OVG Thüringen

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Zitieren als:
OVG Thüringen, Beschluss vom 07.04.2005 - 3 SO 1268/04 - asyl.net: M6865
https://www.asyl.net/rsdb/M6865
Leitsatz:

Das zuständige Verwaltungsgericht in Thüringen in asylrechtlichen Streitigkeiten richtet sich nach § 1 Abs. 2 S. 1 ThürVGZVO vorrangig nach dem Herkunftsland des Asylsuchenden; maßgeblich ist zunächst die vom Asylsuchenden in Anspruch genommene Staatsangehörigkeit; wird im Laufe des Verfahrens eine andere Staatsangehörigkeit festgestellt, die die Zuständigkeit eines anderen Verwaltungsgerichts begründet, ist das Verfahren nach § 83 VwGO i.V.m. § 17 a GVG abzugeben.

 

Schlagwörter: Zuständigkeit, Örtliche Zuständigkeit, Asylverfahren, Verwaltungsgericht, Herkunftsstaat, Staatsangehörigkeit, Verweisung, Abgabebeschluss
Normen: VwGO § 53; VwGO § 52; ThürVGZVO § 1 Abs. 1; ThürVGZVO § 1 Abs. 2
Auszüge:

Das zuständige Verwaltungsgericht in Thüringen in asylrechtlichen Streitigkeiten richtet sich nach § 1 Abs. 2 S. 1 ThürVGZVO vorrangig nach dem Herkunftsland des Asylsuchenden; maßgeblich ist zunächst die vom Asylsuchenden in Anspruch genommene Staatsangehörigkeit; wird im Laufe des Verfahrens eine andere Staatsangehörigkeit festgestellt, die die Zuständigkeit eines anderen Verwaltungsgerichts begründet, ist das Verfahren nach § 83 VwGO i.V.m. § 17 a GVG abzugeben.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Nach § 1 Abs. 1 ThürVGZVO richtet sich die Zuständigkeit u. a. für asylrechtliche Streitigkeiten - abweichend von § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO - nach dem Herkunftsland der betroffenen Person. Herkunftsland ist nach § 1 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung das Land, dessen Staatsangehörigkeit der Ausländer besitzt. Bei Staatenlosen, bei Personen mit doppelter oder ungeklärter Staatsangehörigkeit sowie in Fällen, in denen der Ausländer politische Verfolgung von einem Staat befürchtet, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, gilt nach Satz 2 Nr. 2 der Bestimmung in Streitigkeiten nach dem Asylverfahrensgesetz der Staat als Herkunftsland, von dem der Asylbewerber politische Verfolgung befürchtet. Nach dem Wortlaut dieser Vorschriften kann die Zuständigkeit demnach sowohl nach dem Land der Staatsangehörigkeit als auch nach dem Verfolgerstaat zu bestimmen sein.

Das Verwaltungsgericht hält die Zuständigkeitsbestimmung für erforderlich, weil die Beigeladene Verfolgung durch mehrere Staaten, nämlich aktuell vor der Ausreise in Georgien und zuvor in Armenien und Aserbaidschan geltend mache, so dass für sie Aserbaidschan, Georgien und Armenien als Herkunftsländer im Sinne des § 1 Abs. 2 ThürVGZVO anzusehen sein könnten. Da nach der Anlage zu § 1 Abs. 1 ThürVGZVO für die Herkunftsländer Aserbaidschan und Georgien das Verwaltungsgericht Meiningen und für das Herkunftsland Armenien das Verwaltungsgericht Weimar örtlich zuständig ist, könnten für den vorliegenden Rechtsstreit demnach mehrere Verwaltungsgerichte als örtlich zuständiges Gericht in Betracht kommen.

Die sachlichen Voraussetzungen, unter denen das Thüringer Oberverwaltungsgericht gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 53 Abs. 3 Satz 1 VwGO auf Antrag des mit dem Rechtsstreit befassten Gerichts das zuständige Verwaltungsgericht zu bestimmen hat, sind erfüllt.

Eine Bestimmung des örtlich zuständigen Verwaltungsgerichts ist erforderlich, da die vorliegende Anfechtungsklage des Bundesbeauftragten allein die Aufhebung der Feststellung des Bundesamtes hinsichtlich § 51 AuslG a. F. zu Gunsten der Beigeladenen (nunmehr § 60 Abs. 1 AufenthG) zum Gegenstand hat. Eine Abtrennung zur Beseitigung des Zuständigkeitsstreits ist demnach nicht zu erwägen.

Für die deshalb gebotene Zuständigkeitsbestimmung hält der Senat für zweckmäßig, diese an dem nach § 1 Abs. 2 Satz 1 ThürVGZVO vorrangigen Herkunftsland auszurichten. Soweit der bisher zuständige 1. Senat die Auffassung vertreten hat, insoweit bestehe zwischen den Zuständigkeitsbestimmungen nach Satz 1 und Satz 2 der Vorschrift kein Rangverhältnis, hält der Senat daran nicht fest.

