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Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 18.11.2004 - 1 C 31.03 - asyl.net: M6766
https://www.asyl.net/rsdb/M6766
Leitsatz:

Das Kind ausländischer Eltern erwirbt die deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt im Inland nach § 4 Abs. 3 Satz 1 StAG auch dann, wenn der rechtmäßige gewöhnliche Aufenthalt eines Elternteils in Deutschland seit acht Jahren nur deshalb kurzfristig unterbrochen war, weil er den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung (hier: Antrag auf unbefristete Aufenthaltserlaubnis) um wenige Tage verspätet gestellt hat. (amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: D (A), Staatsangehörigkeit, Staatsangehörigkeitserwerb durch Geburt im Inland, Kinder, Gewöhnlicher Aufenthalt, Rechtmäßiger Aufenthalt, Aufenthaltsunterbrechung, Feststellungsklage
Normen: AuslG § 69 Abs. 3 S. 1; AuslG § 85 Abs. 1; AuslG § 89 Abs. 3; AuslG § 97; StAG § 4 Abs. 3 S. 1; SGB I § 30 Abs. 3 S. 2; AG-StlMindÜbK Art. 2 S. 1
Auszüge:

Die kurzfristige Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des gewöhnlichen Aufenthalts der Mutter der Kläger aufgrund des nur wenige Tage verspätet gestellten Antrags auf Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis ist indessen entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts unschädlich. Sie führt nicht zum Ausschluss des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit durch die Kläger nach § 4 Abs. 3 Satz 1 StAG.

Zunächst schließt der Wortlaut des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StAG ("seit acht Jahren ...") - ebenso wie im Falle des § 85 Abs. 1 Satz 1 AuslG - Unterbrechungen der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts nicht zwingend aus. Davon ist der Senat auch hinsichtlich des ähnlich gefassten Art. 2 Satz 1 AG-StlMindÜbK ausgegangen, der auf einen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt "seit fünf Jahren" abstellt (Urteil vom 28. September 1993 - BVerwG 1 C 1.93 - Buchholz 133 AG-StlMindÜbK Nr. 2 = lnfAuslR 1994, 35).

Andererseits enthält das Staatsangehörigkeitsgesetz in der hier maßgeblichen zum Zeitpunkt der Geburt der Kläger geltenden Fassung weder in § 4 Abs. 3 StAG noch an anderer Stelle eine ausdrückliche Bestimmung, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen Unterbrechungen des nach dieser Bestimmung erforderlichen achtjährigen rechtmäßigen Aufenthalts unschädlich sind, wie dies § 89 Abs. 3 AuslG vorsieht. Nach dieser Vorschrift bleiben Unterbrechungen der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts außer Betracht, wenn sie darauf beruhen, dass der Ausländer nicht rechtzeitig die erstmals erforderliche Erteilung oder die Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung beantragt hat oder nicht im Besitz eines gültigen Passes war (vgl. zur Rechtslage ab 1. Januar 2005, § 12 b Abs. 3 StAG i.d.F. von Art. 5 Nr. 8 des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004). Eine unmittelbare Anwendung dieser für die erleichterte Einbürgerung nach dem Siebten Abschnitt des Ausländergesetzes geltenden Bestimmung auf den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nach § 4 Abs. 3 Satz 1 StAG scheidet schon aus gesetzessystematischen Gründen aus, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat. Ob eine entsprechende Anwendung des § 89 Abs. 3 AuslG in Betracht kommt (dafür Berlit, in GK-StAR, § 89 AuslG Rn. 4; a.M.: Renner in Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, § 4 StAG Rn. 77; Marx, in GK-StAR, § 4 StAG Rn. 220; Makarov/v. Mangoldt, Deutsches Staatsangehörigkeitsrecht; § 89 AuslG Rn. 4), kann offen bleiben.

