VG Minden

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Zitieren als:
VG Minden, Urteil vom 23.05.2005 - 9 K 5381/03.A - asyl.net: M6935
https://www.asyl.net/rsdb/M6935
Leitsatz:
Schlagwörter: Afghanistan, Glaubwürdigkeit, Folgeantrag, DVPA, Khad, Kommunisten, Soldaten, Konversion, Apostasie, subjektive Nachfluchtgründe, Christen, religiös motivierte Verfolgung, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK, Abschiebungshindernis, Religionsfreiheit, Scharia, Todesstrafe, Allgemeine Gefahr, Extreme Gefahrenlage, Sicherheitslage, Versorgungslage, Situation bei Rückkehr
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 71 S. 1; AsylVfG § 28 Abs. 2; AufenthG § 60 Abs. 5; Art. 3 EMRK; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

§ 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen Übertritts einer afghanischen Staatsangehörigen zum Christentum; keine Flüchtlingsanerkennung, da selbstgeschaffener Nachfluchtgrund gem. § 28 Abs. 2 AufenthG.

 

Die Klägerin zu 2. hat ebenfalls keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 1 AufenthG. Nach § 28 Abs. 2 AsylVfG kann in der Regel die Feststellung, dass dem Betroffenen die in § 60 Abs. 1 AufenthG bezeichneten Gefahren drohen, nicht mehr getroffen werden, wenn er - wie hier die Klägerin - nach unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrages erneut einen Asylantrag stellt und sein Vorbringen auf Umstände stützt, die er nach unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Antrages aus eigenem Entschluss geschaffen hat, es sei denn, dieser Entschluss entspricht einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung. Die Klägerin, deren Vortrag nicht zu entnehmen ist, dass sie sich bereits vor seiner Ausreise aus Afghanistan erkennbar mit dem Gedanken getragen hat, zum Christentum überzutreten, hat erst nach unanfechtbarer Ablehnung ihres ersten Asylantrags Anfang 1996 im Laufe des Jahres 2004 den Entschluss gefasst, sich taufen zu lassen, und den Taufunterricht begonnen. Deshalb kann für sie, gestützt auf dieses Vorbringen, kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 AufenthG festgestellt werden. Gründe, die hier ein Abweichen vom gesetzlichen Regelfall gebieten könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Für die Klägerin zu 2. ist dagegen ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK festzustellen.

Der Klägerin zu 2. droht aufgrund ihrer Konversion zum Christentum landesweit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung.

Zwar gewährleistet die Ende Januar 2004 in Kraft getretene neue Verfassung grundsätzlich das Recht auf freie Religionsausübung. Nach Artikel 2 Absatz 1 ist der Islam Staatsreligion, doch räumt Absatz 2 der Vorschrift Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften das Recht ein, im Rahmen der Gesetze ihren Glauben auszuüben und ihre religiösen Bräuche zu pflegen. Dieses Grundrecht umfasst aber nicht die Freiheit, vom Islam zu einer anderen Religion zu konvertieren. In diesem Fall kommt das Sharia-Recht zur Anwendung, nach dem einem Konvertiten, der seinen moslemischen Glauben aufgegeben hat, die Todesstrafe droht (vgl. AA vom 22. Dezember 2004 an VG Hamburg; Danesch vom 13. Mai 2004 an VG Braunschweig).

Allerdings ist über die tatsächliche Situation von Konvertiten in Afghanistan kaum etwas bekannt, da diese ihr Bekenntnis meist geheim halten. Es ist aber ein Fall bekannt geworden, in dem sich ein Kommandant und seine Frau offen zum Christentum bekannt haben. Beide wurden laut UNAMA und Amnesty International von der eigenen Familie und Vertretern der konservativen Geistlichkeit offen bedroht (AA, Lagebericht vom 3. November 2004, S. 20).

Auch der Danish Immigration Service (Stellungnahme von November 2004, S. 43) geht davon aus, dass Konvertiten nicht nur Schwierigkeiten in der eigenen Familie sondern auch in der weiteren Umgebung begegnen werden. Danesch (a.a.O., S. 5) bestätigt, dass Personen, die zum Christentum übergetreten sind, sowohl von privater als auch von staatlicher Seite mit Sanktionen rechnen müssen. Dazu gehören harte Bestrafungen, wie etwa Verstoßung, was für eine Frau praktisch ein Todesurteil bedeutet, und sogar die Tötung. Dauerhafter staatlicher Schutz gegen solche Repressionen ist derzeit nicht erreichbar (AA vom 22. Dezember 2004 an VG Hamburg).