OVG Hamburg

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Zitieren als:
OVG Hamburg, Beschluss vom 21.04.2005 - 3 Bs 40/05 - asyl.net: M6738
https://www.asyl.net/rsdb/M6738
Leitsatz:

§ 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG schließt nicht anders als zuvor § 56 Abs. 3 Satz 2 AuslG die Ermächtigung ein, einem (hier: im Hinblick auf ein laufendes Strafverfahren) geduldeten Ausländer, dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zu Studienzwecken abgelehnt worden ist, im Wege pflichtgemäßer Ermessensausübung die Aufnahme oder Fortsetzung eines Studiums zu verbieten, um einer Aufenthaltsverfestigung vorzubeugen und den mit der weiteren Anwesenheit des Ausländers verbundenen Aufwand an öffentlichen Mitteln möglichst gering zu halten.

(amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: D (A), Ausländer, Duldung, Strafverfahren, Studium, Auflagen, Studienverbot, Ermessen, Aufenthaltsverfestigung, Sofortvollzug, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AufenthG § 61 Abs. 1 S. 2; AuslG § 56 Abs. 3 S. 2; VwGO § 80 Abs. 2 Nr. 4; VwGO § 80 Abs. 3 S. 1
Auszüge:

§ 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG schließt nicht anders als zuvor § 56 Abs. 3 Satz 2 AuslG die Ermächtigung ein, einem (hier: im Hinblick auf ein laufendes Strafverfahren) geduldeten Ausländer, dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zu Studienzwecken abgelehnt worden ist, im Wege pflichtgemäßer Ermessensausübung die Aufnahme oder Fortsetzung eines Studiums zu verbieten, um einer Aufenthaltsverfestigung vorzubeugen und den mit der weiteren Anwesenheit des Ausländers verbundenen Aufwand an öffentlichen Mitteln möglichst gering zu halten.

(amtlicher Leitsatz)

 

Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich nicht, dass entgegen den Ausführungen des Verwaltungsgerichts erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des hier streitigen Studierverbots bestehen oder sich der von der Antragsgegnerin für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegebenen Begründung kein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Studierverbots entnehmen lässt.

Der Auffassung des Antragstellers, § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ermächtige nicht zu einem Studierverbot, ist nicht zu folgen.

In § 61 Abs. 1 AufenthG heißt es in Anlehnung an die Vorgängervorschrift des § 56 Abs. 3 AuslG, dass der Aufenthalt eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers räumlich auf das Gebiet des Landes beschränkt ist (§ 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bzw. im Wesentlichen ebenso § 56 Abs. 3 Satz 1 AuslG) und dass weitere Bedingungen und Auflagen angeordnet werden können (§ 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG bzw. § 56 Abs. 3 Satz 2 AuslG). Für die gleichlautende Vorschrift des § 56 Abs. 3 Satz 2 AuslG, ist anerkannt, dass durch Auflage auch das Verbot der Aufnahme einer Ausbildung ausgesprochen werden kann (vgl. Jakober/Welte, Aktuelles Ausländerrecht, § 56 AuslG Rdnr. 20, Stand: Juli 2004). Wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat, ist weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus der Gesetzesbegründung ersichtlich, dass die Vorschrift des § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG gegenüber der Bestimmung des § 56 Abs. 3 Satz 2 AuslG einen eingeschränkten Anwendungsbereich haben soll.

Dem Vorbringen des Antragstellers ist nicht zu entnehmen, dass die Antragsgegnerin das ihr in § 56 Abs. 3 Satz 2 AuslG bzw. § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG eingeräumte Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat.

