OVG Saarland

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Zitieren als:
OVG Saarland, Urteil vom 16.12.2004 - 2 R 1/04 - asyl.net: M6793
https://www.asyl.net/rsdb/M6793
Leitsatz:

Da die einfache Mitgliedschaft in der (ehemaligen) HADEP schon nicht zu Repressionsmaßnahmen führt - anderes mag für Funktionäre gelten -, sind bloße Sympathisanten jedenfalls nicht gefährdet. (Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Türkei, Kurden, Aleviten, HADEP, Sympathisanten, PKK, Verdacht der Unterstützung, Festnahme, Misshandlungen, Glaubwürdigkeit, Gruppenverfolgung, Interne Fluchtalternative, Existenzminimum, Familienangehörige, PKK, Asylberechtigte, Sippenhaft, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Exilpolitische Betätigung, Demonstrationen, Kurdischer Kulturverein, Situation bei Rückkehr, Grenzkontrollen, Tunceli, Familienangehörige, Strafnachrichtenaustausch
Normen: AuslG § 51 Abs. 1
Auszüge:

Dem Kläger steht zunächst kein Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 AuslG zu.

Zunächst ist nicht glaubhaft, dass der Kläger wegen eigener politischer Tätigkeit Verfolgung erlitten hat.

Es kann zugunsten des Klägers davon ausgegangen werden, dass er tatsächlich in der angegebenen Weise Kontakte zur HADEP hatte. Denn in jedem Fall belegt schon seine eigene Erklärung, er sei wegen seiner Aktivitäten für die HADEP von den Sicherheitskräften mehrfach angesprochen und aufgefordert worden, damit aufzuhören, unternommen hätten sie dagegen aber nichts, dass diese ihnen - selbst wenn sie ihn tatsächlich beobachtet haben sollten - keine Bedeutung beimaßen. Wegen dieser relativ belanglosen Aktivitäten hatte der Kläger weder politische Verfolgung im Heimatland vor seiner Ausreise noch hätte er sie im Falle seiner Rückkehr - auch nach dem Verbot der Partei am 13.3.2003 - zu befürchten. Da die einfache Mitgliedschaft in der (ehemaligen) HADEP schon nicht zu Repressionsmaßnahmen führt - anderes mag für Funktionäre gelten -, sind bloße Sympathisanten jedenfalls nicht gefährdet.

Auch wegen einer tatsächlichen Unterstützung der PKK drohte und droht dem Kläger keine politische Verfolgung, denn sein Vortrag ist insofern nicht glaubhaft...

Es bestehen angesichts der vorgenannten zahlreichen Widersprüche und Ungereimtheiten im Vortrag des Klägers durchgreifende Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit insgesamt; der Senat konnte sich nicht von der Wahrheit des geltend gemachten Verfolgungsschicksals überzeugen. Es kann daher auch dahinstehen, inwieweit das beim Bundesgrenzschutz erstellte Protokoll verwertbar wäre, nach dem der Kläger im Widerspruch zu seinem Asylvortrag angab, er sei nach Istanbul gefahren, um dort zu arbeiten, und habe dann eine Gelegenheit zur Ausreise nach Deutschland ergriffen.

Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass er mit Blick auf die gegenüber dem Senat als Ausreisegrund genannten Drohungen - diese als wahr unterstellt - insoweit in einer konkreten Gefährdungssituation ausreiste, denn diese Drohungen dienten ebenso wie die Schikanen offensichtlich der Verunsicherung und Einschüchterung des Klägers und der übrigen von den Äußerungen Betroffenen, während keine konkreten Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, dass sie ernstzunehmende Ankündigungen asylerheblicher Maßnahmen zum Inhalt hatten.

