OVG Bremen

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Zitieren als:
OVG Bremen, Beschluss vom 20.06.2005 - 1 B 119/05 u.a. - asyl.net: M6736
https://www.asyl.net/rsdb/M6736
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Ägypter, Ausweisung, Aufenthaltserlaubnis, Nachträgliche Befristung, Sofortvollzug, Regelausweisung, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Beschwerde, Rechtsschutzbedürfnis, Wiedereinreiseverbot, Sperrwirkung, Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, Ermessensausweisung, Straftäter, Imam, Freitagsgebete, Hasspredigten, FDGO, Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, Öffentlicher Aufruf zur Gewaltanwendung, öffentliche Aufforderung zur Gewaltanwendung
Normen: AufenthG § 11 Abs. 1 S. 1 ; AufenthG § 84 Abs. 2 S. 1; VwGO § 80 Abs. 5; AufenthG § 54 Nr. 5a; AufenthG § 55 Abs. 2 Nr. 8b; StGB § 130; StGB § 140 Nr. 2
Auszüge:

Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ausweisung ist begründet.

Zu Unrecht hat die Antragsgegnerin die Ausweisung des Antragstellers auf § 54 Nr. 5a AufenthG gestützt. Danach wird ein Ausländer in der Regel - also ohne dass es einer Ermessensentscheidung bedarf - ausgewiesen, wenn er die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet oder sich bei der Verfolgung politischer Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht.

Die Vorschrift ist erst im Vermittlungsausschuss als Tatbestandsvoraussetzung für eine Regelausweisung in das Aufenthaltsgesetz eingefügt worden. Ein entsprechender Tatbestand war aber schon im bisherigen Ausländerrecht enthalten (§ 47 Abs. 2 Nr. 4 i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG i.d.F. des Terroristenbekämpfungsgesetzes vom 09.01.2002, zuvor § 46 Nr. 1 AuslG 1990). Zu ihrer Interpretation können daher die Gesetzesbegründungen der Vorläufervorschriften und die zu diesen ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung herangezogen werden.

Das Schutzgut der freiheitlichen demokratischen Grundordnung betrifft "die Grundprinzipien der Staatsgestaltung, die das Grundgesetz als unanantastbar anerkennt", also Grundsätze der innerstaatlichen Verfassungsordnung (BVerwGE 98,86 <91> m.w.Nwn.) Die Tätigkeit des Antragstellers mag sich zwar gegen diese Grundsätze richten. Eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung liegt aber erst dann vor, wenn eine nicht bloß entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts besteht (so ausdrücklich auch Ziffer 46.1.1 der vom Bundesministerium des Innern mit Zustimmung des Bundesrates erlassenen Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Ausländergesetz <AuslG-VwV> vom 28.06.2000 <GMBl. S. 618>). Das kann hier nicht angenommen werden.

Der Begriff "Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland" ist enger zu verstehen als die öffentliche Sicherheit nach dem allgemeinen Gefahrenabwehrrecht. Das ergibt sich schon aus der Systematik des Aufenthaltsgesetzes, das den polizeilichen Begriff der öffentlichen Sicherheit und Ordnung an anderer Stelle (§ 55 Abs. 1) als Voraussetzung für eine Ermessensausweisung erwähnt. Unter Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ist die innere und äußere Sicherheit des Staates zu verstehen (vgl. auch die Legaldefinition in § 92 Abs. 3 Nr. 2 StGB). Mit der hier allein in Betracht kommenden inneren Sicherheit, so hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt, werden Bestand und Funktionsfähigkeit des Staates und seiner Einrichtungen geschützt. Das schließt den Schutz vor Einwirkungen durch Gewalt und Drohungen mit Gewalt auf die Wahrnehmung staatlicher Funktionen ein. Geschützt wird die Fähigkeit des Staates, sich nach innen und außen gegen Angriffe und Störungen zur Wehr zu setzen (BVerwGE 96, 86 <91>; ähnlich die Begründungen zu den Entwürfen des Terrorismusbekämpfungsgesetzes, BT -Drs. 14/7386 <neu>, S. 54 und des Zuwanderungsgesetzes, BT -Drs. 15/420, S. 70). In Ziffer 46.1.2.1 AusIG-VwV wird dies in der Weise erläutert, dass eine Gefährdung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland nur dann vorliegt, "wenn die innere oder äußere Sicherheit des Bundes und der Länder selbst, d.h. die Sicherheit ihrer Einrichtungen, der Amtsführung ihrer Organe und des friedlichen und freien Zusammenlebens der Bewohner, ferner der Sicherheit lebenswichtiger Verkehrs- und Versorgungseinrichtungen gefährdet ist und diese Gefährdung die bloße Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit in beachtlichem Maße übersteigt".

