VG Hamburg

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Zitieren als:
VG Hamburg, Beschluss vom 22.06.2005 - 5 E 1467/05 - asyl.net: M6744
https://www.asyl.net/rsdb/M6744
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Ausländer, Duldung, Nebenbestimmungen, Auflage, Strafverfahren, terroristische Vereinigung, Mitglieder, Revisionsverfahren, Studienverbot, Sofortvollzug, Anfechtbarkeit, Gesetzesänderung, Zuwanderungsgesetz, Ermessen, Aufenthaltsverfestigung, Vertrauensschutz, Schutz von Ehe und Familie, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AufenthG § 60a; AufenthG § 51 Abs. 6; AufenthG § 61 Abs. 1 S. 2; VwGO § 80 Abs. 3; VwGO § 80 Abs. 5; GG Art. 6
Auszüge:

Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist als Antrag mit dem Ziel der Wiederherstellung, nicht etwa der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage anzusehen, weil es sich bei der hier angegriffenen Nebenbestimmung nicht um eine Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung handelt. Wie § 51 Abs. 6 AufenthG zeigt, ist die genannte Nebenbestimmung unabhängig von der Duldung zu beurteilen, es kommt mithin allein auf den Inhalt der Nebenbestimmung selbst an ( vgl. OVG Hamburg, Beschl. vom 25.05.2004, InfAuslR 2004, S. 302 m.w.N. zu § 44 Abs. 6 AuslG).

Der so verstandene Antrag ist zulässig, insbesondere statthaft.

Der zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Die Antragsgegnerin hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung der hier streitgegenständlichen Verfügung vom 18. Januar 2005 zunächst in der Verfügung selbst und dann ergänzend im Widerspruchsbescheid vom 1. April 2005 den Erfordernissen des § 80 Abs. 3 VwGO gemäß hinreichend schriftlich begründet. Zunächst hat sie in formeller Hinsicht eine eigenständige Begründung für die Anordnung des Sofortvollzugs angegeben. Die von der Antragsgegnerin genannten Gründe stellen auch inhaltlich ein besonderes öffentliches Interesse dar, das über das Interesse an dem Erlass der angefochtenen Verfügung hinausgeht. Sie hat auf den konkreten Einzelfall des Antragstellers bezogen angegeben, dass die Abschiebung des Antragstellers lediglich wegen des öffentlichen Strafverfolgungsinteresses bis zum Abschluss des gegen ihn anhängigen Strafverfahrens ausgesetzt worden und ihm allein zu diesem Zweck eine Duldung erteilt worden sei. Die Aufnahme oder Fortsetzung eines Studiums erhöhe die Wahrscheinlichkeit, dass der Antragsteller anstrebe, auch über den Zeitpunkt des Abschlusses des Strafverfahrens hinaus zu Studienzwecken in der Bundesrepublik Deutschland zu verbleiben. Ergänzend hat sie im Widerspruchsbescheid den Sofortvollzug auch damit begründet, dass ein besonderes öffentliches Interesse daran bestehe, dass angesichts der begrenzten Studienplätze diese nur solchen Ausländern zur Verfügung gestellt würden, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielten, das Studium engagiert betrieben und keine Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung bzw. gegen die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland unternähmen. Es bestehe mithin ein besonderes öffentliches Interesse daran, durch die Festsetzung der angefochtenen Auflage eine weitere Verfestigung des Aufenthaltes des zur Ausreise verpflichteten Antragstellers zu verhindern.

Die Antragsgegnerin konnte sich in ihrer Verfügung auf § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG als Rechtsgrundlage der angefochtenen Entscheidung berufen. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.

Die Antragsgegnerin dürfte als Rechtsgrundlage für die hier angefochtene Verfügung zu Recht § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG herangezogen haben. Nach dieser Vorschrift können "weitere Bedingungen und Auflagen" in Zusammenhang mit einer Duldung nach § 60a AufenthG angeordnet werden. Eine Einschränkung des Inhalts dieser Bedingungen und Auflagen ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift nicht. Für die - bis zum 31. Dezember 2004 gültige - gleichlautende Vorschrift des § 56 Abs. 3 Satz 2 AuslG war anerkannt, dass durch eine Auflage auch das Verbot der Aufnahme einer Ausbildung ausgesprochen werden konnte (vgl. Jakober/Welte, Aktuelles Ausländerrecht, § 56 AuslG, Rdnr. 20). Weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus der Gesetzesbegründung ist aber ersichtlich, dass die Vorschrift des § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG gegenüber der Bestimmung des § 56 Abs. 3 Satz 2 AuslG einen eingeschränkten Anwendungsbereich haben soll (vgl. OVG Hamburg, Beschl.v. 21.4.2005, 3 Bs 40/05). Entgegen der Auffassung des Antragstellers folgt auch aus der Gesetzesbegründung zu § 61 Abs. 1 AufenthG nicht, dass nur den räumlichen Aufenthalt eines Ausländers betreffende Auflagen verfügt werden dürften.

