OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30.05.2005 - 13 A 4539/04.A - asyl.net: M6988
https://www.asyl.net/rsdb/M6988
Leitsatz:
Schlagwörter: Serbien und Montenegro, Kosovo, Krankheit, Abschiebungshindernis, Psychische Erkrankung, Posttraumatische Belastungsstörung, Allgemeine Gefahr, Bevölkerungsgruppe, Versorgungslage, Medizinische Versorgung, Retraumatisierung, Finanzierbarkeit
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des Abschiebungshindernisses aus § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG bzw. auf Feststellung der Voraussetzungen für die Aussetzung der Abschiebung nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, der ab 1. Januar 2005 an die Stelle der erstgenannten Vorschrift getreten und mit dieser auf der Tatbestandsseite wortgleich ist.

Die Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Fällen der vorliegenden Problematik ist auch wenn psychische Erkrankungen von ausreisepflichtigen Ausländern umgekehrt proportional zur Lageverbesserung im Kosovo zahlenmäßig ansteigen und zu einem "Massenphänomen" angewachsen sind und heute die weit aus größte Zahl der Asylstreitigkeiten ausmachen nicht durch §§ 60 Abs. 7 Satz 2, 60a Abs. 1 AufenthG gesperrt. Denn die hier geltend gemachte Gefahr einer Gesundheitsverschlimmerung im Heimatland ist nach der Rechtsprechung des Senats von individueller Art, die unter Berücksichtigung von Art und Schwere der Erkrankung des Ausländers, der ihn erwartenden Gegebenheiten im Heimatland und von Zumutbarkeitserwägungen mit Individualbezug zu beurteilen ist. Die Unterschiedlichkeit dieser Beurteilungskriterien bei den betreffenden ausreisepflichtigen Ausländern ist so groß und der Individualbezug so stark, dass allein die Gefahr der Verschlimmerung einer psychischen oder sonstigen Krankheit als maßgebliches allgemeines Abgrenzungskriterium für Menschen in ansonsten vergleichbarer Situation nicht ausreicht.

Bei Rückkehr der Klägerin in den Kosovo ist eine wesentliche Verschlimmerung ihrer Erkrankung im Sinne existentieller Gesundheitsgefahren aus Sicht eines vernünftig denkenden und besonnenen Menschen nicht ernstlich zu befürchten und damit nicht überwiegend wahrscheinlich. Die Erkrankung ist nämlich in Würdigung aller in das vorliegende Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen und des dem früheren § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG bzw. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG immanenten Zumutbarkeitsgesichtspunkts (§ 108 Abs. 1 VwGO) im Kosovo generell jedenfalls soweit behandelbar, dass sie bei dem gebotenen Mitwirken der Klägerin ggf. nach einer vorrübergehenden Phase rückführungsbedingter verstärkter Krankheitssymptome auf ein Niveau gebracht und dort gehalten werden kann, das ihrem gegenwärtigen Krankheitsbild entspricht und mit dem sie im Zufluchtsland erkennbar ohne existentielle Gefährdungen leben kann. Die Erkrankung der Klägerin weist keine Besonderheiten auf, die insoweit eine abweichende Würdigung rechtfertigten.

Zu einer vergleichbaren Problematik hat der Senat nach seinem grundlegenden Beschluss vom 16. Dezember 2004 13 A 4512/03.A zuletzt durch Beschluss vom 17. März 2005 - 13 A 2909/04.A - wie folgt ausgeführt: ...

An diesen Ausführungen hält der Senat fest. Sie werden nicht erschüttert durch die Stellungnahme der UNMIK aus Januar 2005, die erkennbar vor dem Hintergrund der organisatorischen Probleme der Eingliederung von Rückkehrern und der bekannten Mangelsituation im Gesundheitsversorgungsbereich ergangen ist, die aber gleichwohl die notwendige hinreichende Sicherheit einer Krankheitsverschlimmerung von im beschriebenen Sinn existentieller Schwere für einen psychisch kranken, an PTBS und/oder Depression leidenden Rückkehrer ebenfalls nicht vermittelt (So bereits OVG NRW, Beschluss vom 20. Mai 2005 - 13 A 11751/05.A -).

Die Behandlung im öffentlichen Gesundheitswesen des Kosovo, zu dem im weitesten Sinne auch die NRO zählen, ist kostenfrei oder weitgehend kostenfrei. Erste Gesprächstermine sind nach den glaubhaften Auskünften des Verbindungsbüros nach ca. einer Woche zu erhalten.

In dem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass der abgelehnte Asylbewerber keinen Anspruch auf Krankenhilfe zur Heilung einer PTBS und damit einhergehender Depression hat. § 4 Asylbewerberleistungsgesetz i. V. m. § 120 Bundessozialhilfegesetz gewährt Krankenhilfe nur zur Behandlung akuter Erkrankungen und von Schmerzzuständen, nicht hingegen zur Behandlung oder gar Heilung chronischer Krankheiten. Die PTBS und Depressionen wie im Fall der Klägerin sind in diesem Sinne chronische Erkrankungen; dem entsprechend erhält die Klägerin auch keine Gesprächstherapie etwa unter Einschaltung eines Dolmetschers auf Kosten des sozialen Netzes der Bundesrepublik Deutschland. Der aufgezeigten Regelung liegt die Wertung des Gesetzgebers zu Grunde, dass der grundsätzlich ausreisepflichtige erfolglose Asylbewerber eine Heilung eines chronischen Krankheitszustandes auf Kosten der deutschen Allgemeinheit nicht soll beanspruchen können und ihm für die Zeit seines Aufenthaltes in Deutschland das Ertragen dieses Zustands mit Ausnahme einer Akuterkrankung und eines Schmerzzustands zugemutet wird. Dann muss es andererseits für den ausreisepflichtigen Ausländer auch zumutbar sein, sich nach Rückkehr in das Kosovo für den Fall dort fehlender oder nicht erreichbarer adäquater Psychotherapie mit einer dort erhältlichen medikamentösen Therapie, insbesondere mit einer medikamentösen Behandlung von Akut und Schmerzzuständen zu begnügen; das gilt erst recht unter Berücksichtigung einer möglichen, die medikamentöse Therapie unterstützenden wenn auch mitteleuropäischen Standards nicht entsprechenden Gesprächstherapie.