VG Schleswig-Holstein

Merkliste
Zitieren als:
VG Schleswig-Holstein, Urteil vom 14.02.2005 - 11 A 268/01 - asyl.net: M6940
https://www.asyl.net/rsdb/M6940
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für Yeziden aus Syrien, die von arabischen Nachbarn vertrieben worden sind; kein Schutz durch Behörden; keine inländische Fluchtalternative bei Vorverfolgung.

 

Schlagwörter: Syrien, Kurden, Araber, Jesiden, nichtstaatliche Verfolgung, mittelbare Verfolgung, Schutzbereitschaft, Übergriffe, Vertreibung, Glaubwürdigkeit, Gruppenverfolgung, Interne Fluchtalternative
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Flüchtlingsanerkennung für Yeziden aus Syrien, die von arabischen Nachbarn vertrieben worden sind; kein Schutz durch Behörden; keine inländische Fluchtalternative bei Vorverfolgung.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Kläger hat einen Anspruch auf die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich Syriens.

Der Kläger, der syrischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit und yezidischen Glaubens ist, lebte in Syrien mit seiner Familie in einem Dorf, in dem sie nur noch die einzige yezidische Familie waren, nachdem die anderen aufgrund der ewigen Schikanen und Bedrohungen das Dorf bzw. Syrien verlassen hatten. Auf dem Nachbargrundstück zog eine arabische Familie ein, die aufgrund der Mitgliedschaft des Familienoberhauptes in der Regierungspartei ein leichtes Spiel mit dem Kläger und seiner Familie hatte und alles versuchte, damit diese das Dorf verließen. Als der Kläger begann, zum Schutz seiner Töchter eine Mauer um das Haus bzw. den Garten zu bauen, war dies Anlass genug für den Nachbarn, den Kläger zusammenzuschlagen. Obwohl der Kläger sich bei der Polizei beschwerte, unternahm diese im Anschluss nichts. Der schwerverletzte Kläger musste sogar genäht werden, er hat bis heute an den körperlichen Folgen dieses Überfalles zu tragen. Dieses Ereignis war für den Kläger und seine Familie fluchtauslösend und in der Folgezeit lebte diese in Angst und Schrecken und wagte sich kaum noch aus dem Haus. Bei dem Überfall durch den Nachbarn und seine Familie handelt es sich um Verfolgungsmaßnahmen von Privatpersonen, die hier ausnahmsweise flüchtlingsrelevant sind, weil sich der syrische Staat diese Handlungen wie eigenes Handeln zurechnen lassen muss. Eine dem syrischen Staat gegenüber erfolgende Zurechnung fremden Verhaltens bzw. des Verhaltens Dritte setzt voraus, dass der Staat die jeweiligen Verfolgungsmaßnahmen anregt, unterstützt, billigt oder auch nur tatenlos hinnimmt und zur Schutzgewährung entweder nicht bereit ist oder sich dazu nicht in der Lage sieht. Maßgebend ist darauf abzustellen, ob der Staat mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln im großen und ganzen Schutz gewährt (vgl. BVerwGE 54, 43 <358>; E 80, 315 <335 f.> BVerwGE 74, 41 <43>). Insofern bestimmt jetzt § 60 Abs. 1 S. 4 Buchstabe c AufenthG ausdrücklich, dass eine Verfolgung im Sinne des Satzes 1 der Vorschrift ausgehen kann von nicht staatlichen Akteuren, sofern der Staat bzw. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative. Dabei musste der Kläger nicht nur aufgrund dieses Ereignisses und der Untätigkeit der Polizei, sondern auch aufgrund der von ihm mit den syrischen Behörden und den Nachbarn in der Vergangenheit gemachten Erfahrungen davon ausgehen, dass diese gerade in Anknüpfung an seine yezidische Religionszughörigkeit nicht dazu bereit waren, ihm Schutz zu gewähren. Dem syrischen Staat, der seine Staatsbürger, insbesondere im Nordosten Syriens mit einem Überwachungsnetz überzogen hat, können diese Übergriffe nicht verborgen geblieben sein. Dies gilt aber auch speziell für den fluchtauslösenden Überfall, zumal er vom Kläger bei der Polizei angezeigt worden war, die ihrerseits aber den Nachbarn und seine Familienangehörige deswegen nicht zur Verantwortung zogen. Auch ein Schutz vor weiteren Überfällen erfolgte nicht. Grundsätzlich duldet aber der syrische Staat ein solches kriminelles Vorgehen, zumal in der Öffentlichkeit, nicht, sondern schreitet dagegen ein. Anders aber verhielt es sich hier, offenbar gerade im Hinblick auf die yezidische Religionszugehörigkeit des Klägers.

Nach der gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung besteht für Yeziden in Syrien landesweit weder die Gefahr einer mittelbaren noch einer unmittelbaren Gruppenverfolgung als Angehörige dieser Glaubensgemeinschaft. Dieser Rechtsprechung hat sich das erkennende Gericht angeschlossen (vgl. grundsätzlich: Kammerurteil vom 29. November 1999 - 11 A 233/96 -, bestätigt durch Beschluss des Schleswig-Holsteinischen OVG vom 28. Januar 2000 - 2 L 5/00). Die Frage des Vorliegens einer Gruppenverfolgung von Yeziden in Syrien ist aber nicht Gegenstand in diesem Verfahren in Bezug auf den Kläger, denn hier steht nach seinem glaubhaften Vortrag für das erkennende Gericht fest, dass dieser bereits flüchtlingsrelevante Verfolgung in seinem Heimatdorf erlitten hat, so dass er vor erneuter Verfolgung in den anderen Landesteilen Syriens vor seiner Ausreise hätte hinreichend sicher sein müssen. Insofern kann jedoch aus den in den vielen Erkenntnismitteln geschilderten einzelnen Verfolgungsschlägen gegen Yeziden geschlossen werden, dass für den Kläger eine solche hinreichende Verfolgungssicherheit nicht zu bejahen war in den anderen Landesteilen Syriens, auch nicht in denen, die noch von Yeziden besiedelt sind. Da er bereits Opfer flüchtlingsrelevanter Verfolgung war, muss gerade keine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit in Bezug auf diese Landesteile festgestellt werden, sondern im Gegenteil eine hinreichende Verfolgungssicherheit (vgl. zu den Prognosemaßstäben BVerwGE 80, 315 <334>). Da der Kläger mithin vorverfolgt ist, kann aber auch nicht festgestellt werden, dass er heute im Falle seiner Rückkehr vor erneuter politischer Verfolgung hinreichend sicher wäre bzw. dass stichhaltige Gründe vorliegen, die gegen eine erneute Verfolgung sprechen.