Wenngleich allgemein gemäß der Erkenntnislage des Senats ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, dass die Familie des Klägers einschließlich seiner Person insbesondere wegen des als PKK-Kämpfer 1993 erschossenen Bruders A und seiner beiden nach Deutschland ausgereisten Brüder häufig verhört, beschimpft, bedroht und auf andere Weise belästigt wurde und dass er ebenso wie die anderen Bewohner der heimatlichen Region etlichen Schikanen und sonstigen Belästigungen von staatlicher Seite ausgesetzt war, so geht aus seinem Vortrag nicht glaubhaft hervor, dass diese Maßnahmen asylrelevante Ausmaße angenommen und beim Kläger unmittelbar zur Ausreise geführt hätten.

Der Kläger hat nach dem Dargelegten auch unter dem Aspekt der Sippenhaft, die es im eigentlichen Sinne in der Türkei nicht gibt, Familienangehörige - etwa von vermeintlichen oder tatsächlichen PKK-Mitgliedern oder Sympathisanten - werden allerdings zu Vernehmungen geladen, z.B. um über den Aufenthalt von Verdächtigen befragt zu werden, dabei sind Übergriffe möglich - keine Vorverfolgung erlitten.

Auch unter dem geltend gemachten Aspekt der Gruppenverfolgung - sei es als Alevit, sei es als kurdischer Volkszugehöriger - hat er sein Heimatland aus Furcht vor Verfolgung nicht verlassen müssen.

Zum einen gab es weder zum Zeitpunkt der Ausreise des Klägers noch gibt es aus heutiger Sicht Anhaltspunkte für eine (Gruppen-)Verfolgung von Aleviten in der Türkei.

Zum anderen unterliegen Kurden nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes zwar möglicherweise in den - damaligen - Notstandsprovinzen einer unmittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung, ihnen steht jedoch, wenn sie politisch nicht auffällig geworden sind, im Westen der Türkei, insbesondere in den Großstädten dieses Landesteils, eine ihre Anerkennung als Asyl- und Abschiebungsschutzberechtigte unter diesem Aspekt ausschließende Fluchtalternative offen. Auch das in der Folge der Inhaftierung und Verurteilung des PKK-Chefs Abdullah Öcalan in der Türkei festzustellende härtere Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte gegen kurdische Volkszugehörige auch im Westen der Türkei - verbunden mit der Duldung von Übergriffen Dritter gegenüber Kurden - hat sich danach erkennbar auf Demonstranten und sonstige Aktivisten für die kurdische Sache bezogen und nicht ohne Unterschied alle Kurden allein in Anknüpfung an ihre kurdische Volkszugehörigkeit betroffen.

Dass es dem Kläger, der (...) ausweislich des Protokolls der zweiten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht bereits (...) in (...) gearbeitet hatte und heimkehrte, nachdem sein Arbeitgeber ihm gekündigt hatte, im Zeitpunkt seiner Ausreise nach Deutschland nicht möglich und zumutbar gewesen wäre, sich etwa im westlichen Bereich der Türkei, insbesondere in(...) oder auch in (...), wo seine Mutter einen weiteren Wohnsitz hat - und sie nunmehr auch mit einem Bruder lebt -, niederzulassen, ist nicht ersichtlich, zumal der Kläger nicht landesweit gesucht wurde. Auch hätte der vorgetragene Umstand, dass er aus einer wirtschaftlich gut gestellten Familie stammt, ihm ein Fußfassen im Westen zweifellos erleichtert. Umstände, die in Frage stellen könnten, dass der Kläger gegebenenfalls in der West-Türkei wirtschaftlich ein Leben oberhalb des Existenzminimums hätte führen können und nunmehr auch führen könnte, sind weder substantiiert vorgetragen noch angesichts der persönlichen Verhältnisse des noch jungen Klägers, der türkisch spricht, ersichtlich.

