VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Beschluss vom 27.05.2005 - A 12 K 10767/05 - asyl.net: M6795
https://www.asyl.net/rsdb/M6795
Leitsatz:
Schlagwörter: Guinea, Sierra Leone, Identitätstäuschung, Offensichtlich unbegründet, Abschiebungsandrohung, Zielstaatsbezeichnung, Herkunftsstaat, Konkretisierungsbescheid, Zuständigkeit, Bundesamt, Anhörung, Abschiebungshindernis, Prüfungskompetenz, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: VwGO § 80 Abs. 5; AsylVfG § 34 Abs. 1 S. 2; AufnethG § 60 Abs. 2-7; AsylVfG § 31 Abs. 3 S. 1
Auszüge:

Der Bescheid vom 10.03.2005 konkretisiert den vorangegangenen Bescheid der Antragsgegnerin vom 24.06.1999. In diesem Bescheid waren dem Antragsteller die Anerkennung aIs Asylberechtigter und die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des damals geltenden AuslG als offensichtlich unbegründet versagt sowie die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 53 AuslG abgelehnt worden. Letztgenannte Feststellung ist in der Begründung ausdrücklich auf alle afrikanischen Staaten erstreckt worden, da der Antragsteller in seiner damaligen Anhörung angegeben hatte, er sei Staatsangehöriger Sierra Leones und deswegen geflohen, da dort Bürgerkrieg herrsche; sonstige Befürchtungen bei einer Rückkehr habe er nicht. Zu Angaben über Geographie und Parteienlandschaft Sierra Leones war er aber nicht in der Lage und Personalpapiere fehlten. Daher wurde ihm in Ziffer 4 des Bescheid vom 24.06.1999 die Abschiebung "in den Herkunftsstaat" angedroht.

Mit Schreiben vom 01.12.2004 legte die für die Organisation der Abschiebung des AntragstelIers zuständige Behörde, das Regierungspräsidium Stuttgart, der Antragsgegnerin einen am 29.10.2004 ausgestellten Pass der Republik Guinea für den Antragsteller vor und forderte sie auf, die bisherige Zielstaatsbezeichnung zu konkretisieren.

Mithin ist der Hauptantrag des Antragstellers darauf gerichtet, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Bezeichnung Guineas als Zielstaat der Abschiebung anordnen.

Mit dieser Fassung ist er nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft.

Der Hauptantrag bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.

Das Bundesamt war zunächst für den Erlass des Konkretisierungsbescheids zuständig. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner Grundsatzentscheidung (Urt. v. 25.07.2000, BVerwGE 111, 343) zur nachträglichen Konkretisierung eines Zielstaats die Frage der Zuständigkeit offen gelassen. Es entspricht aber mittlerweile nahezu einhelliger Auffassung, für die Konkretisierung der Bezeichnung des Zielstaates in einer vom Bundesamt erlassenen Androhung bleibe dieses zuständig (so VG Stuttgart, Urt. v. 7.07.2000 - A 10 K 12098/99 -; VG Freiburg, Beschl. v. 02.01.2004, NVwZ-RR 2004, 93; Roth in: Hailbronner, AuslR, § 34 AsylVfG Rdnr. 67 f.; Funke-Kaiser, a.a.O., § 34 Rdnr. 64.1).

Das Unterlassen einer Anhörung des Antragstellers vor der Konkretisierung führt nicht zur Rechtswidrigkeit des Bescheids. Nach § 34 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG ist eine Anhörung vor dem Erlass einer Androhung nicht erforderlich. Mag es auch in Fällen der nachträglichen Konkretisierung des Zielstaates gleichwohl sinnvoll sein, den Betroffenen anzuhören, darf nicht außer acht gelassen werden, dass es sich beim Erlass der Abschiebungsandrohung um eine gebundene Entscheidung handelt. Selbst bei einem Verstoß gegen eine etwaige Anhörungspflicht wäre daher die Unbeachtlichkeit eines solchen Verstoßes nach § 46 VwVfG anzunehmen (VG Stuttgart, Urt. v. 07.07.2000, a.a.O.).

Durchgreifende Zweifel begegnen dem Bescheid des Bundesamts auch nicht im Blick auf § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG. Nach dieser Bestimmung ist in nahezu allen Asylverfahren - außer den in Satz 2 genannten hier erkennbar nicht einschlägigen Fällen - über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG zu entscheiden. Zwar ist dies im Bescheid des Bundesamts vom 10.03.2005 nicht geschehen; es war aber auch nicht erforderlich.

Wie ausgeführt, ergänzt der Bescheid des Bundesamts vom 10.03.2005 jenen vom 4.06.1999. Im zweitgenannten Bescheid ist unter Ziffer 3 das Vorliegen von Abschieungshindernissen nach § 53 AuslG (heute: von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 is 7 AufenthG) bestandskräftig abgelehnt worden. In der Begründung ist darauf abgestellt, diese Feststellung gelte für alle afrikanischen Staaten. Zwar dürfte diese Vorgehensweise in vielen anderen Fällen überaus fragwürdig sein, da nur im Blick auf konkrete Zielstaaten eine korrekte Prüfung des Vorliegens von Abschiebungsverboten erfolgen kann (so auch Funke-Kaiser, a.a.O., § 34 Rdnr. 60). Wenn aber - wie hier - in der Anhörung im Jahr 1999 nur der Bürgerkrieg in Sierra Leone als Grund der Ausreise genannt wird, allgemeine Kenntnisse von den Verhältnissen in diesem Land und Personalpapiere aber nicht vorhanden sind, korrespondiert mit dem Recht des Bundesamts, die Abschiebung "in den Herkunftsstaat" anzudrohen (so BVerwG, Urt. v. 25.07.2000, a.a.O.) denknotwendig auch das Recht, allgemeine, d.h. nicht aus dem individuellen Vortrag herzuIeitende Abschiebungsverbote im Blick auf "den Herkunftsstaat" zu verneinen (für die ZuIässigkeit einer vorsorglichen Prüfung auch Funke-Kaiser, a.a.O., § 34, Rdnr. 60). Anderenfalls würde schon im Erstbescheid gegen § 31 Abs. 3 AsylVfG verstoßen.

Mit dieser Verfahrenserleichterung korrespondiert allerdings die Pflicht des Bundesamts, bei Konkretisierung des Zielstaates auch die Feststellung des Nichtvorliegens von Abschiebungsverboten im Blick auf den nun bezeichneten Staat zumindest in der Begründung des Konkretisierungsbescheids nochmals zu "aktualisieren". Dies ist vorliegend unterblieben. Da der Antragsteller bis heute aber keinerlei Begründung erbracht hat und aus allgemein zugänglichen Quellen keine landesweiten allgemeinen Gefahren in der Republik Guinea erkennbar sind, ist davon auszugehen, dass es sich nur um ein Begründungsdefizit bei einer gebundenen Entscheidung handelt, das nach § 46 VwVfG unbeachtlich ist und daher keine erheblichen Zweifel zu begründen vermag.