VG Sigmaringen

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Zitieren als:
VG Sigmaringen, Urteil vom 14.06.2005 - 4 K 468/05 - asyl.net: M6908
https://www.asyl.net/rsdb/M6908
Leitsatz:

Für den Versagungsgrund des § 11 BeschVerfV trägt die Ausländerbehörde die Beweislast; beim Vorwurf der mangelnden Mitwirkung bei der Passbeschaffung muss sie vortragen, welche erfolgversprechenden Mitwirkungshandlungen zu erfüllen sind; Auskünften der armenischen Behörden in Rückführungsfällen ist nur ein geringer Wert beizumessen.

 

Schlagwörter: Duldung, Erwerbstätigkeit, Antrag, Notwendige Beiladung, Bundesagentur für Arbeit, Zuständigkeit, Beweislast, Armenien, Armenier, Passlosigkeit, Vertretenmüssen, Mitwirkungspflichten, Passbeschaffung
Normen: VwGO § 65 Abs. 2; BeschVerfV § 11; BeschVerfV § 10;
Auszüge:

Für den Versagungsgrund des § 11 BeschVerfV trägt die Ausländerbehörde die Beweislast; beim Vorwurf der mangelnden Mitwirkung bei der Passbeschaffung muss sie vortragen, welche erfolgversprechenden Mitwirkungshandlungen zu erfüllen sind; Auskünften der armenischen Behörden in Rückführungsfällen ist nur ein geringer Wert beizumessen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klagen sind zulässig. Die Kläger haben vor der Erhebung der Klagen Anträge auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis gestellt. Hierfür lässt das Gericht wie das Regierungspräsidium Tübingen - Bezirksstelle für Asyl - die von der Bundesagentur für Arbeit - Balingen - an die Ausländerbehörde weitergeleiteten Anträge auf Verlängerung der Arbeitserlaubnisse für die Zeit nach dem 6.2.2005 genügen. Dies erscheint auch deswegen vertretbar, weil die Behörde auf diese Anträge hin eine Entscheidung zur Versagung der Beschäftigungserlaubnis getroffen hat. Eine Beiladung der im Behördenverfahren vom Regierungspräsidium Tübingen - Bezirksstelle für Asyl - nicht beteiligten Bundesagentur für Arbeit - Balingen - war nicht erforderlich und ist daher unterblieben. Die Beiladung ist nach § 65 Abs. 2 VwGO nur dann notwendig, wenn eine Verpflichtung zu der Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis begehrt wird, die nach § 10 BeschVerfV nur mit Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit erfolgen kann (wie Verwaltungsgericht Karlsruhe, Beschluss vom 14.4.2005 - 10 K 493/05 - VENSA). Zwischen den Beteiligten ist jedoch im vorliegenden Fall nur streitig, ob ein Versagungsgrund nach § 11 BeschVerfV besteht. Damit wird mit den Klagen nicht die Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung der Beschäftigungserlaubnis begehrt, sondern lediglich die Verpflichtung zu erneuter Bescheidung. Ziel der Klage ist es, den alleinigen Streitpunkt, nämlich das Vorliegen eines Versagungsgrundes, vorgezogen zu klären. Diese Beschränkung des Begehrens ist auch im Hinblick auf die von der Beklagten nach § 10 BeschVerfV noch vorzunehmende Ermessensentscheidung prozessrechtlich nicht zu beanstanden und führt dazu, dass eine Beiladung der Bundesagentur für Arbeit - Balingen - verzichtbar ist. Die Beteiligung der Bundesagentur für Arbeit kann im Neubescheidungsverfahren, wie von der BeschVerfV vorgesehen, durch die Ausländerbehörde im Rahmen einer Zustimmungsanfrage erfolgen.

Die zulässigen Klagen sind auch begründet. Die Kläger haben einen Anspruch auf erneute Bescheidung ihrer Anträge auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis. Dabei hat das Regierungspräsidium Tübingen - Bezirksstelle für Asyl - die Rechtsauffassung des Gerichts zugrundezulegen, nach der den Anträgen auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis hier kein Versagungsgrund nach § 11 BeschVerfV entgegen gehalten werden kann.

Die Vermutungen des Regierungspräsidiums Tübingen - Bezirksstelle für Asyl -, dass die Kläger durch ihr Verhalten in vorwerfbarer Weise ein Abschiebungshindernis ursächlich herbeigeführt haben könnten, genügen für die hier erforderliche gerichtliche Feststellung nicht. Die Darlegungs- und Beweislast trifft bei fehlendem Nachweis das Regierungspräsidium Tübingen - Bezirksstelle für Asyl -, nachdem sich die Behörde auf das Vorliegen des Versagungsgrundes beruft.