Es ist auch nicht feststellbar, dass der Kläger gehindert wäre, Gebiete der inländischen Fluchtalternative zu erreichen, denn ihm droht nicht beachtlich wahrscheinlich Folter bei seiner Einreise. Nach der Rechtsprechung des Gerichts werden zurückkehrende Asylbewerber nicht routinemäßig - das heißt ohne Vorliegen von Besonderheiten, allein aufgrund eines längeren Auslandsaufenthaltes - bei der Wiedereinreise in die Türkei inhaftiert und asylerheblichen Misshandlungen bis hin zur Folter ausgesetzt. Kurdischen Volkszugehörigen türkischer Staatsangehörigkeit, bei denen festzustellen ist, dass sie landesweit gesucht werden oder sich exilpolitisch exponiert haben, droht jedoch nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts zu deren Änderung der Senat trotz der von der Türkei zwischenzeitlich angegangenen Reformen, die aber die Situation noch nicht entscheidend unter rechtsstaatlichen Aspekten verbessert haben, keinen Anlass sieht, weshalb der gestellte Hilfsbeweisantrag des Klägers gegenstandslos ist - bei ihrer Rückkehr in die Türkei politische asylrelevante Verfolgung in Gestalt von Misshandlung in Polizeigewahrsam. Dabei ist es eine Frage der Einzelfallwertung, ob für den jeweiligen asylsuchenden Ausländer nach den Umständen seiner Betätigung mit dem erforderlichen Wahrscheinlichkeitsgrad angenommen werden kann, dass er sich derart exilpolitisch exponiert hat, dass erwartet werden kann, seine eigene Betätigung sei von der türkischen Auslandsbeobachtung als türkeikritisch - das heißt als kurdisch-separatistisch oder links-extremistisch - angesehen und erfasst worden, sowie ob auch eine genügende Identifizierung als beachtlich wahrscheinlich erscheint. Die bloße Teilnahme an exilpolitischen kurdischen Veranstaltungen genügt ebenso wenig für die Annahme einer exponierten exilpolitischen Betätigung wie eine Bildberichterstattung in Medien, von denen angenommen werden kann, dass sie von der türkischen Auslandsbeobachtung beobachtet werden. Etwas anderes hat das Gericht in diesen Fällen nur dann angenommen, wenn die exilpolitische Betätigung verbunden war mit aus der Masse exilpolitischer Betätigungen herausragenden, publizitätswirksamen Aktionen und im Einzelfall außerdem bei der Bildberichterstattung über das jeweilige Ereignis der einzelne Teilnehmer wegen der Überschaubarkeit des Teilnehmerkreises wenigstens durch die Bildwiedergabe deutlich erkennbar gewesen ist und durch den Zusammenhang zwischen Veranstaltung und einer die Identifizierbarkeit begünstigenden Bildberichterstattung deutlich geworden ist, dass er sich in eigener Person eindeutig türkeikritisch betätigt und durch diese Betätigung die Türkei und damit das Türkentum oder die türkische Politik im Ausland kritisiert beziehungsweise in Misskritik gebracht hat.

Dass der Kläger wegen seiner exilpolitischen Aktivitäten asylerhebliche Maßnahmen bei seiner Rückkehr zu erwarten hätte, ist jedoch nicht wahrscheinlich. Aus seiner Abbildung in der Özgür Politika vom 25.9.200, in der er nach Auffassung des Senats schon nicht eindeutig zu erkennen und zudem ohne Namen als einfacher Teilnehmer abgebildet ist, kann er für eine Rückkehrgefährdung nichts herleiten. Im Kurdischen Kulturverein A-Stadt, von dessen Beobachtung durch die türkischen Sicherheitsbehörden ausgegangen werden kann, ist der Kläger einfaches Mitglied. Dass er für diesen Verein, wie er mit Schriftsatz vom 10.9.2002 vortragen ließ, Eintrittskarten für Veranstaltungen vertreibt und Kurden anspricht, in den Verein zu kommen und sich fortzubilden, sowie die Zeitungen Serxwebun und Ciwan verkauft, an Kundgebungen teilnimmt und dann für die Transparente zuständig ist, vermag ihm keine hervorgehoben erscheinende Position im Kreis der exilpolitisch Tätigen zu verschaffen.