Der erkennende Senat entnimmt aber Sinn und Zweck des § 4 Abs. 3 Satz 1 StAG in Verbindung mit der § 89 Abs. 3 AuslG zugrunde liegenden Wertung, dass jedenfalls kurzfristige Unterbrechungen der Rechtmäßigkeit des gewöhnlichen Aufenthalts im Inland, wie sie im vorliegenden Fall gegeben sind, der Erfüllung der achtjährigen Aufenthaltsdauer nicht entgegenstehen. § 4 Abs. 3 Satz 1 StAG zielt darauf ab, den im Bundesgebiet aufwachsenden Kindern ausländischer Eltern die deutsche Staatsangehörigkeit frühzeitig zuzuerkennen, um ihre Integration in die deutschen Lebensverhältnisse zu verbessern (vgl. Entwurfsbegründung, BTDrucks 14/533, S. 14). Die gesetzgeberische Erwartung, das Kind werde sich in die hiesigen Lebensverhältnisse einleben können, gründet auf der gelungenen Integration des maßgeblichen Elternteils. Diese wird wiederum aus dem Zeitraum des rechtmäßigen Inlandsaufenthalts abgeleitet, der sich zudem rechtlich verfestigt haben muss (vgl. auch - mit abweichendem Ergebnis - Renner in Hailbronner/Renner, a.a.O., Rn. 78). Insofern besteht - wenn auch mit Einschränkungen im Hinblick auf die zusätzlichen gesetzlichen Anforderungen - eine Parallele zu der ebenfalls auf einen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt seit acht Jahren abstellenden Vorschrift des § 85 Abs. 1 Satz 1 AuslG (vgl. auch oben 1.). Der Gesetzgeber ging nämlich davon aus, dass aus der Erfüllung der in dieser Vorschrift aufgeführten Voraussetzungen generell auf das Vorhandensein einer Integration in die deutschen Lebensverhältnisse geschlossen werden kann (vgl. Beschluss vom 29. September 1995 - BVerwG 1 B 236.94- Buchholz 402.240 § 89 AuslG Nr. 1 = NVwZ 1996, 717).

Der erwähnte Zweck des Erfordernisses eines achtjährigen rechtmäßigen Aufenthalts in § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StAG, auf der Grundlage der gelungenen Integration - des maßgeblichen Elternteils die Integrationschancen seines im Inland geborenen Kindes zu verbessern, wird nicht bereits dann verfehlt, wenn der Elternteil - wie im vorliegenden Fall - bei einem insgesamt mehr als achtjährigen rechtmäßigen Aufenthalt lediglich die nicht zweifelhafte Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis einige Tage verspätet beantragt und erwirkt. Dies entspricht vielmehr der § 89 Abs. 3 AuslG zugrunde liegenden Wertung, die hier - zumal angesichts der teilweisen Parallelität der Integrationsanforderungen im Fall des § 85 Abs. 1 Satz 1 AuslG als der Bezugsnorm des § 89 Abs. 3 AuslG einerseits und des § 4 Abs. 3 Satz 1 StAG andererseits - zu berücksichtigen ist (vgl. ferner die in Ziff. 4.3.1.3 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Staatsangehörigkeitsrecht vom 13. Dezember 2000, GMBl 2001, S. 122 - StAR-VwV - vorgesehene Heranziehung von § 89 Abs. 1 AuslG bei Unterbrechungen des gewöhnlichen Aufenthalts nach § 4 Abs. 3 Satz 1 StAG).

Der Umstand, dass § 4 Abs. 3 Satz 1 StAG - anders als § 85 Abs. 1 AuslG - den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes vorsieht, führt zu keinem anderen Ergebnis. Zwar ist der Beklagten darin zuzustimmen, dass in Fällen eines gesetzlichen Erwerbstatbestands ein besonderes Bedürfnis für klare Erwerbsvoraussetzungen besteht. Diese Zielsetzung hindert es aber nicht, die aufgrund eines um wenige Tage verspäteten Antrags entstandene Unterbrechung des rechtmäßigen Aufenthalts im Sinne von § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StAG ausnahmsweise als unschädlich anzusehen.