VG Minden

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Zitieren als:
VG Minden, Urteil vom 23.05.2005 - 9 K 5100/03.A - asyl.net: M6946
https://www.asyl.net/rsdb/M6946
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für ehemaligen Agenten des afghanischen Geheimdienstes KHAD, der für die Ermordung eines hochrangigen Mitglieds der Mudschaheddin verantwortlich gemacht wird.

 

Schlagwörter: Afghanistan, KHAD, Kommunisten, DVPA, Mitglieder, Sippenhaft, Blutrache
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Flüchtlingsanerkennung für ehemaligen Agenten des afghanischen Geheimdienstes KHAD, der für die Ermordung eines hochrangigen Mitglieds der Mudschaheddin verantwortlich gemacht wird.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Kläger haben jedoch einen Anspruch auf die Feststellung, dass für sie die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen.

Nach den der Kammer vorliegenden Erkenntnissen gehen zwar von der Regierung Karzai derzeit regelmäßig keine politischen Verfolgungsmaßnahmen mehr für die unter dem Regime der Taliban gefährdeten Bevölkerungsgruppen, insbesondere die ethnischen und religiösen Minderheiten aus, auch wenn traditionell bestehende Spannungen zwischen Angehörigen verschiedener Ethnien lokal in unterschiedlicher Intensität fortbestehen. Auch Personen, die der DVPA, dem Geheimdienst KHAD oder den kommunistischen Streitkräften nicht in herausgehobenen Positionen angehört haben, droht derzeit keine politische Verfolgung durch die Regierung Karzai.

Der Kläger gehört jedoch unter Berücksichtigung seiner Angaben zu dem Personenkreis, der bei einer Rückkehr nach Afghanistan weiterhin gefährdet ist. Der Kläger hat überzeugend dargelegt, dass er beim KHAD in der Abteilung L 35 tätig war und Mudjaheddin als Agenten für den KHAD angeworben hat, die für die spätere Ermordung Hadji Latifs verantwortlich gemacht werden.

Die Kammer geht weiter davon aus, dass der Kläger zu 1. von seinen früheren Gegnern auch weiterhin als Kommunist und Feind angesehen wird. Eine Gefährdung - auch an Leib und Leben - hochrangiger früherer Repräsentanten der DVPA bzw. herausragender Militärs und Polizeirepräsentanten sowie des Geheimdienstes KHAD der kommunistischen Zeit durch Teile der Bevölkerung kann als mögliche Reaktion auf frühere Menschenrechtsverletzungen nicht ausgeschlossen werden. Der oberste Richter des Landes, Shinwari, wirft Mitgliedern der ehemaligen kommunistischen Partei vor, Verbrechen gegen Afghanistan begangen zu haben und für die Kriege der vergangenen Jahrzehnte verantwortlich zu sein. Der wieder zu Macht und Einfluss gekommene Mudjaheddin-Präsident, Mudjadeddi, hält seine im Jahr 1992 ausgesprochene Amnestie für bedeutungslos und ruft zur Fortsetzung des Heiligen Krieges gegen die alten Kommunisten auf. Auch bestehen Hinweise darauf, dass einzelne Regierungsmitglieder in eigener Verantwortung Verfolgung, Repression und auch Tötung ehemaliger Feinde gutheißen. Einige ehemalige Kommunisten, die sich zur Zeit in Kabul aufhalten, können diese nur deshalb gefahrlos tun, weil sie über entsprechende Netzwerke und Kontakte verfügen. Ohne diese Absicherung wäre der gefahrlose Aufenthalt in der Hauptstadt undenkbar.

Unter dem Gesichtspunkt der in Afghanistan praktizierten Sippenhaft und Blutrache wären auch die Kläger zu 2. und 3. in ähnlicher Weise nicht nur durch den Sohn Hadji Latifs, sondern auch durch sonstige Personen gefährdet, die Rache an ehemaligen Kommunisten und ihren Familienangehörigen nehmen wollen, gefährdet (vgl. zu Sippenhaft und Blutrache: Dr. Bernt Glatzer, Gutachten vom 01. Januar 2005 für das VG Minden, S. 2; Dr. Mostafa Danesch, Gutachten vom 24. Juli 2004 für das OVG Bautzen, S. 40 f.)