unter Ver- und Bewertung entsprechender Fakten schon eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für den Eintritt künftiger asylrelevanter Schädigungen, so dass insoweit nicht etwa eine "Sicherheit" gegeben sein muss. Da inzwischen die Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 in Kraft getreten ist (am 20. Tag nach ihrer am 30. September 2004 - L 304/12 - erfolgten Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union 1 Art. 39 der Richtlinie), sind heute in Übereinstimmung mit dem gen. Urteil des VG Stuttgart (s.o.) auch deren Standards im Wege der Auslegung zu beachten (vgl. auch EuGH, Urt. v. 9.3.2004 - C 397/01 - Pfeiffer, Rn. 101 ff). Soweit diese Richtlinie in Art. 2 c) und Art. 4 Abs. 4 die subjektive "Furcht des Antragstellers vor Verfolgung" zum Ausgangspunkt nimmt und auf diese Weise in § 60 Abs. 1 AufenthG ein - schon früher in § 51 Abs. 1 AuslG enthaltenes (Renner, Ausländerrecht, 7. Aufl. § 51 AuslG Rdn. 4) - subjektives Element trägt, ist es so, dass auch diese Furcht sachlich - an Hand von Fakten - "begründet" sein muss (Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie). Auch der in der gen. Richtlinie angesprochene Wille, nicht in seinen Herkunftsstaat zurückzukehren (Art. 2 c), muss auf eine "begründete Furcht vor Verfolgung" zurückgehen.
Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine Bedrohung ist aufgrund einer individuellen Prüfung und Wertung (Art. 4 Abs. 3 Richtlinie) somit dann zu bejahen, wenn bei zusammenfassender Wertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgungsfurcht (Art. 4 Abs. 4 Richtlinie) sprechenden Umstände nach Lage der Dinge ein größeres Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegen sprechenden Umständen unter Wertungsgesichtspunkten überwiegen (vgl. dazu schon BVerfGE 54, 341/354; BVerwG, DÖV 1993, 389; OVG Lüneburg, Urt. v. 26.8.1993 - 11 L 5666/92).
Solche beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verletzung von Menschenwürde- und Freiheitsrechten des Klägers ist hier auf der Grundlage einer entsprechenden Würdigung und Bewertung der Sach- und Rechtslage gegeben.
Ausgangspunkt dabei ist, dass der neu angefügte Abs. 2 des § 28 AsylVfG die Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG nur ganz ausnahmsweise, nämlich dann zu sperren vermag, wenn ausnahmslos rein subjektive Nachfluchtgründe geltend gemacht werden. In allen anderen Fällen, vornehmlich schon dann, wenn subjektive und objektive Nachfluchtgründe nur miteinander verwoben sind, kommt der allgemeine Grundsatz des Art. 5 der gen. Richtlinie 2004/83/EG des Rates v. 29.4.2004 (Amtsblatt der EU v. 30.9.041 L 304/12) zur Geltung. Denn die Regelung des AufenthG stellt sich als Ausnahme iSv Art. 5 Abs. 3 der gen. Richtlinie 2004/83/EG dar und ist nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen eng auszulegen. Demzufolge ist auch die in § 28 Abs. 2 AufenthG enthaltene Regel eng auszulegen und jede von ihr abweichende Ausnahme - gemäß dem Grundsatz der gen. Richtlinie in Art. 5 - großzügig und weit.
Im Übrigen stellt es einen objektiven Nachfluchttatbestand dar, wenn sich die politische Einstellung des Heimatstaates gegenüber regimekritischen Betätigungen verändert (so BVerwG, EZAR 206 Nr. 4) und somit im Heimatstaat veränderte Verhältnisse herrschen. Das gilt angesichts der gen. Richtlinie 2004/83/EG mit ihrer grundsätzlichen Anerkennung von Nachfluchtgründen in besonderem Maße, so dass geänderte Einstellungen und Verschärfungen bis hin zu Repressionen im Heimatstaat stets im Rahmen des § 28 Abs. 2 AufenthG als objektiver Nachfluchttatbestand heranziehbar und iSv § 60 Abs. 1 AufenthG bedrohungsrelevant sind.