Die Rüge des Antragstellers, das durch Auflage angeordnete Studierverbot beruhe auf einer Vorverurteilung und missachte seinen Freispruch im strafgerichtlichen Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 5. Februar 2004, trifft nicht zu. Denn die Antragsgegnerin und das Verwaltungsgericht sind weder ausdrücklich noch sinngemäß davon ausgegangen, dass der Antragsteller verurteilt worden sei oder noch verurteilt werde. Insbesondere beruht das Studierverbot nicht etwa auf Tatvorwürfen, von denen der Antragsteller freigesprochen worden ist. Sowohl die Antragsgegnerin als auch das Verwaltungsgericht sind allein von Feststellungen ausgegangen, die im freisprechenden Strafurteil enthalten sind. Dass das Urteil wegen des vom Generalbundesanwalt eingelegten Rechtsmittels noch nicht rechtskräftig ist, schließt die Heranziehung des Urteils nicht aus. Einen Umstand, der Zweifel an der Richtigkeit der für den Antragsteller nachteiligen Feststellungen im Strafurteil aufzeigen könnte, führt der Antragsteller nicht an.

Fehl geht auch die Rüge des Antragstellers, der Rechtmäßigkeit des Studierverbots stehe bereits die Tatsache entgegen, dass die Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg durch Beschluss des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 5. August 2004 - 3 Nc 3/04 - im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet worden sei, ihn vorläufig zum Studium im Studiengang Informations- und Elektrotechnik im zweiten Studienabschnitt zuzulassen und dass sie ihn auch zum Studium zugelassen habe. Die Ansicht des Antragstellers, dass allein die Hochschule darüber zu befinden habe, ob ein Ausländer, der sich hier rechtmäßig oder geduldet aufhalte, studieren dürfe, ist nicht richtig. Vielmehr ermächtigt die Vorschrift des § 56 Abs. 3 Satz 2 AuslG bzw. des § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG die Ausländerbehörde dazu, im Rahmen pflichtgemäßer Ermessensausübung aus aufenthaltsrechtlich erheblichen Gründen gegenüber einem geduldeten Ausländer die Auflage eines Studierverbots zu verhängen, auch wenn er hochschulrechtlich über einen Studienplatz verfügt.

Außerdem macht der Antragsteller geltend, die Antragsgegnerin habe ihm durch die

Duldungserteilung die Möglichkeit genommen, die aufschiebende Wirkung der Klage über den hier beantragten Umfang hinaus (d.h. auch bezüglich der Versagung eines Aufenthaltstitels) zu beantragen; denn ihm könnte zu Recht entgegengehalten werden, dass ihm dafür das Rechtsschutzinteresse fehle, weil er insoweit nichts Zusätzliches erreichen würde, insbesondere deshalb nicht, weil eine Duldung ihn prinzipiell nicht am Studium hindere.

Ob dieser Beurteilung des Rechtsschutzinteresses zu folgen ist, kann dahingestellt bleiben. Denn dieses Vorbringen, mit dem der Antragsteller erklärt, weshalb er gegen die Versagung eines Aufenthaltstitels keinen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt hat, zeigt nicht auf, dass und weshalb das Verwaltungsgericht verpflichtet gewesen wäre, die Rechtmäßigkeit der Versagung des beantragen Aufenthaltstitels zu prüfen, und dass es insoweit zum Ergebnis hätte gelangen müssen, die Rechtmäßigkeit begegne zumindest erheblichen Zweifeln.

Ohne Erfolg wendet sich der Antragsteller dagegen, dass das Verwaltungsgericht sinngemäß ausgeführt hat: Da der Antragsteller grundsätzlich ausreisepflichtig sei, dürfte der Antragsgegnerin ein weiter Ermessensspielraum dahingehend zustehen, jedwede weitere Verfestigung des Aufenthalts des Antragstellers zu unterbinden. Denn es entspreche gerade dem Zweck des Ausländergesetzes, den Aufenthalt von Ausländern, die nicht über einen Aufenthaltstitel verfügten möglichst effektiv zu beenden. Im konkreten Fall gehe es darum, dass der Aufenthalt des Antragstellers unmittelbar nach Abschluss des Strafverfahrens solle beendet werden können. Die Antragsgegnerin habe demnach darauf abstellen dürfen, eine weitere Verfestigung des Aufenthalts des Antragstellers zu vermeiden.