Die Rechtsverordnung knüpft mit der Ausrichtung an der Herkunft als dem Land, dessen Staatsangehörigkeit der Ausländer besitzt, am Begriff des politisch Verfolgten an. Danach sind Personen mit einer Staatsangehörigkeit nur dann Flüchtlinge, wenn sie den Schutz desjenigen Staates entbehren, dem sie angehören. Lediglich für Staatenlose kommt es auf die Verhältnisse im Land des gewöhnlichen Aufenthalts an (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 1983 - 9 C 158/80 - BVerwGE 68, 106 NVwZ 1984, 244 und zuletzt Beschluss vom 28. November 2003 - 1 B 139/03 - zitiert nach Juris). § 1 Abs. 2 Satz 1 ThürVGZVO erfasst damit den typischen Fall des Asylbewerbers, der sich auf eine Verfolgung durch das Land seiner Staatsangehörigkeit beruft. An diesem typischen Fall ändert sich nichts dadurch, dass der Asylbewerber sich auf die Verfolgung durch weitere Staaten beruft, in denen er sich nach der Ausreise aus dem Heimatland aufgehalten hat. Satz 2 der Vorschrift hat demgegenüber in erster Linie eine Auffangfunktion, indem er Fälle zusammenfasst, die eine solche Zuordnung nicht ohne weiteres zulassen. Dies zeigt sich insbesondere bei so genannten Doppelstaatlern, mithin Personen, die mehrere Staatsangehörigkeiten besitzen. Soweit als Herkunftsland nach dem Asylverfahrensgesetz in § 1 Abs. 2 Satz 2 ThürVGZVO als Herkunftsstaat der Staat bezeichnet wird, von dem der Asylbewerber politische Verfolgung befürchtet, mag sich im Einzelfall die Möglichkeit ergeben, dass mehrere Staaten als Verfolgungsland in Betracht kommen. Die Verordnung übernimmt dazu nämlich nicht die materiell-rechtlich im Hinblick auf das Asylbegehren gebotene Anknüpfung am Land des gewöhnlichen Aufenthalts. Darüber ist im vorliegenden Fall indessen nicht zu befinden. Die Beigeladene beruft sich auf ihre aserbaidschanische Staatsangehörigkeit.

Soweit der Wortlaut des § 1 ThürVGZVO jeweils nahe legt, es komme für die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts auf die festgestellte Staatsangehörigkeit, Staatenlosigkeit bzw. ungeklärte Staatsangehörigkeit - den Besitz - im Sinne einer bereits ohne weiteres zu treffenden tatsächlichen Feststellung an, ergibt sich daraus kein Grund, bereits für die prozessuale Frage des zuständigen Gerichts materiell-rechtlich zu prüfen, zu welcher der genannten Personengruppen der jeweilige Kläger bzw. Beigeladene gehört. Davon geht aber ersichtlich das Verwaltungsgericht aus. Unabhängig davon, ob sich im Einzelfall eine solche Feststellung schon bei der Erhebung der Klage treffen lässt (Beweisanzeichen müssten insoweit üblicherweise im Verfahren nicht vorgelegte Personaldokumente, so etwa der Reisepass, sein), darf im Hinblick auf die Art der betroffenen Streitigkeiten nur die vom Asylsuchenden in Anspruch genommene Staatsangehörigkeit maßgebend sein. Nach Sinn und Zweck der die gesetzliche Zuständigkeitsordnung ergänzenden landesrechtlichen Verordnung kann für die Frage, welches Gericht zur Sachentscheidung berufen ist, zunächst nur das eigene Vorbringen des Asylbewerbers herangezogen werden. Er macht die für den Asylanspruch bzw. den Abschiebungsschutz maßgebenden Tatsachen, soweit sie in seiner Sphäre liegen, geltend. Danach richtet ersichtlich die Beklagte jeweils ihr Verwaltungsverfahren aus. Folglich hat im ergangenen Bescheid das Bundesamt für die Beigeladene auch nur die Feststellung zu § 51 AuslG a. F. hinsichtlich Aserbaidschan getroffen.

Für den Fall, dass sich hingegen im Laufe des Verfahrens durch das Verwaltungsgericht - ggf. nach Aufklärungsmaßnahmen - die positive Feststellung einer anderen als der zuerst angegebenen und für die Zuständigkeit maßgeblichen Staatsangehörigkeit treffen lässt und für die Streitigkeit der betroffenen Person i. S. d. § 1 Abs. 1 ThürVGZVO (nämlich der beigeladenen Asylbewerberin) danach ein anderes Verwaltungsgericht zuständig ist, hat das Gericht sodann die Verweisung nach § 83 VwGO i. V. m. § 17a GVG vorzunehmen. Der Bundesbeauftragte hält es in der Klageschrift für nahe liegend, dass die Beigeladene später die armenische oder die georgische Staatsangehörigkeit erworben habe, ohne indessen dafür weiter führende Hinweise zu geben.