Keine Gruppenverfolgung von Angehörigen und Anhängern von Religionsgemeinschaften.
Keine Gruppenverfolgung von Angehörigen und Anhängern von Religionsgemeinschaften.
(Leitsatz der Redaktion)
Der Beigeladene hat keinen Anspruch auf die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) vom 30.7.2004 (BGBl I S. 1950) vorliegen.
Der Beigeladene konnte dem Senat nicht durch einen substanziierten, nachvollziehbaren bzw. widerspruchsfreien Sachvortrag die Überzeugung vermitteln, dass er vor der Ausreise aus Äthiopien politische Verfolgung wegen seiner politischen Überzeugung erlitten hat oder ihm eine solche mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit unmittelbar drohte.
Im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt am 18. Oktober 1995 gab der Beigeladene unter anderem an, man habe ihm Schwierigkeiten gemacht, weil er angeblich Mitglied "der amharischen Partei" sei. Er sei daher ein erstes Mal am 26. Dezember 1993 bis 2. Januar 1994 in Wukro/Provinz Tigray festgehalten worden. Hierzu gab der Kläger in der mündlichen Verhandlung am 7. Dezember 1998 gegenüber dem Verwaltungsgericht an, er habe vor der Festnahme an einer von World Vision organisierten Veranstaltung in einer Highschool teilnehmen sollen; diese Veranstaltung habe nicht stattgefunden. In der Haft sei er zunächst verwarnt, danach freigelassen worden. Gegenüber dem Senat erklärte der Beigeladene, sie seien in Wukro verhaftet worden, weil dort die orthodoxe Kirche, die die Regierung unterstützt habe, stark vertreten gewesen sei. Man habe erfahren wollen, ob sie der politischen Organisation der Amharen angehörten.
Der Senat schließt aus, dass staatliche Einrichtungen gegen den Beigeladenen in Anknüpfung an dessen Funktion als Prediger bzw. Sänger vorgegangen sind. Zur damaligen Zeit war in der äthiopischen Verfassung die Religionsfreiheit garantiert; nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes wurde die Religionsfreiheit in der Staatspraxis eingehalten. Dem Auswärtigen Amt lagen keine Erkenntnisse vor, wonach Personen in Äthiopien, darunter auch Angehörige der protestantischen Kirchen und der Pfingstgemeinden, auf Grund ihres Glaubens einer staatlichen Verfolgung unterzogen wurden (vgl. z.B. Auswärtiges Amt an VG Kassel vom 20.10.1997). Die in Äthiopien relativ bedeutende Mekane-Yesu-Kirche, die dem lutherischen Weltbund angehört, wurde in ihrer Arbeit nicht behindert; ihre Mitglieder wurden nicht verfolgt (Auswärtiges Amt a.a.O.).
Auch das Institut für Afrika-Kunde (an VG Ansbach vom 26.8.1997) bekundete, dass die 1995 in Kraft getretene Verfassung eine strenge Trennung von Religion und Politik und die Gewährung der Freiheit der Religionsausübung vorsieht; staatliche Maßnahmen richteten sich zu der hier angesprochenen Zeit gegen militante religiöse Gruppen oder dienten der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung wie z.B. dem Verbot einer Massenevangelisierung. Der Grund hierfür lag in befürchteten gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern unterschiedlicher Glaubensrichtungen. Seit dem Machtwechsel im Jahre 1991 konnten christliche Kirchen und Religionsgemeinschaften, die früher nur heimlich und unter der Gefahr der Inhaftierung von Teilnehmern u.a. Gottesdienste, Gebetsstunden und dgl. abhalten konnten, Gebetshäuser einrichten, öffentlich zugängliche Gottesdienste abgehalten und ihre Glaubensvorstellungen (z.B. durch Schriften) verbreiten (Institut für Afrika-Kunde vom 26.8.1997 a.a.O.). Weil die von World Vision geplante Veranstaltung nicht abgehalten werden konnte, ist nicht erkennbar, wie örtliche Amtswalter auf den Beigeladenen aufmerksam werden konnten und ihn verhaftet haben sollten. Der Beigeladene hatte bis dahin im Ort Wukro weder als (religiöser) Sänger oder Prediger gewirkt, noch erkennbar Kritik an der äthiopischen Regierung geübt oder die 1991 eingeleitete Regionalisierung nach ethnischen Gesichtspunkten verurteilt. Es liegt daher nahe, dass eine Festnahme des Klägers, sollte sie sich tatsächlich zugetragen habe, allenfalls aus ordnungs- und sicherheitsrechtlichen Erwägungen erfolgt ist, und schon deshalb nicht die Zielrichtung eines asylrelevanten Eingriffs hatte. Der Senat hält das Vorbringen des Beigeladenen zu den fluchtbegründenden Umständen im Übrigen nicht für glaubhaft. Der Beigeladene hat angegeben, er sei am Nachmittag des 23. Juli 1995 im Rahmen einer von den Pfingstgemeinden und verschiedenen evangelischen Kirchen organisierten Veranstaltung im Fußballstadion in Hosa ana vor etwa 20 000 bis 25 000 Teilnehmern aufgetreten; er habe gesungen und gepredigt.