Entgegen seiner Annahme drohen dem Kläger auch nicht wegen seiner Herkunft aus der Provinz Tunceli beachtlich wahrscheinlich asylrelevante Maßnahmen bei seiner Einreise. Soweit Kaya die These aufgestellt hat, dass mit verschärften Einreisekontrollen zu rechnen sei, wenn die Bedeutung des Heimatortes für den Kampf Verdacht errege, hat die zur Hinterfragung dieser These durchgeführte Beweiserhebung des Verwaltungsgerichts Sigmaringen zu keiner Bestätigung geführt.

Der Kläger ist nach Überzeugung des Senats auch nicht wegen seiner Familie einer beachtlich wahrscheinlichen Foltergefahr bei seiner Einreise in die Türkei ausgesetzt. Dass er wegen seines als Asylberechtigter anerkannten, mittlerweile in Deutschland eingebürgerten Bruders nichts zu befürchten hat, ergibt sich schon daraus, dass dieser selbst eine Besuchsreise in die Türkei unternahm und dabei offensichtlich keine nennenswerten Belästigungen erfuhr.

Der Senat hält auch keine Gefährdung des Klägers wegen seines in Deutschland wegen räuberischer Erpressung zugunsten der PKK verurteilten Bruders M mit Blick auf den nach wie vor zwischen Deutschland und der Türkei gepflegten Strafnachrichtenaustausch für wahrscheinlich.

Da der Bruder rechtskräftig verurteilt ist, unterfällt er dem genannten Strafnachrichtenaustausch.

Dass die Türkei von der Tatsache der Verurteilung des Bruders des Klägers in Deutschland Kenntnis hat, ist somit anzunehmen. Auch ist nahe liegend, dass auf diese Tatsache bei der Einreisekontrolle im Wege der EDV zugegriffen werden kann. Ferner ist anzunehmen, dass eine familiäre Zuordnung dieses Bruders und des Klägers zu einer Familie bei der Einreise ohne weiteres bei Kenntnis der EItern und des Geburtsortes - anders als im Falle seines Cousins, der Guerilla-Kämpfer ist - möglich ist. Der Senat geht gleichwohl davon aus, dass der Kläger

einer - möglicherweise auch strengen - Befragung, nicht aber einer Folter unterzogen wird. Allerdings dürfte dabei zu berücksichtigen sein, dass insofern - weitere - Erkenntnisse hinsichtlich dieses Bruders in Frage stehen, die sich die Türkei hinsichtlich der Straftat grundsätzlich auch offiziell in Deutschland hätte besorgen können, wenn sie daran interessiert gewesen wäre, und die sie zudem nach Meinung des Klägers schon durch den mittlerweile in die Türkei zurückgekehrten Y A erlangt hat, der als Mitglied des Kurdischen Vereins der Polizei gegenüber Angaben zur Person und zu den Aktivitäten des Bruders des Klägers gemacht habe. Da der Bruder Abschiebungsschutz genießt, kann der Kläger, der nach den Feststellungen des Senats nicht vorverfolgt ausgereist ist und dessen eher geringfügigen eigenen exilpolitischen Aktivitäten den türkischen Behörden nicht bekannt geworden sein dürften, ohne diesen zu gefährden gegebenenfalls bei seiner Einreisebefragung Auskunft erteilen. Dafür, dass die türkischen Behörden an diesem Bruder - aus welchen Gründen auch immer - aber nicht in dem vom Kläger angenommenen Maß interessiert sind, auch wenn sie seit Jahren in Befragungen, Verhören nach dem Verbleib der nach Deutschland ausgereisten Brüder geforscht haben sollen, spricht, dass der eingebürgerte Bruder bei seiner Türkeireise nicht einmal bei der Nüfuskontrolle in der Heimatregion nach ihm und dem Hintergrund seiner Straftat befragt worden ist. Im Übrigen ist zu sehen, dass nach Auskunft des Auswärtigen Amtes seit Oktober 2000 kein Fall bekannt geworden ist, in dem Folter oder Misshandlung eines aus Deutschland in die Türkei Abgeschobenen nachgewiesen werden konnte.