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Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 12.04.2005 - 1 C 3.04 - asyl.net: M6771
https://www.asyl.net/rsdb/M6771
Leitsatz:
Schlagwörter: Aserbaidschan, Armenier, Berg-Karabach, Rechtsschutzinteresse, Zuwanderungsgesetz, Gesetzesänderung, Abschiebungsandrohung, Zielstaatsbezeichnung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Die Revision der Kläger ist begründet. Der Berufungsbeschluss beruht auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO).

1. Entgegen der vom Berufungsgericht vertretenen Auffassung ist die Klage zulässig. Insbesondere fehlt den Klägern nicht das für ihr Begehren auf Zuerkennung von Abschiebungsschutz wegen politischer Verfolgung in Aserbaidschan erforderliche Rechtsschutzinteresse.

a) Rechtsgrundlage für dieses Begehren ist nunmehr nach In-Kraft-Treten des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl I S. 1950) § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Diese Bestimmung ist mit Wirkung vom 1. Januar 2005 an die Stelle des bisher einschlägigen § 51 Abs. 1 AuslG getreten (Art. 15 Abs. 3 Zuwanderungsgesetz). Da das Berufungsgericht, wenn es jetzt entschiede, diese Rechtsänderung mangels besonderer Übergangsregelungen zu beachten hätte (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG), ist die neue Rechtslage auch für die Entscheidung des Revisionsgerichts maßgeblich (stRspr, vgl. Urteile vom 17. Dezember 1976 - BVerwG 7 C 69.74 - BVerwGE 52, 1, 3 und vom 12. Juli 2001 - BVerwG 3 C 14.01 - NVwZ-RR 2002, 93 = Buchholz 442.10 § 65 StVG Nr. 1).

b) Ein Rechtsschutz - bzw. Sachentscheidungsinteresse an der Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich Aserbaidschans kann den Klägern nicht bereits deshalb abgesprochen werden, weil sich die (negativen) Feststellungen zu § 51 Abs. 1 und § 53 AuslG in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes nicht auf Aserbaidschan beziehen und den Klägern in dem Bescheid eine Abschiebung nur in die Russische Föderation oder nach Armenien, nicht aber nach Aserbaidschan angedroht worden ist. Der gegenteiligen, vom Berufungsgericht und einzelnen weiteren Oberverwaltungsgerichten vertretenen Auffassung (vgl. etwa OVG Magdeburg, Urteil vom 2. April 2003 - A 3 S 567/99 -; VGH Mannheim, Beschluss vom 1. März 2004 - A 13 S 38/03 -; sämtlich nicht veröffentlicht; a.A. OVG Hamburg, Beschluss vom 11. Oktober 2001 - 2 Bs 4/00.A - InfAuslR 2002, 268) ist nicht zu folgen. Dies hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 8. Februar 2005 (BVerwG 1 C 29.03 - zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen) entschieden. Denn über den Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG kann - anders als über Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG - grundsätzlich nur einheitlich entschieden werden, wobei sämtliche Staaten, deren Staatsangehörigkeit der Betroffene möglicherweise besitzt oder in denen er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, in die Prüfung einzubeziehen sind. Der von den Klägern begehrte asylrechtliche Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG ist gemäß §§ 3, 4 AsylVfG mit der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach der Genfer Flüchtlingskonvention verbunden und kann daher grundsätzlich nur bei einer Verfolgung durch den Staat der Staatsangehörigkeit oder - bei Staatenlosen - durch den Staat des gewöhnlichen Aufenthalts zugesprochen werden. Nur wenn diese Staaten keinen Schutz gewähren, kommt eine Flüchtlingsanerkennung durch die Beklagte in Betracht. Das wiederum hat zur Folge, dass die Zulässigkeit des Rechtsschutzbegehrens eines Asylbewerbers nach § 60 Abs. 1 AufenthG nicht davon abhängig gemacht werden darf, ob das Bundesamt Feststellungen zu Abschiebungsverboten hinsichtlich dieser vorrangig zur Schutzgewährung verpflichteten Staaten getroffen oder ihm die Abschiebung in diese Staaten angedroht hat. Daraus folgt, dass ein Rechtsschutzinteresse der Kläger an der begehrten Feststellung zu § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich Aserbaidschans, als dessen Staatsangehörige sie sich betrachten, nicht verneint werden kann.