Nach dem Ende der Veranstaltung sei er - auf dem Weg in das Hotel - von zwei Männern in ziviler Kleidung festgenommen, in ein Gebäude mit U-förmigem Grundriss gebracht und dort von zwei bewaffneten Uniformierten verhört worden. Nach den Verhören sei er etwa vier Wochen festgehalten worden, bis es ihm - zusammen mit einem ebenfalls inhaftierten Soldaten - gelungen sei, aus dem Gewahrsam zu fliehen.
Der Senat hat eine Auskunft des Auswärtigen Amtes u.a. zur Frage eingeholt, ob zur fraglichen Zeit im Fußballstadion von Hosa ana eine von verschiedenen Freikirchen, "der evangelischen Kirche und den Pfingstgemeinden organisierte Veranstaltung mit" etwa 23000 bis 25000 Teilnehmern stattgefunden hat. Das Auswärtige Amt antwortete unter dem 13. März 2002, dass keine überprüfbaren Informationen hinsichtlich des Gewahrsams des Beigeladenen vom 23. Juli bis 3. September 1995 in Hosa ana vorlägen, die Behauptungen des Beigeladenen bezüglich seiner Aktivitäten äußerst unwahrscheinlich erschienen und auch keine überprüfbaren Informationen hinsichtlich einer anderen Veranstaltung in diesem Ort mit über 20000 Teilnehmern und dem vorgeblichen Auftritt des Beigeladenen vorlägen.
Die Angaben des Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung am 11. Januar 2005 zum Gewahrsam in Hosa ana bestärken die Annahme, dass er nicht als Gefangener im Sinne einer "Zugriffswillkür" staatlichen Sanktionen ausgesetzt war. Selbst wenn zu Gunsten des Beigeladenen davon ausgegangen wird, dass er keine Ortskunde über Hosa ana besaß, so hätte ihm wohl auffallen müssen, ob es sich bei dem Bauwerk mit U-förmigem Grundriss (auf diese Aussage legte der Beigeladene großen Wert), in das er gebracht wurde, dem Typus nach eher um ein Verwaltungsgebäude (Kebele) oder tatsächlich um ein Gefängnis gehandelt hat. Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes (z.B. an das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht vom 11.3.1996) gab es zwar Gefängnisse in den jeweiligen Kebele; die Strafverfolgung durch eine Kebele richtete sich aber auf die Ahndung weniger bedeutender Strafdelikte wie Diebstahl oder Körperverletzung. Während unter dem Mengistu-Regime noch politische Gegner auf Kebele-Ebene festgehalten worden sind (vgl. Auswärtiges Amt vom 11.3.1996 a.a.O.), wurden in der hier maßgeblichen Zeit politische Straftäter in Gefängnissen untergebracht (vgl. z.B. Auswärtiges Amt Lagebericht vom 4.4.1996).
