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VG Minden

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Zitieren als:
VG Minden, Urteil vom 23.05.2005 - 9 K 5410/03.A - asyl.net: M6938
https://www.asyl.net/rsdb/M6938
Leitsatz:
Schlagwörter: Afghanistan, Christen, Konversion, Apostasie, Religionsfreiheit, religiös motivierte Verfolgung, Scharia, Todesstrafe
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Der Kläger hat jedoch einen Anspruch auf die Feststellung, dass für ihn die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen.

Unter Beachtung dieser Grundsätze ist der Kläger bereits vorverfolgt ausgereist. Er hat hierzu vorgetragen, dass er nach dem Auffinden einer Bibel in seinem Haus in der Moschee beschuldigt wurde, zum Christentum konvertiert zu sein.

Unerheblich ist insoweit, dass der Kläger tatsächlich nicht zum Christentum konvertiert ist. Denn eine Gerichtsbarkeit, die ihn vor Konsequenzen aus dem zu Unrecht erhobenen Vorwurf der Konversion zum Christentum hätte schützen können, gab es unter den Taliban nicht. Auch wurde die Scharia angewendet (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Afghanistan, vom 09. Mai 2001 (Stand: April 2001), S. 9).

Der Kläger ist bei einer Rückkehr nach Afghanistan vor einer Verfolgung durch staatliche Akteure nicht hinreichend sicher.

Denn die Einstellung staatlicher Stellen gegenüber Konvertiten hat sich unter der Regierung Karzais nicht in erheblicher Weise geändert. Die am 26. Januar 2004 in Kraft getretene neue Verfassung Afghanistans enthält in Artikel 3 einen Islamvorbehalt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht vom 03. November 2004 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Islamischen Übergangsstaat Afghanistan (Stand: Oktober 2004), S. 7), und Hamid Karzai selbst hat Afghanistan als islamisches Land bezeichnet (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Afghanistan vom 02. Dezember 2002, S. 4).

In der islamischen Rechtslehre besteht Einverständnis darüber, dass der Abfall vom Glauben ein todeswürdiges Verbrechen ist (vgl. Dr. Mostafa Danesch, Gutachten vom 13. Mai 2004 für das VG Braunschweig, S. 2).

Dies wird auch in Afghanistan so gesehen, wo im Falle der Konversion zum Christentum die Scharia zur Anwendung kommt, nach der der Abfall vom Islam mit dem Tod bestraft wird (vgl. Auswärtiges Amt, Stellungnahme gegenüber dem VG Hamburg vom 22. Dezember 2004, S. 2; Danish Immigration Service, The political conditions, the security and human rights situation in Afghanistan, Report an fact-finding mission to Kabul, Afghanistan, November 2004, S. 43; Schweizerische Flüchtlingshilfe (Michael Kirschner), Afghanistan - Update vom 01. März 2004 über die Entwicklung bis Februar 2004, S. 12).

Im Religionsministerium wurde zudem eine Abteilung zur "Überwachung der Einhaltung religiöser Vorschriften" gegründet, die eine Unterabteilung "Erkennen von Unglauben" umfasst (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht vom 03. November 2004 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Islamischen Übergangsstaat Afghanistan (Stand: Oktober 2004), S. 19).

Gegen die Beschuldigung, zum Christentum konvertiert zu sein, der sich der Kläger bei einer Rückkehr nach Kabul wegen seines Bekanntheitsgrades und der seinerzeit öffentlich erhobenen Behauptung der Konversion auch heute noch ausgesetzt sehen müsste, kann er sich auch nicht ausreichend verteidigen.

Die islamischen Richter sind wieder eingesetzt und der ehemalige Mudjaheddin-Kommandant Abdul Rasul Sayyaf, bei dem es sich um einen streng fundmentalistischen wahabitischen Geistlichen handelt, ist in Kabul erneut zu großem Einfluss gelangt (vgl. Dr. Mostafa Danesch, Gutachten vom 13. Mai 2004 für das VG Braunschweig, S. 3).

Der oberste Richter des Landes, Shinwari, ein Anhänger von Adul Rasul Sayyaf, wendet grundsätzlich die Scharia an und verurteilte zwei Journalisten mit dem Argument, sie seien "Gotteslästerer" und hätten gegen den Islam verstoßen, zum Tode (vgl. Dr. Mostafa Danesch, Gutachten vom 13. Mai 2004 für das VG Braunschweig, S. 5).

Selbst Afghanen, die für christliche Nichtregierungsorganisationen arbeiten, müssen darauf achten, nicht den Verdacht auf sich zu lenken, mit dem christlichen Glauben zu sympathisieren (vgl. European Commission, Report an fact-finding mission to Kabul and Masar-i-Sharif, Afghanistan an Islamabad, Pakistan (22.09. - 05.10.2002), Source: Denmark, S. 52).