OVG Hamburg

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Zitieren als:
OVG Hamburg, Beschluss vom 27.01.2005 - 3 Bs 458/04 - asyl.net: M6741
https://www.asyl.net/rsdb/M6741
Leitsatz:

Ein ausgewiesener Ausländer kann nicht die Erteilung einer Betretenserlaubnis zum Zweck des Besuchs seiner im Bundesgebiet lebenden minderjährigen Tochter beanspruchen, wenn sich dieser Zweck aller Voraussicht nach deshalb nicht erreichen lässt, weil der Ausländer damit rechnen muss, wegen einer Anordnung der Staatsanwaltschaft nach § 456 a Abs. 2 StPO zur Verbüßung der Restfreiheitsstrafe aus einer früheren Verurteilung längerfristig inhaftiert zu werden.

 

Schlagwörter: D (A), Ausländer, Ausweisung, Betretenserlaubnis, Unbillige Härte, Schutz von Ehe und Familie, Sperrwirkung, Gesetzesänderung, Zuwanderungsgesetz, Straftäter, Strafvollstreckung, Verbüßung einer Restfreiheitsstrafe, Ehegatte, Freizügigkeit, Gemeinschaftsrecht, Ermessen, Ermessensreduzierung auf Null, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Beschwerde
Normen: GG Art. 6; AuslG § 8 Abs. 2 S. 2; AufenthG § 11 Abs. 1; AufenthG § 1 Abs. 2; AufenthG § 102 Abs. 1; StPO § 456a Abs. 2; VwGO § 123
Auszüge:

Ein ausgewiesener Ausländer kann nicht die Erteilung einer Betretenserlaubnis zum Zweck des Besuchs seiner im Bundesgebiet lebenden minderjährigen Tochter beanspruchen, wenn sich dieser Zweck aller Voraussicht nach deshalb nicht erreichen lässt, weil der Ausländer damit rechnen muss, wegen einer Anordnung der Staatsanwaltschaft nach § 456 a Abs. 2 StPO zur Verbüßung der Restfreiheitsstrafe aus einer früheren Verurteilung längerfristig inhaftiert zu werden.

(Amtlicher Leitsatz)

 

Der Antragsteller zu 1) hat auch keinen Anordnungsanspruch für eine Verpflichtung der Antragsgegnerin auf Erteilung einer ausländerrechtlichen Betretenserlaubnis glaubhaft gemacht.

Dieses Begehren ist - trotz der anderweitigen Regelung unter Nr. 1 in dem Tenor des angefochtenen Beschlusses - Gegenstand des Beschwerdeverfahrens, da der in der Eilantragsschrift vom 28. Juni 2 (S. 2) unter dem ersten Spiegelstrich gestellte Antrag, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller zu 1) vorläufig eine Betretenserlaubnis für die Bundesrepublik Deutschland zu erteilen, gleichsam wieder auflebt, nachdem das Verwaltungsgericht insoweit keine Entscheidung getroffen und das Beschwerdegericht seine Beschwerdeentscheidung ohne die Beschränkung des § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO an Hand der für Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allgemein geltenden Maßstäbe zu treffen hat.

Zwar greifen die in diesem Zusammenhang von der Antragsgegnerin geltend gemachten Einwände nicht vollständig durch und es könnte die dargelegte familiäre Situation im Verhältnis zwischen dem Antragsteller zu 1) und der Antragstellerin zu 3) an sich für eine unbillige Härte i.S.d. § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG (§ 9 Abs. 3 AuslG) sprechen, wenn dem Antragsteller zu 1) weiterhin langfristig die Möglichkeit vorenthalten würde, die Antragstellerin zu 3) in deren heimatlicher Umgebung zu besuchen und zu erleben. Einem - zur Ermessensreduzierung bei der Antragsgegnerin führenden und die diesbezügliche Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigenden - Anordnungsanspruch des Antragstellers zu 1) auf Erteilung einer

Betretenserlaubnis steht derzeit jedoch entgegen, dass die Antragsteller nicht glaubhaft gemacht haben, dass der Antragsteller zu 1) im Falle seiner Einreise in das Bundesgebiet und seines Aufenthalts in Hamburg davor sicher wäre, zwecks Verbüßung des mehrjährigen Restes seiner Haftstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Hamburg vom. Juni 1996 verhaftet zu werden.