Unstreitig ist zwischen den Beteiligten, dass im vorliegenden Fall ein Abschiebungshindernis besteht.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Kläger dieses Abschiebungshindernis durch ihr Verhalten in vorwerfbarer Weise ursächlich herbeigeführt haben. Dabei trifft die Kläger nach § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylVfG sowie § 49 Abs. 1 AufenthG die Pflicht, bei der Beschaffung eines Identitätspapiers mitzuwirken. Der Beklagte wirft den Klägern insofern vor, dass die Kläger in den Formularen der armenischen Botschaft falsche Angaben zu ihrer Identität gemacht haben (a.). Dass der Kläger zu 1 bei seiner Vorführung bei der armenischen Botschaft am 13.6.2002 gegenüber dem Konsul Angaben verweigert und eine Rückkehr nach Armenien abgelehnt habe (b.). Und schließlich, dass die Kläger nicht alles ihnen Mögliche und Zumutbare getan hätten, um an Identitätspapiere zu gelangen (c.).

a. Mit dem Vorbringen, die Kläger hätten in den Formularvordrucken der armenischen Botschaft falsche Angaben gemacht, denn die Anfragen der armenischen Botschaft hätten zu keiner Bestätigung der Identität der Kläger geführt, ist der Nachweis, dass ein Versagungsgrund nach § 11 BeschVerfV vorliegt, nicht erbracht. Die Formschreiben der armenischen Botschaft vom 27.12.1999 und vom 2.7.2001, in denen ohne weitere Erläuterung mitgeteilt wird, dass die angegebenen Daten für die Kläger und ihre Kinder in Armenien polizeilich nicht erfasst seien, reichen für die Annahme, dass die Angaben der Kläger falsch sind, nicht aus. Bezüglich der Verlässlichkeit solcher Auskünfte armenischer Stellen kann auf die Ausführungen der deutschen Botschaft in Eriwan in der E-Mail vom 1.6.2005, auf die Ausführungen im oben zitierten Lagebericht des Auswärtigen Amts und auf die Angaben von Frau ... verwiesen werden. Danach muss davon ausgegangen werden, dass die armenischen Stellen bei zwangsweisen Rückführungen armenischer Staatsangehöriger in der Regel nicht kooperieren und dass das Rückführungsverfahren zudem anderen massiven Störungen ausgesetzt ist. Dementsprechend sind die Antworten armenischer Behörden in diesen Fällen nicht zufriedenstellend bzw. nicht hilfreich und berechtigen allenfalls zu Spekulationen über die tatsächlichen Verhältnisse.

c. Schließlich ist auch mit dem Vorbringen, dass die Kläger nicht alles ihnen Mögliche und Zumutbare getan hätten, um an Identitätspapiere zu gelangen, der Nachweis, dass ein Versagungsgrund nach § 11 BeschVerfV vorliegt, nicht erbracht. Wie oben ausgeführt, trifft die Kläger nach § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylVfG sowie § 49 Abs. 1 AufenthG die Pflicht, bei der Beschaffung eines Identitätspapiers mitzuwirken. Dazu haben sie, auch von sich aus, das nach der jeweiligen Situation Notwendige, Mögliche und Zumutbare zu tun, um die Erlangung von Identitätspapieren zu erreichen. Ein schuldhafter Verstoß gegen diese Mitwirkungspflicht kann einen vom Ausländer zu vertretenden Grund dafür darstellen, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können. In diesem Fall liegt ebenfalls ein Versagungsgrund nach § 11 Satz 1 BeschVerV vor. Das Regierungspräsidium Tübingen - Bezirksstelle für Asyl - hat den Nachweis, dass die Kläger ihre Mitwirkungspflicht schuldhaft verletzt haben und dass sie dadurch die tatsächliche Unmöglichkeit der Abschiebung bewirkt haben, nicht geführt. Insofern ist nicht vorgetragen und für das Gericht auch nicht ersichtlich, welche konkrete Mitwirkungshandlung sich den Klägern nach der Vorführung des Klägers zu 1 am 13.6.2002 zusätzlich zu den von ihnen inzwischen unternommenen Maßnahmen noch hätte aufdrängen müssen, die, wenn sie erbracht worden wäre, die Ausstellung von Ersatzpapieren durch die armenische Botschaft bewirkt und das Abschiebungshindernis beseitigt hätte.

Kann das Regierungspräsidium Tübingen - Bezirksstelle für Asyl - danach dem Antrag der Kläger auf Erteilung von Beschäftigungserlaubnissen einen Versagungsgrund nach § 11 BeschVerfV nicht entgegenhalten, hat die Behörde nach § 10 BeschVerfV die Zustimmung der Bundesagentur einzuholen und die dort vorgesehene Ermessensentscheidung zu treffen. Dabei ist zu beachten, dass die Kläger im vollen Umfang mitwirkungsbereit scheinen, dass sie seit Jahren beschäftigt sind, dass sie und ihre Kinder sozial integriert scheinen und dass die konkrete Beschäftigungsmöglichkeit durch die Entscheidung des Landratsamts Balingen als untere Ausländerbehörde vom 23.1.2001 ermöglicht wurde. Eine Berücksichtigung der Interessen der öffentlichen Sozialkassen erscheint ebenfalls rechtlich nicht verfehlt.