VG Aachen

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Zitieren als:
VG Aachen, Urteil vom 28.04.2005 - 5 K 1587/03.A - asyl.net: M6820
https://www.asyl.net/rsdb/M6820
Leitsatz:

Gefährdung wegen exilpolitischer Betätigung nur bei hervorgehobener Position; Flüchtlingsanerkennung wegen exilpolitischer Betätigung für die Arbeiterkommunistische Partei Iran (API) unterhalb der Ebene des Führungskaders und mehrere öffentliche Reden.

 

Schlagwörter: Iran, Nachfluchtgründe, exilpolitische Betätigung, Glaubwürdigkeit, API, Arbeiterkommunistische Partei Iran, Hambastegi, International Federation of Iranian Refugees, IFIR, Demonstrationen, Internet, Rede
Normen: Art. 16a Abs. 1 GG; AsylVfG § 28 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Gefährdung wegen exilpolitischer Betätigung nur bei hervorgehobener Position; Flüchtlingsanerkennung wegen exilpolitischer Betätigung für die Arbeiterkommunistische Partei Iran (API) unterhalb der Ebene des Führungskaders und mehrere öffentliche Reden.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Kläger hat jedoch Anspruch auf die Feststellung, dass in seiner Person die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen.

Ihm droht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aufgrund seiner exilpoli-

tischen Aktivitäten bei einer Rückkehr in den Iran Verfolgung. Eine exilpolitische Tä-

tigkeit ist abschiebungsrechtlich dann relevant, wenn der Asylbewerber nach außen

hin in exponierter Weise für eine regimefeindliche Organisation aufgetreten ist (vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 31. Juli 1998 - 9 A 489/98.A -, Beschluss vom 16. April 1999 - 9 A 5338/98.A -).

Dabei wird die "exponierte" Tätigkeit durch die konkret-individuellen Umstände des Einzelfalles geprägt. Ausgangspunkt für die notwendige Differenzierung zwischen unbeachtlicher, öffentlicher zur Schau getragener Kritik einerseits und beachtlichem exponiertem Auftreten in der Öffentlichkeit für eine regimefeindliche Organisation andererseits bildet die Erkenntnis, dass der iranische Geheimdienst in der Bundesrepublik Deutschland die regimefeindlichen/regimekritischen Aktivitäten iranischer Exilorganisationen intensiv beobachtet und sich bemüht, die Mitglieder und/oder Anhänger dieser Organisationen sowie die Teilnehmer von Demonstrationen oder sonstigen öffentlichen Aktionen zu fotografieren und zu erfassen (Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. April 1999, a.a.O.).

Darüber hinaus ist in Rechnung zu stellen, dass den iranischen Behörden aufgrund ihrer intensiven Beobachtungen bekannt ist, dass ein nach außen zum Ausdruck gebrachtes politischen Engagement vielfach nicht wirklich ernsthaft ist und nur zur Erlangung von Vorteilen im Asylverfahren an den Tag gelegt wird. Angesichts dessen werden die iranischen Stellen die schwierigen und aufwendigen Ermittlungen zur Identifizierung von Asylsuchenden auf diejenigen Personen beschränken, die aufgrund besonderer Umstände über die massentypischen und niedrig profilierten Erscheinungsformen exilpolitischer Proteste hinaus Funktionen wahrgenommen und/oder Aktivitäten entwickelt haben, die den jeweiligen Asylsuchenden aus der Masse der mit dem Regime in Teheran Unzufriedenen herausheben und als ernsthaften und gefährlichen Regimegegner erscheinen lassen (vgl. OVG NRW, a.a.O.).

Auch nach der Auskunftslage unterscheiden iranische Stellen je nach der Bedeutung der Organisation und der Person sowie der Aktivitäten, ob gegen den Betreffenden vorgegangen wird. Bei aktiven Mitgliedern an exponierter Stelle besteht eine erhöhte Gefährdung. Eine solche Exponiertheit wird angenommen, wenn der Betreffende Führungsaufgaben in der politischen Organisation wahrnimmt, an Veranstaltungen teilnimmt, welche nur führenden Mitgliedern vorbehalten sind oder die Verantwortung für Presseerzeugnisse der Organisation übernommen hat (Vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz, Stellungnahme vom 11. Dezember 2000 an das VG Köln, Stellungnahme vom 30. Januar 2003 an das VG Braunschweig). Auch die mehrfache Teilnahme an Demonstrationen/Veranstaltungen führen nicht zu einer besonderen Exponiertheit des Asylbewerbers, da die Erhöhung der Quantität niedrig profilierter Tätigkeiten allein nicht zu einer Qualitätsänderung der Gesamtaktivität führt: Gerade der, der über einen längeren Zeitraum im Rahmen zahlreicher Veranstaltungsteilnahmen nach außen hin deutlich macht, dass er lediglich "dabei ist", Parolen ruft, Plakate trägt usw., liefert gegenüber dem iranischen Nachrichtendienst den Beweis, dass von ihm allenfalls Unzufriedenheit, nicht aber - gegebenenfalls im Zusammenwirken mit anderen - eine ernst zu nehmende Gefahr für das Mullah-Regime in Teheran ausgeht. Zwar tritt derjenige Asylsuchende, der etwa ein Interview gibt, aus der Anonymität einer Masse heraus und ist als einzelner individualisierbar und damit im Sinne einer Observation auch leichter greifbar. Damit erscheint er aber noch nicht zwingend in den Augen des iranischen Nachrichtendienstes als eine Gefahr für das Regime. Entscheidend ist nach allem nicht allein das Hervortreten im Sinne einer optischen Erkennbarkeit und Individualisierbarkeit, sondern ein Hervortreten in der Öffentlichkeit, dass aufgrund der Persönlichkeit des Asylsuchenden, der äußeren Form seines Auftritts und nicht zuletzt aufgrund des Inhaltes der in der Öffentlichkeit abgegeben Erklärungen den Eindruck erweckt, dass der Asylsuchende allein oder aber im ­ gegebenenfalls konspirativen ­ Zusammenwirken mit anderen zu einer Gefahr für den Bestand des Mullah-Regimes wird (Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. April 1999 ­ 9 A 5338/98.A -).