Soweit die Antragsgegnerin im erstinstanzlichen Verfahren vorgetragen hat, das Begehren der Antragsteller sei im Hinblick auf die Frage der Erteilung einer Betretenserlaubnis für den AntragsteIler zu 1) zu unbestimmt, da § 9 Abs. 3 AuslG 1990 (vgl. nunmehr § 11 Abs. 2 AufenthG) nicht vorsehe, einem Ausländer generell das zeitweilige Betreten des Bundesgebietes zu erlauben (Schriftsatz vom 1.7.2004), hätte dies für sich genommen es nicht ausgeschlossen, dem Antragsteller zu 1) überhaupt eine Betretenserlaubnis zu erteilen und ihm (erforderlichenfalls) insoweit vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren. Auch wenn das Begehren der Antragsteller in seiner gesamten Tragweite ("vorläufiges" Einreise- und Aufenthaltsrecht bis zum rechtskräftigen Abschluss des Befristungsverfahrens) nicht von § 11 Abs. 2 AufenthG gedeckt sein dürfte, wäre die Antragsgegnerin allein dadurch nicht daran gehindert, dem Antragsteller zu 1) eine mit dieser Bestimmung zu vereinbarende, zeitlich und ggf. auch räumlich begrenzte Betretenserlaubnis zu erteilen. Auch ein solche Regelung dürfte in dem Begehren der Antragsteller im Sinne eines Teilerfolges mit enthalten sein.

Soweit die Antragsgegnerin außerdem (möglicherweise) die Erforderlichkeit einer einstweiligen Anordnung mit der Erwägung in Frage stellen will, dass der Antragsteller zu 1) in Begleitung seiner Ehefrau, der Antragstellerin zu 2), wenn diese von ihrem Freizügigkeitsrecht Gebrauch machen wolle, ungehindert in das Bundesgebiet einreisen könne, erscheint dies als zweifelhaft: Wie bereits ausgeführt, gilt die Sperrwirkung einer nach dem Ausländergesetz 1990 verfügten Ausweisung gemäß § 102 Abs. 1 AufenthG i. V.m. § 8 Abs. 2 Satz 2 AuslG 1990, so lange sie nicht aufgehoben ist, auch gegenüber denjenigen Ausländern fort, die - was für die Antragsteller zu 1) und 2) allerdings bisher nicht feststeht, s.o. - von einem Freizügigkeitsrecht nach Maßgabe des Gemeinschaftsrechts Gebrauch machen wollen (vgl. BVerwG, Urt. v. 7.12.1999, BVerwGE Bd. 110 S. 140, 149). Dies wiederum dürfte sich in Fällen der hier vorliegenden Art auch auf die Praxis der Gewährung bzw. der Versagung der Einreise an den deutschen Grenzen auswirken. Die förmliche Erteilung einer Betretenserlaubnis für den Antragsteller zu 1) würde diesem Problem entgegenwirken.

Außerdem stünde ein eventueller Anspruch des Antragstellers zu 1) auf Erteilung einer Betretenserlaubnis nicht unbedingt unter dem Vorbehalt, dass er bei der Einreise in das Bundesgebiet und während des diesbezüglichen Aufenthalts von der Antragstellerin zu 2) begleitet werden müsste. Denn ein eventueller Anspruch des Antragstellers zu 1) auf Erteilung einer Betretenserlaubnis, die seinen Aufenthalt zu dem Zweck ermöglichen sollte, die Antragstellerin zu 3) in ihrer Heimatstadt Hamburg zu besuchen, würde sich unmittelbar aus dem ("nationalen") Recht des § 11 Abs. 2 AufenthG i. V .m. Art. 6 GG herleiten, ohne dass es insoweit auf die gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen zur Freizügigkeit ankäme; dementsprechend würde sein Recht auf Einreise und kurzfristigen Aufenthalt dann nicht davon abhängen, dass die Antragstellerin zu 2) von ihrem eigenen Freizügigkeitsrecht in Begleitung des Antragstellers zu 1) würde Gebrauch machen wollen.

Nach § 11 Abs. 2 AufenthG kann einem ausgewiesenen oder abgeschobenen Ausländer ausnahmsweise vor Ablauf der nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG (bzw. gemäß § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG 1990) bestimmten Frist erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde.