Aufgrund der vorgelegten Angaben über die Inhalte der Freitagsgebete lässt sich nicht feststellen, dass der Antragsteller die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland in dem dargestellten Sinne gefährdet. Auch den Ausführungen der Antragsgegnerin im Widerspruchsbescheid und im gerichtlichen Eilverfahren lässt sich nicht entnehmen, worin diese Gefährdung bestehen soll.

Die vorgelegten Aufzeichnungen lassen auch nicht den Schluss zu, der Antragsteller habe öffentlich zur Gewaltanwendung aufgerufen. Bei der Interpretation dieses Merkmals ist zu berücksichtigen, dass das Aufenthaltsgesetz neben der Aufforderung zur Gewalt als Tatbestandsvoraussetzungen einer Regelausweisung in § 54 Nr. 5a auch die Aufforderung zu Gewaltanwendung gegen Teile der Bevölkerung als Voraussetzung einer Ermessensausweisung in § 55 Abs. 2 Nr. 8b normiert. In welchem Verhältnis beide Vorschriften zueinander stehen, kann und muss hier nicht abschließend geklärt werden. Aus Sinn und Zweck der Stufung der Ausweisungstatbestände in Ermessens-, Regel- und zwingende Ausweisungen lässt sich aber ableiten, dass bei ähnlichen Sachverhalten die Gründe für die Regelausweisung von ihrem Gewicht her nicht hinter den Gründen für die Ermessensausweisung zurückbleiben dürfen. Daraus folgt, dass an das Merkmal "aufrufen" in § 54 Nr. 5a AufenthG jedenfalls keine geringeren Anforderungen zu stellen sind als an das Merkmal "auffordern" in § 55 Abs. 2 Nr. 8b AufenthG. Die zuletzt genannte Vorschrift übernimmt weitgehend den Tatbestand des § 130 StGB, so dass zur Interpretation auf die dazu vorliegende Rechtsprechung und Literatur zurückgegriffen werden kann. Danach ist unter Aufforderung ein über bloßes Befürworten hinausgehendes, ausdrückliches Einwirken auf andere mit dem Ziel zu verstehen, in ihnen den Entschluss zu bestimmten Handlungen hervorzurufen (vgl. Lenckner, in: Schönke/Schröder, StGB, 26. Aufl. 2001, Rn 5b zu § 130 m.w.Nwn.).

Eine solche Aufforderung zu bestimmten Gewalttaten ist in den Aufzeichnungen über die Freitagsgebete nicht dokumentiert. Auch der Widerspruchsbescheid des Senators für Inneres und Sport beschränkt sich auf den Vorwurf, der Antragsteller habe die Gewaltanwendung gegen Andersgläubige befürwortet und sogar verherrlicht. Dies reicht für den hier in Frage stehenden Tatbestand des Aufrufens nicht aus.

Das bedeutet nicht, dass der Antragsteller wegen seiner Freitagsgebete nicht ausgewiesen werden könnte. Nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Würdigung rechtfertigen die vom Verfassungsschutz wiedergegebenen Äußerungen des Antragstellers den Schluss, dass er durch seine Predigten die Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 Nr. 8a und b AufenthG erfüllt hat.

Nach § 55 Abs. 2 Nr. Ba AufenthG kann u.a. ausgewiesen werden, wer öffentlich oder in einer Versammlung ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht in einer Weise billigt oder dafür wirbt, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Von dieser Vorschrift erfasst werden auch Terroranschläge, durch die eine unbegrenzte Vielzahl von Personen getötet oder gefährdet wird (vgl. Marx ZAR 2004, 275 <277>). Eine Billigung und Werbung für solche Taten liegt hier vor:......

Nach § 55 Abs. 2 Nr. 8b AufenthG kann u.a. ausgewiesen werden, wer in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören, zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt oder die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht. Diese Tatbestandsvoraussetzungen sind aus § 130 StGB übernommen worden; bei diesem Straftatbestand handelt es sich um ein potentielles Gefährdungsdelikt, so dass es nach allgemeiner Meinung ausreicht, das psychische Klima aufzuheizen (vgl. Marx, ZAR 2004, 275 <277>).

Auch diese Voraussetzungen sind nach den vorgelegten Aufzeichnungen über die Freitagsgebete erfüllt. Danach hat der Antragsteller sich gegen mehr als oberflächliche Kontakte im Zusammenleben mit den hiesigen "Ungläubigen" mit der Begründung gewandt, diese "stinken im Sinne des wahren Islam" (10.09.2004).