Im Einzelnen macht der Antragsteller geltend: Die verfügte Auflage diene dem Zweck nicht, eine Aufenthaltsverfestigung oder eine Aufenthaltsverlängerung zu verhindern. Denn ein Studium, selbst wenn es mit einer Aufenthaltserlaubnis zu Studienzwecken durchgefiihrt werde, könne niemals zu einer Verfestigung des Aufenthalts führen und dies schon gar nicht, wenn es lediglich im Rahmen einer Duldung fortgesetzt werde.

Diese Einwendungen sind nicht stichhaltig. Vielmehr ist das Studierverbot als ein geeignetes Mitte anzusehen, um einer Verfestigung und Verlängerung des Aufenthalts des Antragstellers im Bundesgebiet vorzubeugen und beidem von vornherein entgegenzuwirken. Für die in § 56 Abs. 3 Satz 3 AuslG geregelte Auflage des Verbots einer Erwerbstätigkeit entspricht es herrschender und zutreffender Auffassung, dass es den Ausländerbehörden grundsätzlich nicht verwehrt ist, den Aufenthalt eines lediglich geduldeten Ausländers durch ein Erwerbstätigkeitsverbot so auszugestalten, dass eine seine spätere Entfernung aus dem Bundesgebiet unter Umständen hindernde - auch nur faktische - Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse von vornherein vermieden und einer Verfestigung des Aufenthalts vorgebeugt werde, um nach dem Wegfall des Abschiebungshindernisses die Ausreisepflicht ohne Verzögerungen und Erschwernisse durchsetzen zu können (vgl. BVerwG, Beschl. v. 28.12.1990, Buchholz 402.24, § 17 AuslGNr. 8; Beschl. v. 13.9.1981, EZAR 221 Nr. 17; VGH Mannheim, Beschl. v. 25.9.2003, InfAuslR 2004 S. 70; Hailbronner, Ausländerrecht, § 56 AuslG Rdnr. 9, Stand: Oktober 1997; GK-AuslG, § 56 AuslG Rdnr. 15). Für das hier angeordnete Studierverbot hat Gleiches zu gelten.

Erfolglos bemängelt der Antragsteller die Ausführungen des Verwaltungsgerichts, es könne dem Antragsteller nicht zu Gute kommen, dass seine Abschiebung aus Gründen der Strafverfolgung gegenwärtig (noch) nicht betrieben werde; denn diese Gliinde seien vorübergehender Natur und hätten keinen Einfluss auf seine aufenthaltsrechtliche Situation. Diese Ausführungen sind entgegen der Meinung des Antragstellers nicht deshalb fehlerhaft, weil die Möglichkeit besteht, dass das Strafverfahren mit einem rechtskräftigen Freispruch endet. Denn die Antragsgegnerin hat dem Antragssteller die Erteilung eines Aufenthaltstitels auch für den Fall eines rechtskräftigen Freispruchs versagt.

Nicht zu beanstanden ist auch, dass das Verwaltungsgericht im Rahmen der Gewichtung des privaten Aussetzungsinteresses des Antragstellers im Hinblick auf den Abschluss seines Studiums davon ausgegangen ist, der Antragsteller habe sich während seines Studiums im Jahre 2000 ein Semester lang in einem Ausbildungslager der Al Qaida in Afghanistan aufgehalten. Das

Verwaltungsgericht greift insoweit auf die Feststellung im freisprechenden Strafurteil vom 5. Februar 2004 zurück, nach der der Antragsteller Ende April/Anfang Mai 2000 in das Ausbildungslager der Al Qaida nahe Kandahar reiste und sich dort bis Ende Juli 2000 aufhielt (UA S. 17). Dass der Antragsteller im Strafverfahren geschwiegen hat und das Strafurteil nicht rechtskräftig ist, steht der Heranziehung dieser Feststellung nicht entgegen.

Ebenfalls ohne Erfolg wendet sich der Antragsteller gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Studierverbots.