Die von den Antragstellern dargelegte familiäre Situation im Verhältnis zwischen dem Antragsteller z 1) und der Antragstellerin zu 3) könnte an sich für eine unbillige Härte i.S.d. § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG (§ 9 Abs. 3 AuslG) sprechen, wenn dem Antragsteller zu 1) weiterhin langfristig die Möglichkeit vorenthalten würde, die Antragstellerin zu 3) in deren heimatlicher Umgebung zu besuchen und zu erleben. Für die Beurteilung, ob ein solcher Härtefall vorliegt, sind insbesondere humanitäre oder gravierende persönliche Gründe (etwa schwere Erkrankungen von Familienangehörigen, Familienfeiern, Todesfälle) bedeutsam, die unter Abwägung der Umstände des Einzelfalles eine begrenzte Durchbrechung der Sperrwirkung der Ausweisung bzw. Abschiebung gerechtfertigt erscheinen lassen (vgl. OVG Berlin, Beschl. v. 9.1.2001, InfAuslR 2001 S. 169, 170). Angesichts der von den Antragstellern im Einzelnen vorgetragenen und etwa durch die Stellungnahme des Jugendamtes vom 13. Mai 2004 und der Eheleute P. - zeitweilige Pflegeeltern der Antragstellerin zu 3) - vom 27. März 2004 plausibel gemachten familiären Situation der Antragsteller zu 1) und 3) könnte es - auch angesichts der bis auf weiteres fortgeltenden Befristungsentscheidung der Antragsgegnerin, die keine kurzfristigen Besuchsperspektiven für den Antragsteller zu 1) erkennen lässt - eine unbillige Härte darstellen, dem Antragsteller zu 1) in näherer Zukunft die Möglichkeit vorzuenthalten, die Antragstellerin zu 3) in ihrer eigenen Umgebung zu erleben und ggf. vorteilhaft auf sie einzuwirken.

Einem sich im Wege der Ermessensreduzierung ergebenden Anspruch des Antragstellers zu 1) gegen die Antragsgegnerin auf Erteilung einer Betretenserlaubnis nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG steht gegenwärtig aber entgegen, dass der Antragsteller zu 1) im Falle seiner Einreise und seines Aufenthalts in Hamburg nicht davor sicher wäre, zwecks Verbüßung des mehrjährigen Restes seiner Haftstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Hamburg vom. Juni 1996 verhaftet zu werden.

Vielmehr dürfte eine solchermaßen begründete Inhaftierung des Antragstellers zu 1) im Falle seiner Einreise in das Bundesgebiet tatsächlich zu erwarten sein: Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat mit ihrer Verfügung vom April 1998 nach § 456 a Abs. 2 StPO angeordnet, dass im Falle der Rückkehr des Antragstellers zu 1) die Vollstreckung der Reststrafe nachgeholt werde. Diese Verfügung gilt weiterhin, wie die Staatsanwaltschaft Hamburg mit Schreiben vom 29. Dezember 2004 auf entsprechende Nachfrage des Beschwerdegerichts bestätigt hat, ohne dass ihres Erachtens daran durch den (durch Bescheid der Justizbehörde vom April 2001 zudem widerrufenen) Gnadenerweis der Justizbehörde vom Februar 1999 etwas geändert worden wäre. Dem entspricht es, dass die Staatsanwaltschaft Hamburg gegenüber dem Antragsteller zu 1) im März 1999 einen (nach wie vor bestehenden, vgl. das Schreiben der Staatsanwaltschaft vom 18. Januar 2005) Vollstreckungshaftbefehl für den Fall seiner Rückkehr in das Bundesgebiet erlassen hat und er weiterhin bundesweit zur Festnahme ausgeschrieben ist. Von dieser Sachlage hat das Beschwerdegericht auszugehen, ohne dass es (schon im Hinblick auf seine Rechtswegzuständigkeit) etwa die Möglichkeit hätte, diese Maßnahmen aufzuheben. Soweit der Antragstellervertreter deren Rechtmäßigkeit in Abrede stellt (vgl. seine Schriftsätze vom 18.1.2005 und vom 24.1.2005), ist er gehalten, ggf. die dafür vorgesehenen Wege außerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu beschreiten.