OLG Köln

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Zitieren als:
OLG Köln, Beschluss vom 29.06.2005 - 16 Wx 76/05 - asyl.net: M6822
https://www.asyl.net/rsdb/M6822
Leitsatz:

Die vorläufige Ingewahrsamnahme ist nur möglich, wenn eine vorherige richterliche Entscheidung über die Abschiebungshaft nicht zu erreichen ist, nicht jedoch im Fall einer angekündigten Rückführung nach Deutschland; die Haftgründe des § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AufenthG sind nicht abschließend, so dass daneben die Anwendung der Generalklausel der Nr. 5 möglich ist.

 

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Ingewahrsamnahme, Ausländerbehörde, Richtervorbehalt, Spontanfestnahme, Haftgründe, Sammelabschiebung, Beschleunigungsgebot
Normen: AuslG § 57; AufenthG § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 5
Auszüge:

Die vorläufige Ingewahrsamnahme ist nur möglich, wenn eine vorherige richterliche Entscheidung über die Abschiebungshaft nicht zu erreichen ist, nicht jedoch im Fall einer angekündigten Rückführung nach Deutschland; die Haftgründe des § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AufenthG sind nicht abschließend, so dass daneben die Anwendung der Generalklausel der Nr. 5 möglich ist.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die gemäß § 3 Satz 2, 7 Abs. 1 FEVG, 106 Abs. 2 AufenthG, 27, 29 FGG zulässige sofortige weitere Beschwerde hat in der Sache insoweit Erfolg, als sich der Betroffene gegen die vorläufige Freiheitsentziehung am 24.11.2004 sowie gegen die über den 24.1.2005 hinaus andauernde Inhaftierung wendet. Im Übrigen, nämlich hinsichtlich der bis zum 24.1.2005 wirkenden Haftanordnung des Amtsgerichts Aachen, bleibt sie erfolglos.

Der Antrag ist auch begründet, denn der Antragsteller war nicht befugt, den Betroffenen bis zur richterlichen Entscheidung über seinen Antrag auf Anordnung von Sicherungshaft gem. § 57 AuslG vorläufig in Gewahrsam zu nehmen. Eine solche Befugnis kann sich zwar nach der Rechtsprechung des Senates (Beschluss vom 1.10.2004 - 16 Wx 195/04 = JMBl NRW 2005, 34) grundsätzlich aus § 24 OBG NW i.V.m. § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG NW ergeben. Im vorliegenden Fall bestand für den Antragsteller jedoch die Möglichkeit, bereits vor der Einreise des Betroffenen am 24.11.2005 eine richterliche Entscheidung über eine Haftanordnung herbeizuführen, denn er war bereits einen Tag zuvor, nämlich am 23.11.2004, über die anstehende Rücküberstellung informiert worden. Eine vorläufige behördliche Ingewahrsamnahme nach landesrechtlichen Gefahrenabwehrbestimmungen kommt aber nur in Betracht, wenn eine vorherige richterliche Entscheidung nicht zu erreichen ist ("Spontanfestnahme"). Ansonsten hat es bei dem Grundsatz zu verbleiben, dass eine Freiheitsentziehung eine vorherige richterliche Anordnung voraussetzt, die im vorliegenden Fall auch ohne weiteres hätte erlangt werden können (BVerfG NJW 2002, 3161).

2. Der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der anschließenden Haftanordnung ist dagegen nur teilweise begründet.

Es kann offen bleiben, ob im Zeitpunkt der Haftanordnung durch das Amtsgericht die Voraussetzungen des Haftgrundes des damals anwendbaren § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AuslG (jetzt § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG) vorgelegen haben.

Darauf kommt es aber nicht an, weil jedenfalls der Haftgrund des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG vorlag. In Rechtsprechung und Literatur ist allerdings umstritten, ob die besonderen Haftgründe des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 4 AufenthG für ihren jeweiligen Bereich eine abschließende Regelung aufstellen und ein Rückgriff auf die Generalklausel des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG ausgeschlossen ist. Der Bundesgerichtshof (Beschluss vom 3.2.2005 - VOB/B ZB 48/04) hat diese Frage offengelassen und die zugrunde liegende Sache an das vorlegende OLG Düsseldorf zurückverwiesen; in der Literatur wird sie unterschiedlich beurteilt. Der Senat hält beide Vorschriften für nebeneinander anwendbar. Für die gegenteilige Auffassung ergeben sich weder aus dem Wortlaut noch aus der Systematik der Vorschrift ausreichende Anhaltspunkte. Der aufzählende Charakter der verschiedenen Haftgründe und die Verwendung des Wortes "oder" am Ende von § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG machen vielmehr deutlich, dass es sich um nebeneinander zu prüfende Haftgründe handelt. Das entspricht auch der gesetzgeberischen Intention, die - davon ist auch der BGH in der zitierten Entscheidung ausgegangen - auf eine Erleichterung der Anordnung von Abschiebehaft gerichtet ist.

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf in der auf die Zurückverweisung durch den BGH entschiedenen Sache (OLG Düsseldorf vom 15.4.2005 bei: Melchior, Abschiebungshaft, Anhang) steht dem nicht entgegen. Das OLG Düsseldorf hat ebenfalls die Nr. 5 der Vorschrift neben deren Nr. 2 für anwendbar gehalten und lediglich vor dem Hintergrund einer noch laufenden Ausreisefrist ausgeführt, dass der Verdacht, dass der Ausländer sich der Ausreisepflicht entziehen wolle,

in dieser Situation regelmäßig nicht zu begründen sei. Im Gegensatz dazu war der Betroffene im vorliegenden Fall zum Zeitpunkt der Haftanordnung vollziehbar ausreisepflichtig, wie das Landgericht in der angegriffenen Entscheidung mit zutreffender Begründung festgestellt hat. Dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG zum Zeitpunkt der Haftanordnung vorlagen, kann angesichts des voraufgegangenen Verhaltens des Betroffenen, nämlich dem Absetzen nach Belgien und Frankreich, nicht zweifelhaft sein.