Diese Schwelle der ernst zu nehmenden, auch in den Augen des iranischen Regimes als gefährlich einzuschätzenden politischen Gegnerschaft erreichen die Aktivitäten des Klägers. Er ist aktives Mitglied der Arbeiterkommunistischen Partei Iran (API) und der Hambastegi ­ International Federation of Iranian Refugees (IFIR).

Die API, die sich seit 1991 von der "Kommunistischen Partei Irans" (KPI) abgespalten hat, ist ausweislich ihrer Gründungserklärung eine marxistische Partei, die sich die Aufgabe gestellt hat, die soziale Revolution der Arbeiterklasse zur Beseitigung des kapitalistischen Systems zu organisieren, und eine neue Gesellschaft auf der Basis ökonomischer und sozialer Gleichheit sowie politischer Freiheit und freier geistiger und materieller Entfaltung der Menschen aufzubauen. Sie ist eine antireligiöse und anti-islamische Partei. In der Vergangenheit ist sie mehrfach durch gewalttätige Aktionen in Erscheinung getreten, etwa durch Störungen während der Iran-Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung im April 2000 oder im Oktober 2002 bei einer Veranstaltung, bei der Angehörige des iranischen Kulturministeriums zugegen waren. Anhänger der latent gewaltbereiten API unterliegen einer besonderen Beobachtung durch den iranischen Nachrichtendienst und sind damit einer besonderen Gefährdung bei ihrer Rückkehr in ihr Heimatland unterworfen, soweit es sich bei ihnen um Führungspersönlichkeiten oder Einzelpersonen mit Außenwirkung handelt (vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz, Auskunft an das VG Wiesbaden vom 12. März 2003; vgl. auch VG Düsseldorf, Urteil vom 21. September 2004 - 2 K 1529/02.A -).

Der Kläger nimmt zwar keine Führungsaufgaben in der Organisation der API wahr. Aufgrund der Vielzahl und vor allem der Art seiner Aktivitäten ist er jedoch als eine solche Einzelperson mit Außenwirkung anzusehen, die im Falle ihrer Rückkehr in den Iran besonders gefährdet wäre. Hierbei misst das Gericht dem Umstand besonderes Gewicht bei, dass der Kläger mehrfach auf Veranstaltungen der API und als Mitglied der Partei sowohl in der Öffentlichkeit als auch vor einem größeren Publikum regimefeindliche Reden gehalten und schließlich auch unter seinem Namen entsprechende Verlautbarungen ins Internet gestellt hat. So hat er auf einer Demonstration am 5. März 2005 gegenüber dem iranischen Konsulat in Frankfurt eine Ansprache im Sinne der Ziele seiner Partei durch das Mikrofon gehalten. Eine weitere regimekritische Ansprache hat er auf einer Demonstration der IFIR vor dem Landtag in Düsseldorf am 7. April 2005 gehalten. Auf der 10. Konferenz seiner Partei in Köln im Mai 2004 schließlich hat er auf dem Podium eine längere Rede ("15 Minuten") gehalten.

Der Kläger hat darüber hinaus in der mündlichen Verhandlung glaubhaft gemacht, dass er mit Führungspersönlichkeiten der Partei in regelmäßigem Kontakt steht. Dies hat der Zeuge ..., der Mitglied des Zentralkomitees der Partei ist, überzeugend bestätigt. Darüber hinaus ist der Kläger - allerdings unterhalb der Schwelle eines Führungskaders der Partei - dafür zuständig, Spenden für die Partei einzutreiben sowie Büchertische zu organisieren. Schließlich nimmt das Gericht dem Kläger aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks von ihm auch ab, dass er ein politisch denkender Mensch mit einer politischen Grundüberzeugung ist, welche sich mit der Ideologie der API deckt.

Bei einer Gesamtschau der exilpolitischen und öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten des Klägers kann davon gesprochen werden, dass sein Aktivitätsprofil über das eines bloßen Mitläufers schon hinausgeht mit der Folge, dass er mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit den iranischen Behörden aufgefallen sein dürfte und im Iran mit staatlichen Sanktionen rechnen müsste.