Selbstgeschaffene Nachfluchtgründe kann der Beigeladene nicht mit Erfolg geltend machen. Er hat während seines Aufenthalts in der Bundesrepublik zwar zahlreiche Lieder religiösen Inhalts, darunter zehn Lieder mit dem Titel "Lass einmal sprechen" gedichtet. Seine Lieder sind den Angaben des Beigeladenen zufolge auf CD, Musikcassetten und Video aufgenommen und auch an die äthiopische Gemeinde in Atlanta/USA verschickt worden. Ausweislich der vorliegenden Bescheinigungen der Freien Christengemeinde e. V. in Nürnberg (Gottesdienste und aktive Mitgliedschaft betreffend), der Äthiopischen Christen Gemeinde e. V. und des Diakonischen Werks der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern e. V. ist der Beigeladene unter den Äthiopiern als religiöser Sänger bekannt.
Im Hinblick auf diese künstlerische Betätigung drohen dem Beigeladenen aber im Falle der Rückkehr nach Äthiopien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Sanktionen asylerheblichen Gewichts.
Wird schwerpunktmäßig auf den religiösen Hintergrund der Lieder und Gedichte, die der Beigeladene in Deutschland verfasst hat, abgestellt, besteht keine Gefahr einer politischen Verfolgung. Nach den Auskünften des Auswärtigen Amtes u.a. (Lageberichte vom 3.4.2000, vom 15.8.2001, vom 15.1.2003, vom 14.10.2003 sowie vom 13.5.2004) findet in Äthiopien keine systematische Verfolgung religiöser Gruppen und deren Anhänger statt. Die Religionsfreiheit ist verfassungsmäßig garantiert und auch in der Praxis gewährleistet. Zwischen den kirchlichen Gruppen bestehen zwar Verwerfungen, die zur Spaltung und aktiven Abwerbung von Auslandsgemeinden geführt haben. Asylrelevante Faktoren sind bisher weder in den Beziehungen der Religionsgemeinschaften, zueinander noch im Verhältnis der Regierung mit Letzteren ersichtlich. Das Auswärtige Amt bestätigt, dass eine Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die nach dem Merkmal Religion diskriminiert, nicht bekannt sei. Dem Auswärtigen Amt liegen darüber hinaus keine Erkenntnisse vor, wonach Personen auf Grund ihres Glaubens in Äthiopien einer staatlichen Verfolgung unterzogen wurden.
In der Gesamtschau ist festzustellen, dass eine (Gruppen-) Verfolgung der Angehörigen und der Anhänger von Religionsgemeinschaften in Äthiopien nicht stattfindet. Der Beigeladene kann sich nicht mit Erfolg auf eine aktuelle Gefährdung im Herkunftsland in Anknüpfung an seine Aktivitäten als Sänger, Prediger und Verfasser von Liedern wegen eines religiösen Inhalts berufen.
Dem Beigeladenen drohen auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Sanktionen wegen eines kritischen Inhalts der im Rahmen seiner Auftritte dargebotenen Lieder, die Weitergabe der von ihm produzierten Kassetten oder der Publikation seiner Gedichte. Die im Wesentlichen künstlerische Betätigung des Beigeladenen stellt sich nicht als Kritik an der Regierungspolitik in Äthiopien dar. Das Vorgehen der äthiopischen Regierung gegen politische Gegner hängt im Wesentlichen davon ab, ob eine Organisation und deren Mitglieder zur Durchsetzung ihrer oppositionellen Zielsetzung den Einsatz von Gewalt oder militärische Aktionen befürworten und ob ein Mitglied einer solchen Organisation eine führende oder gar herausragende Stellung einnimmt. Gefährdet sind daher in besonderem Maße prominente Führer gewaltbereiter Organisationen. Denn Teile der politischen Opposition sehen den bewaffneten Kampf auch derzeit noch als Mittel der politischen Auseinandersetzung an und setzen ihn fort. Das mag letztendlich ein Grund dafür sein, dass ungeachtet der Garantie der Menschenrechte in der äthiopischen Verfassung Menschenrechtsverletzungen vorkommen, die wegen unzureichender Verwaltung und Justiz nicht unterbunden oder geahndet werden. Zusammenfassend nimmt der Senat nicht an, dass die derzeitige Regierung Menschenrechtsverletzungen als Mittel der politischen Kontrolle und Unterdrückung systematisch einsetzt. Der Beigeladene ist weder Mitglied noch Sympatisant einer exilpolitischen Organisation; er tritt im Rahmen von Veranstaltungen religiöser Vereinigungen auf. Seine Auftritte tragen keine oppositionellen oder exilpolitischen Züge.