Soweit die ablehnenden Entscheidungen des Bundesamtes darauf zurückgehen, dass die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 51 VwVfG für ein Wiederaufgreifen nicht erfüllt seien, ist dem Kläger zuzubilligen, dass entsprechende Gründe selbstverständlich auch noch während des gerichtlichen Verfahrens jederzeit nachgeschoben werden können (und deshalb nicht etwa noch bei der Beklagten jeweils erneut gesonderte Folgeanträge zu stellen wären). Denn das gerichtliche Verfahren ist für derartige Gründe offen, § 77 AsylVfG. Dabei sind einzelne Wiederaufnahmegründe wie auch Dauersachverhalte - z.B. die Mitgliedschaft in einer Organisation oder Verschärfungen im Heimatland - zwar im Verwaltungsverfahren innerhalb von 3 Monaten nach deren Eintritt oder Beginn geltend zu machen, bei Verschärfungen oder Neueinschätzungen 3 Monate nach einer entsprechenden Neubewertung. Sachverhalte aber, die sich als Fortsetzung rechtzeitig eingeführter Grundsachverhalte darstellen, sind nicht einmal im Verwaltungsverfahren in der dargestellten Weise fristgebunden. Hier genügt es, wenn der Grundsachverhalt schon einmal fristgemäß vorgetragen wurde.
Bei der exilpolitischen Betätigung, die sich nicht auf einzelne "Aktionen" reduzieren lässt, die aber auch durch stets neue Entschlüsse "getragen" wird, genügt es, wenn sie anlässlich eines Entschlusses und einer Betätigung fristgerecht vorgetragen wurde.
Im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung - im Jahre 2005 - stellt sich die Sach- und Rechtslage gegenüber dem Zeitpunkt der bundesamtlichen Entscheidung so dar, dass sich die Verhältnisse in Vietnam stark verändert, nämlich deutlich verschärft haben. Weiterhin ist inzwischen die Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 und daneben im deutschen Recht das Zuwanderungsgesetz vom 30. Juli 2004 (BGBI. Teil I 2004, S. 1950) am 1. Januar 2005 in Kraft getreten.
Die genannte Richtlinie ist bereits anwendbar (EuGH Urt. v. 9.3.2004 - C 397/01 Pfeiffer, Rn. 101 ff; BVerfGE 75, 223 f/ 241, 242), obwohl die Frist zur Umsetzung in das nationale Recht noch nicht abgelaufen ist (dazu Hoffmann im Asylmagazin 4/2005).
Mit dem VG Braunschweig und dem VG Stuttgart (aaO.) ist davon auszugehen, dass die gen. Richtlinie bereits heranzuziehen ist (vgl. VG Braunschweig, Urt. v. 8.2.2005 - 6 A 541/04 -).