Die Überschrift des § 61 AufenthG "Räumliche Beschränkung; Ausreiseeinrichtungen" beschränkt den Anwendungsbereich der Vorschrift ebenfalls nicht auf räumlich bezogene Auflagen. Eine Überschrift gibt nämlich häufig nur den wesentlichen, nicht aber den vollständigen Inhalt einer Rechtsvorschrift wieder (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 21.4.2005, 3 Bs 40/05).

Der Hinweis des Antragstellers auf die vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zum Aufenthaltsgesetz und zum Freizügigkeitsgesetz/EU vom 22. Dezember 2004 gebietet ebenfalls nicht die von dem Antragsteller vertretene Auslegung des § 61 AufenthG. Dies gilt schon deshalb, weil es sich bei den Anwendungshinweisen lediglich um Verwaltungs- und keine Rechtsvorschriften handelt.

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das in § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG der Antragsgegnerin eingeräumte Ermessen nicht schrankenlos ist, sondern die Auflage ihre Rechtfertigung im Zweck des Gesetzes finden muss. Im vorliegenden Fall muss Berücksichtigung finden, dass der Antragsteller gegenwärtig in aufenthaltsrechtlicher Hinsicht (nur) im Besitz einer Duldung ist und damit lediglich seine Abschiebung zeitweise ausgesetzt wurde (vgl. 60a AufenthG).

Es dürfte auch nicht ermessensfehlerhaft sein, im vorliegenden Zusammenhang fiskalische Interessen der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Ermessenserwägungen anzuführen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 15.12.1989, BayVBl. 1990, S. 207 f.; OVG Hamburg, Beschl. v. 21.4.2004, 3 Bs 40/05).

Die Verfügung der Antragsgegnerin ist nach Überzeugung des Gerichts auch nicht unter dem Aspekt ermessensfehlerhaft, dass der Antragsteller sein Studium fast beendet hat. Auch nach seinen eigenen Angaben fehlen ihm noch die Diplomarbeit und ein Fachpraktikum zum Abschluss des Studiums. Dabei kann nicht davon ausgegangen werden, dass seine Diplomarbeit etwa schon angefertigt oder dass ihm bereits die Bearbeitung eines bestimmten Themas zugewiesen wäre - dies ist zumindest dem Vortrag des Antragstellers nicht zu entnehmen. Andererseits ist mit einer Beendigung des Strafverfahrens in absehbarer Zeit zu rechnen, weil der Vorsitzende des zuständigen Strafsenats für den Monat August 2005 sowohl die Plädoyers als auch die Urteilsverkündung in seiner Zeitplanung vorgesehen hat (telefonische Auskunft der Pressestelle des Hanseatischen Oberlandesgerichts). Selbst wenn sich diese Zeitplanung noch geringfügig verschieben sollte, ist nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller seine Diplomarbeit - unabhängig von der Absolvierung des Fachpraktikums - innerhalb weniger Wochen wird abschließen können.

Es kann dem Antragsteller auch nicht zugute kommen, dass seine Abschiebung aus Gründen der Strafverfolgung gegenwärtig (noch) nicht betrieben wird, denn diese Gründe sind vorübergehender Natur und haben keinen Einfluss auf seine aufenthaltsrechtliche Situation.

Auch der Einwand des Antragstellers, die Antragsgegnerin habe nicht berücksichtigt, dass er mit seiner Ehefrau, die mit einer Aufenthaltsgenehmigung ebenfalls... in ... studiere, und seinen beiden hier geborenen Kindern in einer familiären Lebensgemeinschaft lebe, führt nicht zu einem Erfolg des Antrags. Es ist nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin diese Erwägungen in ihre Ermessensausübung hätte einbinden müssen, denn die hier streitige Verfügung betrifft allein das Studierverbot. Es ist nicht nachvollziehbar, inwieweit davon der Schutzbereich des Art. 6 GG berührt sein könnte.

Schließlich ist davon auszugehen, dass der Antragsteller sich im vorliegenden Zusammenhang nicht mit Erfolg auf einen Vertrauensschutz berufen kann. Die Antragsgegnerin ist grundsätzlich befugt, anlässlich der Verlängerung einer Duldung (hier am 17. Januar 2005) erstmals eine belastende Nebenbestimmung beizufügen, die bislang nicht für notwendig erachtet wurde. Eine bisher einschränkungslose Erteilung einer Duldung allein schafft mithin keinen Vertrauensschutz dahingehend, auch künftig Duldungen ohne Einschränkungen zu erhalten (vgl. BVerwG, Beschl.v. 14.10.1981, Buchholz 204.24, § 17 AuslG 1965 Nr. 5), sodass der Antragsteller allein aus dem Umstand, dass er bis zum 18. Januar 2005 einschränkungsfreie Duldungen erhalten hatte, nichts zu seinen Gunsten herleiten kann.