Eine Ausweisung aufgrund dieser Vorschriften ist aber keine Regel-Ausweisung; es steht vielmehr im Ermessen der Verwaltung, ob sie den Ausländer ausweist oder nicht. Eine solche Ermessensentscheidung ist weder in der Verfügung der Antragsgegnerin noch im Widerspruchsbescheid des Senators für Inneres und Sport getroffen worden. Die Behörden haben Ermessenserwägungen auch nicht hilfsweise vorsorglich für den Fall angestellt, dass ihre Auffassung, die Vorausetzungen einer Rege/ausweisung seien erfüllt, keinen Bestand haben würde. Nach Erlass des Widerspruchsbescheids kann dies nicht mehr nachgeholt werden. § 114 Satz 2 VwGO erlaubt nur die Ergänzung von defizitären Ermessenserwägungen, nicht aber die erstmalige Ausübung des Ermessens nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens (BVerwG NJW 1999, 2912; BVerwGE 106, 351 <365>).

Die verfügte Ausweisung hält einer rechtlichen Überprüfung daher nicht stand.

In Ziff. 4 und 6 ihrer Verfügung vom 14.02.2005 hat die Antragsgegnerin "vorbehaltlich der Aufhebung der Ausweisung" die Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers nachträglich auf das Datum dieser Verfügung befristet und die sofortige Vollziehung dieses Teils der Verfügung angeordnet. Der Widerspruchsbescheid hat daran festgehalten und lediglich das Datum auf den Tag der Zustellung der Verfügung (15.02.2005) abgeändert.

Die Verkürzung der Geltungsdauer erweist sich bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung als rechtmäßig.

Die Antragsgegnerin stützt ihre Verfügung auf § 7 Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Danach kann die Geltungsdauer einer befristeten Aufenthaltserlaubnis nachträglich verkürzt werden, wenn eine für ihre Erteilung wesentliche Voraussetzung entfallen ist.

Eine für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis wesentliche Voraussetzung liegt hier nicht mehr vor.

Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis setzt sowohl nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 AuslG, der zum Zeitpunkt der Erteilung galt, also auch nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG in der Regel voraus, dass kein Ausweisungsgrund vorliegt. Darauf, ob der Ausländer im konkreten Einzelfall auch tatsächlich ausgewiesen werden kann, kommt es nicht an (vgl. BVerwGE 102,12 <17>). Ebenso ist unerheblich, ob die Ausländerbehörde den Ausweisungsgrund rechtlich zutreffend erfasst hat. Bei der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen ist nämlich - anders als bei der anschließenden Ermessensausübung - allein von Bedeutung, ob diese objektiv gegeben sind. Die unzutreffende Annahme der Behörde, es liege ein Ausweisungsgrund nach § 54 Nr. 5a AufenthG (= § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG) vor, ist deshalb unschädlich, wenn tatsächlich ein anderer, von der Ausländerbehörde nicht genannter Ausweisungsgrund vorliegt. Der Ausweisungsgrund nach § 55 Abs. 2 Nr. 8a und 8b AufenthG, der hier in Betracht kommt, ist zwar erst durch Zuwanderungsgesetz zum 01.01.2005 eingeführt worden. Zumindest die durch § 55 Abs. 2 Nr. 8b AufenthG erfassten Äußerungen sind aber strafbar (§ 130 StGB) und werden daher auch von dem allgemein formulierten Ausweisungsgrund des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG erfasst (vgl. Marx , ZAR 2004, 275 <277>). Dieser Ausweisungsgrund war gleichlautend schon in § 46 Nr. 2 AuslG geregelt, so dass insoweit keine Änderung der Rechtslage eingetreten ist. Die Billigung von terroristischen Anschlägen oder die Werbung für sie (§ 55 Abs. 2 Nr. 8a AufenthG) ist allerdings nicht in jedem Fall strafbar. Die Strafbarkeit nach § 140 Nr. 2 StGB setzt voraus, dass konkret bezeichnete Straftaten gebilligt werden (BGH, Urt. v. 10.10.1978 - 1 StR 318/78 - <juris>). Daran fehlt es hier. Soweit eine Strafbarkeit für die Billigung von und die Werbung für terroristische Gewalttaten nicht besteht, war aber ein Ausweisungsgrund nach § 45 Abs. 1 AuslG wegen einer Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder sonstiger erheblicher Interessen der Bundesrepublik Deutschland gegeben.