Die dem Kläger als einem fundamental "Andersdenkenden" bzw. Dissidenten bei einer Rückkehr nach Vietnam drohenden Maßnahmen der vietnamesischen Sicherheitskräfte dürften seine leibliche Unversehrtheit, seine physische Freiheit sowie seine Versammlungs- und Meinungsfreiheit und vor allem seine "politische Überzeugung" zum Gegenstand haben (Art. 10 Abs. 1 e der Richtlinie). Er ist in Deutschland in vielfacher und mehrfacher Hinsicht exilpolitisch aktiv gewesen und noch aktiv, was den vietnamesischen Sicherheitskräften nicht verborgen geblieben sein dürfte. Er ist seit 2004 Mitglied des Hamburger Vereins vietnamesischer Flüchtlinge und hat dort "sehr viele Veranstaltungen mitorganisiert" (Protokoll der mündlichen Verhandlung v. 1.6.2005, S. 2). Früher war er stets "ständiger Gast" und wurde zu allen Veranstaltungen eingeladen. Er war damit exilpolitisch tätig. Daneben hat er nicht nur für die Zeitschrift "Canh-En" (Schwalbenflügel) kritische Artikel geschrieben, die er auch finanziell unterstützt hat (BI. 44 d. GA), sondern er hat auch an zahlreichen Demonstrationen, Veranstaltungen und Diskussionen teilgenommen und diese "mitorganisiert" (Protokoll der mündl. Verhandlung v. 1.6.2005, S. 2). In den Jahren 2003 bis 2005 war er regelmäßig an den Demonstrationen vor der vietnamesischen Botschaft in Berlin beteiligt, wo er gefilmt und registriert wurde. Auf diese Weise ist er den vietnamesischen Sicherheitskräften bekannt, ist er als Dissigent bereits datentechnisch erfasst und registriert. Belegt wird das dadurch, dass er anlässlich einer Registrierung im vietnamesischen "Stammbuch" gestrichen wurde, was seine Eltern in große Angst versetzt hat. Dieses entspricht der vietnamesischen Praxis, auch auf die Familie eines Dissidenten psychologisch Druck auszuüben und sie zu drangsalieren. Zu Recht hat der Kläger darauf verwiesen, dass Vietnam ein "Polizeistaat" sei und es folglich gegen Willkürmaßnahmen in Vietnam keinen geordneten und verlässlichen Rechtsschutz gibt.
Die vietnamesische Führung fordert offenbar unbedingten Gehorsam ein und straft "Abweichler" bzw. solche, die dafür gehalten werden, mit Härte ab. Nur absolut angepasste und gehorchende Bürger bleiben von staatlichen Maßnahmen verschont. Hierzu gehört der Kläger nicht. Denn unter Einbeziehung dessen, was er bislang in Deutschland getrieben hat (Demonstrationen, Teilnahme an Diskussionen), dürften genügend Gründe vorliegen, gegen den Kläger vorzugehen.
Es ist für Verfolgungsmaßnahmen in Vietnam unerheblich, in welchem Maße exilpolitische Betätigungen vorliegen und ob sie eine bestimmte - mehr oder weniger hohe - "Schwelle" überschreiten. Allein entscheidend ist die abweichende, nichtmehr "linien-treue" Gesinnung, die hinter den entsprechenden Aktivitäten steht. Hierbei sind unbekannte und weniger prominente Bürger - wie der Kläger - eher gefährdet als Personen, die im Licht der Öffentlichkeit stehen (VG München, Asylmagazin 2003, 30; Dr. Weggel, Stellungn. v. 10.8.2003 an VG Darmstadt). Für Verfolgungsmaßnahmen in Vietnam selbst sind dann (Partei-)Beziehungen entscheidend, über welche der Kläger nicht verfügt, oder aber Zufälligkeiten anderer Art.
Im Übrigen ist die politisch motivierte Einschränkung der allgemeinen Religionsfreiheit in Vietnam, die vom vietnamesischen Staat eingesetzt wird, um religiöse Organisationen aller Art zu kontrollieren und zu verfolgen, für den entsprechend engagierten Kläger des Weiteren Anknüpfungspunkt und Motiv für sein - berechtigtes - Meinungsäußerungs- und Demonstrationsverhalten in Deutschland. Er hat sich deutlich für Religionsfreiheit in Vietnam eingesetzt und sich für Vorträge zum Thema "Die Verletzungen der Religionsfreiheit in Vietnam" engagiert sowie eine entsprechende "Protestnote" mitgetragen und mitunterzeichnet (BI. 42 GA). Er hat an den Mahnwachen in Berlin und an einer Kundgebung vor der Botschaft der Soz. Rep. Vietnam zugunsten von Priestern und buddhistischen Mönchen teilgenommen (BI. 54 GA), was von vietnamesischen Sicherheitskräften erfahrungsgemäß erfasst und registriert worden sein dürfte.
Angesichts der dargestellten Menschenrechtslage (s.o.) in Vietnam ist daher bei einer prognostischen Einschätzung zu erwarten, dass der Kläger auch aus diesem Grunde seines religiös motivierten Engagements Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt sein wird.